Die Europäische Zentralbank belässt den Leitzins auf dem Rekordhoch von 4,5 Prozent und stellt eine baldige Zinssenkung in Aussicht. "Sollte die Zuversicht des EZB-Rats weiter wachsen, dass die Inflation sich nachhaltig dem Zielwert annähert, wäre eine Lockerung der aktuellen geldpolitischen Straffung angemessen", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag. "Im Juni werden wir viele wichtige neue Daten haben, auf deren Basis wir dann entscheiden werden", sagte Lagarde weiter.
Die meisten Experten gehen davon aus, dass die EZB auf der Sitzung am 6. Juni die Leitzinsen erstmals nach dem knapp zweijährigen Zinsanstiegszyklus wieder absenken könnte. Die Inflation in der Währungsunion ist zuletzt spürbar gesunken. Im März lag die Rate bei 2,4 Prozent, was dem Zielwert der EZB in Höhe von exakt zwei Prozent ziemlich nahekommt.
Mit ihrer Entscheidung hat die EZB bereits zum fünften Mal in Serie die Zinsen unverändert auf Rekordniveau gelassen. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, liegt seit September 2023 bei 4,5 Prozent. Der Einlagensatz beträgt vier Prozent. Er gilt der Notenbank als wichtigstes Steuerungsinstrument, weil damit die Überschussreserven der Banken verzinst werden.
Die Währungshüter zögern mit der Zinssenkung, weil die vielerorts starken Lohnerhöhungen für die Belegschaften den Preisschub weiter anfachen könnten. Zwar haben die hohen Zinsen die Kreditnachfrage aus der Wirtschaft gesenkt, was besonders im Immobiliensektor spürbar ist. Dennoch liegt die Arbeitslosenrate in der Euro-Zone auf dem niedrigsten Stand ihrer Geschichte, was die Verhandlungsposition der Gewerkschaften für Löhne und Gehälter stärkt - trotz der schwachen Wirtschaftslage in Europa.
Zum fünften Mal in Serie lässt die EZB die Zinsen unverändert
In den USA ist die Lage anders. Dort läuft die Wirtschaft um einiges besser und die Inflation ist im März auf 3,5 Prozent geklettert. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve wird daher wohl mit der Zinswende warten, inzwischen rechnen die meisten Experten damit, dass die Fed erst nach den US-Wahlen im November den Leitzins erstmals wieder absenkt, was Konsequenzen für den Euro-Dollar-Wechselkurs haben würde.
Bislang war man davon ausgegangen, dass die Währungshüter in der Euro-Zone und den USA zeitgleich agieren würden. "Es ist jetzt fast sicher, dass die EZB im Juni mit der Zinssenkung beginnt. Sollte sich die Zinsdifferenz zwischen Fed und EZB zu sehr vergrößern, dann könnte ein abwertender Euro die Inflation in Europa aber wieder anheizen", sagte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Wird dieses Szenario die Geldpolitik beeinflussen? "Wir entscheiden auf Basis von Daten, die wir darauf abklopfen, wie sie unsere Wirtschaft beeinflussen", sagte Lagarde.
Auch wenn die EZB noch wartet mit der Zinssenkung - der deutsche Bankensektor stellt sich bereits darauf ein, zum Schaden der Kundschaft. Die Tagesgeldzinsen für deutsche Privatanleger sind im Februar "marktweit wieder gesunken", schreibt das Datenanalysehaus Barkow Consulting, das seine Berechnungen am Donnerstag veröffentlichte. Nach den Leitzinserhöhungen durch die EZB war der durchschnittliche Tagesgeldzinssatz bei Banken bis auf 1,6 Prozent geklettert- im Februar betrug der Wert nur noch 1,49 Prozent. Dies stelle eine vorzeitige Anpassung an mögliche Zinssenkungen der Notenbank dar, die so erst in einigen Monaten zu erwarten gewesen wäre, schreiben die Analysten. "Bemerkenswerterweise ist Deutschland das einzige Land im Euroraum, in dem die Tagesgeldzinsen bereits im Februar wieder gesunken sind", so Barkow Consulting weiter. Vor allem Sparkassen stehen hierzulande in der Kritik, weil sie die Kundeneinlagen mit niedrigen Zinsen abspeisen, während die Geldhäuser selbst bei der EZB den hohen Einlagenzins in Höhe von vier Prozent kassieren.