Freihandelsabkommen:Eine Chance, trotz allem

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Im brasilianischen Manaus wird der Regenwald abgeholzt. Viele denken, das würde durch das Freihandelsabkommen schlimmer, es kann aber auch das Gegenteil passieren. (Foto: dpa)

Inwieweit das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Südamerika wirtschaftliche Vorteile bringt, ist fraglich. Doch der politische Nutzen ist eindrücklich.

Kommentar von Christoph Gurk

Dass Lateinamerikaner oft emotionaler sind als zum Beispiel Nordeuropäer, ist bekannt. Dass ein Außenminister allerdings in Tränen ausbricht wegen eines Verhandlungsdurchbruchs, ist dann doch etwas ungewöhnlich. "Herr Präsident", schluchzte gestern Abend Argentiniens Außenminister Jorge Faurie in sein Telefon, "ich beglückwünsche Sie. Wir haben eine Einigung zwischen der EU und dem Mercosur".

20 Jahre hatten die Verhandlungen dazu gedauert. In dieser Zeit führte die EU den Euro ein, gleichzeitig brach in Argentinien die Wirtschaft zusammen. Protektionistische und marktliberale Regierungen lösten sich in den Mercosurstaaten immer wieder ab, in einigen Fällen auch mit äußerst fragwürdigen Mitteln, schon das hat die Verhandlungen erschwert. Hinzu kamen Ängste auf beiden Seiten: Europäische Bauern fürchteten sich vor billigem Zucker, Getreide und Fleisch aus Südamerika. Viele Firmen in den Mercosurstaaten glaubten wiederum, ihre Maschinen und Geräte könnten nicht mit der Konkurrenz aus Europa mithalten.

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Die EU und Mercosur haben sich nach 20-jährigen Verhandlungen geeinigt. Die gesparten Kosten für Zölle sind enorm. Aber Umweltschützer und Bauern sind skeptisch.

Von Daniel Brössler

Unberechtigt sind diese Bedenken nicht. Tatsächlich soll sich allein der Fleischimport aus Südamerika in die EU durch das Abkommen in den nächsten fünf Jahren verdreifachen. Und was Marktöffnungen anrichten können, kann man jetzt schon in Argentinien sehen: Seit dem Amtsantritt des neoliberalen Präsidenten Mauricio Macri sind zehntausende Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen. Das Abkommen wird die Mercosurländer am Ende noch mehr in Rohstofflieferanten verwandeln, zugunsten einer kleinen Schicht der dortigen Bevölkerung und den europäischen Firmen, zum Nachteil vieler Menschen und Verbraucher. Und dennoch ist das Abkommen auch ein Grund zur Freude. Weil es nicht nur wirtschaftliche Folgen hat, sondern auch politische Chancen bietet.

Die offensichtlichste ist die Möglichkeit, ein Gegengewicht zur Abschottungs- und Vorschlaghammerpolitik von Präsident Trump zu setzen. Viele Länder Lateinamerikas sind wirtschaftlich extrem abhängig von den USA. Welche Folgen das hat, konnte man unlängst am Beispiel Mexiko sehen: Präsident Trump hat den südlichen Nachbarn mit Strafzöllen seine Vorstellungen von Migrationspolitik aufgezwungen, mit katastrophalen Folgen für die Menschen. Mit einem zweiten, starken Handelspartner neben den USA wäre das so nicht möglich gewesen.

Das Abkommen vereint dazu nicht nur Europa und einen großen Teil Südamerikas, sondern auch den Mercosur selbst: Das Staatenbündnis verfügt über keinen echten Binnenmark, keine gemeinsame Währung, nicht eine Zollunion gibt es. Das könnte sich alles ändern und so Lateinamerika politisch stärken.

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Und letztendlich könnte der Vetrag am Ende sogar auch der Umwelt nützen - auch wenn Naturschützer das Gegenteil befürchten. Sie sagen, allein die steigenden Fleischexporte aus dem Mercosur nach Europa würden dazu führen, dass noch mehr Regenwald abgeholzt wird, um noch mehr Soja zu pflanzen und damit noch mehr Rinder zu füttern.

Aber auch ohne Abkommen sieht es so aus, als würde der Regenwald weiter abgeholzt. Seit dem Amtsantritt von Brasiliens rechtsextremen Präsidenten wird so viel gefällt, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch in Argentinien und Paraguay schrumpfen die Wälder und wachsen die Felder, Grund dafür ist vor allem die Nachfrage aus Asien. Dort ist vielen Regierungen der Umwelt- und Klimaschutz egal, im Vertrag zwischen der EU und dem Mercosur ist dagegen das Pariser Klimaabkommen ein integraler Bestandteil. Brasiliens Präsident hält den Klimawandel eigentlich für eine Erfindung der Linken. Ihn könnte das Abkommen dazu bewegen, sich seinen Standpunkt nochmal zu überlegen.

Man hätte auch noch mehr Umweltschutz in den Vertrag schreiben können, noch mehr Rücksicht auf Menschenrechte, auf die Verteilung von Land und Reichtum. Am Ende hätte das aber auch dazu geführt, dass die Verhandlungen noch einmal 20 Jahre gedauert hätten und andere, weniger zimperliche Staaten hätten ihre Chancen genutzt, ihre Geschäfte in der Region auszubauen. Es wäre naiv, zu glauben, dass das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur ein reiner Segen für die Natur und die 780 Millionen Menschen ist, die in ihren Grenzen leben. Es wäre aber auch naiv, zu glauben, dass eine abgeschottete Welt eine bessere ist.

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