Die Europäische Zentralbank hat beschlossen, die sogenannte Mindestreservepflicht nicht zu erhöhen. Dadurch können die Kreditinstitute auch künftig hohe Notenbankzinsen für ihre Überschussreserven kassieren. Eine Erhöhung der Mindestreserve hätte diese Möglichkeit beschränkt. In den letzten Monaten gab es heftige Debatten, ob die Notenbank die europäischen Großbanken durch diese Zinszahlungen subventioniere. Der Chef der Österreichischen Nationalbank und EZB-Ratsmitglied Robert Holzmann hatte daher eine starke Erhöhung der Mindestreservepflicht auf fünf bis zehn Prozent gefordert. Doch dafür gab es keine Mehrheit. Die Mindestreservepflicht beträgt weiter ein Prozent.
Die Entscheidung der EZB zur Mindestreserve ist nur ein Ergebnis der Revision des gesamten geldpolitischen Rahmenwerks. Demnach werden die Währungshüter auch künftig den Bankensektor mit ausreichend Liquidität versorgen. "Das Rahmenwerk wird sicherstellen, dass in der Zukunft die Umsetzung unserer Geldpolitik wirksam, robust, flexibel und effizient bleibt, wenn sich unsere Bilanz normalisiert", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch in Frankfurt. Mit ihrer Geldpolitik verfolgt die EZB das Ziel, den kurzfristigen Marktzins dem Einlagenzins der Notenbank anzunähern. Dieser liegt bei vier Prozent und gilt den Finanzmärkten schon lange als der entscheidende Leitzins, während die breite Öffentlichkeit häufig den Hauptrefinanzierungssatz als "den Leitzins" betrachtet. Dieser notiert bei 4,5 Prozent. Am 18. September soll deshalb der Abstand zwischen Einlagen- und Hauptrefinanzierungssatz von aktuell 0,5 auf 0,15 Prozentpunkte reduziert werden.
Der Einlagensatz ist es auch, der den Banken zuletzt enorme Profite beschert hat. Der Grund: Banken haben Überschüsse in Milliardenhöhe auf ihren Konten bei der Notenbank angehäuft - als Folge der lockeren Geldpolitik. Die Währungshüter erwarben ab 2015 Staatsanleihen und schrieben den Kaufpreis den Geschäftsbanken auf deren Notenbankkonten gut. Früher gab es dafür keinen Zins, Stichwort: Negativzins, doch seit die Notenbank den Einlagenzins im Kampf gegen die Inflation auf vier Prozent angehoben hat, machen die Banken risikolose Profite.
Das blieb in der Gesellschaft nicht unbemerkt. Der bankenkritische Verein Finanzwende forderte in einem offenen Brief an EZB-Präsidentin Lagarde, die Zentralbanken sollten im Sinne einer neutralen Geldpolitik die Banken nicht mit öffentlichen Geldern bedingungslos bereichern. Die finanziellen Vorteile für die Banken beschäftigten auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Sie kritisierten, dass die Banken durch den Zins risikofreie Gewinne in Höhe von 140 Milliarden Euro einstreichen würden. Unternehmen und Kunden der Banken bekämen indes oftmals deutlich weniger Zinsen, beispielsweise auf ihr Tages- oder Festgeldkonto. "Daher profitieren Privathaushalte nicht von den hohen Zinssätzen der EZB, während sie trotzdem die Kosten der höheren Kreditzinsen und Hypotheken tragen müssen", hieß es in einem offenen Brief.
Doch Notenbanker sehen das anders: "Wir haben die Zinsen erhöht, um die Inflation zu bekämpfen, das war nötig. Deswegen koppele ich gedanklich komplett ab, was dadurch bei den Banken geschieht", sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel jüngst. Die Bankengewinne quasi als Nebenwirkung, die den Sektor stabilisiert, was der Bankenaufsicht bei der EZB nicht unrecht sein kann.
Durch eine Erhöhung der Mindestreserve hätte die EZB den Geldstrom für den Bankensektor bremsen können: Geldhäuser im Euroraum sind verpflichtet, einen bestimmten Betrag auf ihrem Konto bei ihrer Notenbank zu halten. Aktuell beträgt diese Mindesteinlage ein Prozent der Kundeneinlagen. Seit September erhalten EU-Banken dafür bereits keine Verzinsung mehr.
Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, um die Zinserträge für die Banken tiefer zu deckeln: den Einlagenzins zu reduzieren. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die EZB wohl im Juni die Zinsen erstmals wieder absenken wird.