Um 13.18 Uhr lässt Mihály Varga die Träume der französischen Regierung platzen. "Ungarn kann die Annahme des Vorschlags zu diesem Zeitpunkt nicht unterstützen", sagt der ungarische Finanzminister da bei einem Treffen mit seinen 26 EU-Amtskollegen in Luxemburg. Seine Regierung lehnt damit die Einführung einer Mindeststeuer für Konzerne in der EU vorerst ab - als einziges Mitgliedsland, nachdem Polen seinen Widerstand gerade erst aufgegeben hat. Aber bei Steuerfragen ist Einstimmigkeit nötig. Dabei wollte Frankreichs Regierung, die noch bis Monatsende die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, diese Einigung unbedingt erreichen: ein schöner Erfolg, pünktlich vor der zweiten Runde der Parlamentswahlen.
Doch so bleibt dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire am Freitag nur Sarkasmus übrig: Das "Wundervolle" bei diesem EU-Gesetzentwurf sei, dass "sobald ein Problem gelöst ist schon das nächste kommt", sagt Le Maire, der die Sitzung leitet. Das spielt darauf an, dass lange mit Polen verhandelt wurde und nach dem Einlenken Warschaus jetzt auf einmal Ungarn Bedenken geltend macht.
Konkret geht es um eine Richtlinie, mit der die EU einen Teil der Jahrhundertreform der Unternehmensbesteuerung umsetzen will. Im Herbst verständigten sich 137 Staaten bei der Industrieländer-Organisation OECD darauf, unter anderem eine Mindeststeuer von 15 Prozent auf Gewinne von großen Konzernen einzuführen. Diese sogenannte Säule 2 der Vereinbarung soll das Geschäftsmodell von Steueroasen erschweren. Daneben sieht Säule 1 der Reform vor, dass Länder, in denen Konzerne viel Umsatz erzielen, aber keine Standorte haben, künftig mehr Besteuerungsrechte erhalten. Das zielt vor allem auf Internetfirmen wie Google ab. Hier ziehen sich die Detailverhandlungen bei der OECD jedoch hin.
Folgt Ungarn nun Polens Beispiel?
Ungarns Finanzminister nennt die Verzögerungen bei Säule 1 als einen Grund, wieso die EU Säule 2 - die Mindeststeuer - noch nicht als Gesetz verabschieden sollte. Kritiker sehen allerdings eher einen Zusammenhang zum Streit mit der EU-Kommission über Rechtsstaatlichkeit. Wegen dieses Disputs erhielten Polen und Ungarn noch kein Geld aus dem Corona-Hilfstopf der EU. Polen und die Kommission einigten sich aber kürzlich darauf, unter welchen Bedingungen die Milliarden fließen können. Kurz danach zog Warschau sein Veto gegen die Mindeststeuer zurück, wobei die Regierung eine Verbindung weit von sich weist. Nun blockiert Ungarn. Der EU-Abgeordnete Daniel Freund von den Grünen klagt, mit ihrem Einlenken gegenüber Polen habe die Kommission gezeigt, dass sich eine Blockade lohne: "Dass Ungarn das jetzt auch versucht, hat sich die Kommission selbst zuzuschreiben."