Jerome Powell will die Zeichen richtig deuten. Nur wenn die Inflation weiter abflacht, plant der Fed-Chef der US-Notenbank, den Leitzins wieder zu senken. Das kündigte er am Mittwoch an. Noch ist es nach seiner Auffassung und der seiner Kollegen zu früh dafür. Deshalb legten die US-Notenbanker nun zum vierten Mal in Folge eine Zinspause ein und beließen den Leitzins auf seinem aktuellen Niveau von 5,25 bis 5,50 Prozent. Als Begründung führten sie die nach wie vor hohe Teuerung in den USA an. Diese betrug im Dezember noch 3,4 Prozent und liegt damit weiterhin über der Zielmarke der Federal Reserve (Fed) von zwei Prozent.
Der Druck auf Powell und seine Kollegen dürfte damit nicht weniger werden: Um die hohe Inflation zu bekämpfen, hatten sie den Leitzins seit dem Sommer 2022 auf seinen höchsten Stand seit 23 Jahren angehoben. Trotzdem blieben die USA von einer Rezession verschont, die normalerweise auf Zinssprünge folgt. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres wuchs die US-Wirtschaft um über drei Prozent - mehr als die Volkswirtschaften der meisten Industrieländer. Auch das amerikanische Jobwunder setzte sich fort, auch wenn die Zahl der neu entstandenen Arbeitsplätze zuletzt nicht mehr so rasant zunahm wie noch vor einigen Monaten.
"Wir brauchen weitere Belege dafür, dass die Inflation wirklich dauerhaft abnimmt"
Das hat Erwartungen an die Notenbank für Zinssenkungen geweckt. Erwartungen, die Powell vorerst dämpfte. Im Dezember hatte die Fed für das Jahr 2024 drei Zinssenkungen in Aussicht gestellt, ohne ein konkretes Datum dafür zu nennen. Powell bekräftigte dieses Ziel nun noch einmal, blieb aber bezüglich des Zeitplans vage. Er halte es für unwahrscheinlich, den Leitzins schon bei der nächsten Zusammenkunft der Notenbanker Ende März zu senken. "Wir brauchen weitere Belege dafür, dass die Inflation wirklich dauerhaft abnimmt", sagte Powell. Noch fehle ihm und seinen Kollegen die nötige Zuversicht, dass die Trendwende geschafft sei.
Vielmehr befinden sie sich in einem Zwiespalt: Senken sie die Zinsen zu früh, riskieren sie ein neues Aufflammen der Inflation und müssten den Leitzins womöglich sogar noch einmal erhöhen. Zögern sie zu lange mit Zinssenkungen, könnte die US-Wirtschaft doch noch in eine Krise geraten. Schon jetzt hat sich der amerikanische Immobilienmarkt wegen der hohen Zinsen abgekühlt. Es kommt also aufs richtige Timing an.
Jerome Powell gehört dabei dem Team Vorsicht an. Seine Vorgängerin, die heutige US-Finanzministerin Janet Yellen, hatte der US-Wirtschaft kürzlich eine sanfte Landung prognostiziert. Trotz der hohen Zinsen habe sich die Konjunktur überraschend gut entwickelt, lautet nicht nur Yellens Einschätzung, sondern auch die vieler Ökonomen. Powell will davon nichts wissen. Für Siegeserklärungen sei es noch zu früh, betonte er. Zwar glaubt er nicht, dass die Inflation wieder die Rekordwerte von vor zwei Jahren erreicht. Aber es bestehe die Gefahr, dass sie auf ihrem hohen Niveau verharre.
Das Timing ist auch deshalb so wichtig, weil die USA im November einen neuen Präsidenten wählen. Leiden die Amerikaner gegen Ende des Jahres noch immer unter den Preissteigerungen - oder einer Wirtschaftskrise -, könnte das Joe Bidens Wiederwahl gefährden. Schon jetzt haben viele Wählerinnen und Wähler Umfragen zufolge wenig Zutrauen in Bidens Wirtschaftskompetenz und halten Donald Trump in dieser Hinsicht für besser qualifiziert.
Insofern ist Jerome Powell für Biden und seine Wahlaussichten der vielleicht entscheidende Mann. Gleiches gilt für Donald Trump, der Powell während seiner Präsidentschaft erst zum Fed-Chef gemacht hatte. Biden ließ den Republikaner 2021 trotz mancher Kritik seiner demokratischen Parteigenossen im Amt. Der Frage, ob er eine dritte Amtszeit anstrebe, wich Powell am Mittwoch aus. Er habe gerade wichtigeres zu tun, als über seine Karriere nachzudenken, sagte er.