Landwirtschaft:EU-Kommission will mehr Gen-Pflanzen auf dem Acker

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Die EU-Kommission plant eine deutliche Lockerung bei Gentechnik in Lebensmitteln. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen gibt es daran Kritik. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Sogenannte "neuartige Gentechnik-Methoden" sollen nach dem Wunsch Brüssels der Landwirtschaft helfen, mit dem Klimawandel zurechtzukommen. Umweltgruppen und Verbände protestieren.

Von Michael Bauchmüller, Jan Diesteldorf und Josef Kelnberger, Brüssel

Für eine um zwei Grad wärmere Welt sind Europas Felder nicht gemacht. Der Klimawandel, für jeden spürbar in den zu milden Wintern und zu trockenen Sommern der vergangenen Jahre, macht es Landwirten heute schon schwer. Er wird künftig Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten wahrscheinlicher machen und zu mehr Ernteausfällen führen. Wenn an den Küsten das Wasser steigt und auf den Kontinenten die Wüsten wachsen, schrumpft global die landwirtschaftliche nutzbare Fläche. Zugleich wächst die Weltbevölkerung weiter, vor allem im globalen Süden. Nach Ansicht der EU-Kommission ist es deshalb nicht damit getan, den Ausstoß von Klimagasen zu senken: Sie setzt auch auf gentechnisch veränderte Pflanzen.

Am Ende dieser Woche machte der Entwurf eines Gesetzes die Runde, mit dem die Kommission dem Einsatz von neuartiger Gentechnik in der Landwirtschaft den Weg ebnen will. Er soll Anfang Juli offiziell vorgestellt werden und könnte noch abgeändert werden. Aber die Richtung steht fest: Grüne Gentechnik soll Alltag werden in den Lebensmittel-Lieferketten der EU, soll Antwort sein auf Erderhitzung, Bevölkerungswachstum und zu große Abhängigkeit von Importen.

Neue gentechnische Methoden (NGT) ist ein Sammelbegriff für all jene Techniken, die nach 2001 erfunden wurden, dem Jahr der ersten EU-Gentechnik-Verordnung. Besonders zielt der Gesetzentwurf auf solche Veränderungen im Genom ab, mit denen Pflanzen zielgenau manipuliert werden können. Anders als bei etablierten Methoden nutzen Entwickler dabei nicht Gensequenzen fremder Spezies, mit denen sich eine Pflanze nicht kreuzen ließe. Es ist eine Art Mittelweg: mehr als die Kreuzung zweier Pflanzen, aber weniger als die Programmierung neuer Gensequenzen. In bestimmten Fällen ließen sich genetische Veränderungen durch NGTs mit den bekannten Analysemethoden nicht mehr identifizieren.

Womit man bei dem wäre, was Umweltgruppen, einige Landwirtschaftsverbände und Politiker insbesondere der Grünen für fatal halten. Der Entwurf sieht erstens vor, dass Pflanzen mit bis zu 20 genetischen Veränderungen herkömmlichen Pflanzen gleichgestellt werden. Die Zahl steht im Entwurf allerdings noch in eckigen Klammern, sie muss also noch diskutiert werden. Zweitens heißt es im Text, dass die EU-Mitgliedstaaten "die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von NGT-Pflanzen des Typs 1 und verwandten Erzeugnissen" nicht durch "spezifische Anforderungen" verbieten oder beschränken dürften. Gezielte Schranken für diese neuartigen Züchtungen, etwa regionale Anbauverbote, wären damit ausgeschlossen.

"Der Vorschlag wäre das Ende der ökologischen Landwirtschaft, die sich mit immer mehr Aufwand vor Kontamination schützen müsste", sagt Karl Bär, Agrarpolitiker der Grünen im Bundestag. Was stimmt: Bei einem flächendeckenden Einsatz von NGT-Pflanzen wäre es tatsächlich kaum noch zu verhindern, dass die Felder benachbarter Öko-Bauern etwas davon abbekommen. "Kommt der Vorschlag durch, würde das Recht auf gentechnik­freie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt", kritisiert Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.

Ganz anders dagegen klingt die Wissenschaft, etwa das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK). Den Vorschlag der Kommission begrüße man "außerordentlich", sagt Nicolaus von Wirén, Zellbiologie-Experte am IPK. Die Kommission folge damit der Bewertung führender wissenschaftlicher Organisationen - "nämlich, dass von derartig veränderten Pflanzen kein erhöhtes Risiko für Mensch und Natur ausgeht". Auch der Fokus der Kommission sei richtig: Nämlich auf die Krankheitsresistenz von Pflanzen, oder die effiziente Nutzung von Wasser oder Nährstoffen. Die unterschiedlichen Einschätzungen erinnern schon jetzt an einen erbitterten Konflikt von einst - rund um die klassische Gentechnik.

Der Streit geht bis hin zu persönlichen Anfeindungen

Der Gesetzentwurf kommt in stürmischen Zeiten, denn in Brüssel ringen Abgeordnete, Kommissare und Minister gerade mit allen Mitteln um die Zukunft der Landwirtschaft. Das liegt vor allem an der vom CSU-Politiker Manfred Weber angeführten Europäischen Volkspartei (EVP). Die EVP will, aufgeschreckt vom Aufstieg der niederländischen Bauern-Bürger-Bewegung, als Schutzmacht des ländlichen Raums wahrgenommen werden. Deshalb werden nun Gesetzesvorhaben bekämpft, die mutmaßlich von der Landwirtschaft als Zumutung wahrgenommen werden.

Ein erster Versuch der EVP, das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur im Parlament komplett zu versenken, scheiterte diese Woche nur knapp. Der Streit geht bis hin zu persönlichen Anfeindungen. Aus der EVP kam der Vorwurf, der für Umwelt- und Klimafragen zuständige Kommissar Frans Timmermans habe einzelne Abgeordnete unter Druck gesetzt und gedroht: Sollte die EVP bei ihrer Haltung bleiben, werde er die neue Gentechnik-Verordnung stoppen. In der Umgebung von Timmermans wird das heftig dementiert. Sehr wohl gebe es aber eine Verbindung zum Vorhaben, den Einsatz von Pestiziden in der EU bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu senken: Auch dieses Gesetz wird vor allem von CDU und CSU in Brüssel bislang abgelehnt.

Timmermans, ein Sozialdemokrat, sagte zuletzt in einer Rede im Parlament, das eine sei vom anderen nicht zu trennen. Ein Gesetz, das neue Gentechniken erlaube, werde die Öffentlichkeit nicht akzeptieren, wenn es nicht erkenntlichen Nutzen für die Umwelt bringe. Deshalb müsse die EU zugleich zeigen, dass sie es ernst meine mit ihrem Versprechen, die europäische Landwirtschaft werde deutlich weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen. Timmermans empfahl das Paket aus Pestizidreduktion und Gentechniköffnung als Mittel des Interessenausgleichs im Parlament.

Erst wenn es eine Verständigung innerhalb des Parlaments gibt, können im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren die finalen Verhandlungen mit dem Rat der Mitgliedsländer beginnen. Auch dort stocken die Verhandlungen über das Pestizidgesetz. Viele Regierungen, auch die deutsche, haben Bedenken. Ob hier eine Verknüpfung mit neuen Gentechniken Bewegung in die Verhandlungen bringt, ist offen. Für alle Gesetze wird die Zeit langsam knapp, denn die Verfahren dauern Monate. Und im Juni nächsten Jahres finden schon die Europawahlen statt.

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