Prognose:Deutschland bremst Europas Konjunktur aus

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Ein Faktor in der Prognoseberechnung der Ökonomen ist die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft: Montage eines Getriebes. (Foto: Felix Kästle/dpa)

Die deutsche Wirtschaft stagniert und belastet das Wachstum der gesamten EU. Aus Brüsseler Sicht könnte es 2025 wieder verstärkt aufwärtsgehen - Europas größte Volkswirtschaft dürfe ihre strukturellen Probleme aber nicht ignorieren.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Paolo Gentiloni gab sich alle Mühe, noch Optimismus zu verbreiten. Aber es war nicht zu übersehen, dass es dem EU-Wirtschaftskommissar zunehmend schwerfällt, die Lage noch positiv zu deuten. Irgendwie darüber zu sprechen, dass es morgen schon besser aussehen könnte, dass Europa absehbar aus seinen Krisen herauswächst und die Wohlstands- und Kaufkraftverluste durch Krieg und Inflation wieder ausgleichen kann. "Die Bedingungen für einen Aufschwung sind weiterhin gegeben", sagte Gentiloni lediglich, als er am Donnerstag in Brüssel die Winter-Konjunkturprognose der EU-Kommission vorstellte.

Was im Umkehrschluss bedeutet: Diese Bedingungen sind derzeit nicht erfüllt. Europas Wirtschaft stagniert weitgehend, und die Aussichten für das laufende Jahr haben sich im Vergleich zur vorherigen Prognose im Herbst eher noch eingetrübt. Das hat viel mit Deutschland zu tun: Die deutsche Wirtschaft werde 2024 nur um 0,3 Prozent wachsen, erwartet die Kommission, 0,5 Prozentpunkte weniger als noch im Herbst. Unter den 20 Euro-Ländern belegt die Bundesrepublik damit den letzten Platz. Für die gesamte EU rechnet die Behörde mit einem Wachstum von 0,9 Prozent. In ihrer Herbstprognose hatte die Kommission noch 1,2 Prozent erwartet.

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: EU-Kommission)

Deutschland ist damit zum Bremsklotz für die europäische Konjunktur geworden. Im vergangenen Jahr sei Deutschlands Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft, schätzt die Kommission, wegen einer toxischen Mischung: "Die hohen Bau- und Kreditkosten, der Arbeitskräftemangel und die hohen Energiepreise drückten die Investitionen im Baugewerbe und in energieintensiven Sektoren", schreibt die Kommission. Wegen der anhaltend hohen Inflation hatten die Bürger weniger Geld zum Ausgeben gehabt, weshalb der private Konsum lahmte.

"Die Aussichten auf einen Anstieg in diesem Jahr sind sehr schlecht", sagte Gentiloni. Deutschland habe einen starken Einfluss auf die anderen Volkswirtschaften Europas. Das sei "natürlich eine Herausforderung für uns alle". Mit Blick auf 2025 sehe die Lage schon besser aus, sagte der Italiener, wobei man die "strukturellen Probleme" der größten europäischen Volkswirtschaft nicht ignorieren dürfe: eine alternde Gesellschaft bei anhaltendem Fachkräftemangel, die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft im Zeitalter der Deglobalisierung und die bedrohte Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie. Die restriktive Haushaltspolitik, zu der das Bundesverfassungsgericht die Ampelregierung im Herbst gezwungen hatte, belaste die kurzfristigen Wachstumsaussichten zusätzlich.

Noch einmal dramatischer klang das am Donnerstag bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Sie rechnet erneut mit einer schrumpfenden Wirtschaft in Deutschland und erwartet für 2024 ein Minus von 0,5 Prozent. "Die Krise ist da", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Dem werde sich die Regierung stellen müssen. Der Umfrage zufolge will ein Drittel der Betriebe weniger in Deutschland investieren, und nur 24 Prozent der Unternehmen streben höhere Investitionen an. Das belastet typischerweise auch die langfristigen Wachstumsaussichten.

2024 könnte sich die Inflation normalisieren

In Brüssel würde es nicht zum Stil der Institutionen passen, derart schwarzzumalen. Gentiloni beschrieb denn auch zwei klare Lichtblicke. Erstens dürfte 2024 das Jahr werden, in dem sich die Inflation endlich normalisiert. Die Teuerungsrate sei bereits 2023 schneller als erwartet gesunken und werde sich bis Ende des Jahres auf 2,7 Prozent nahezu halbieren, sagt die Kommission voraus. Den Grund dafür sehen die Brüsseler Konjunkturexperten vor allem in den niedrigeren Energiepreisen. Im Großhandel seien diese schneller gefallen als in der Herbstprognose geschätzt. "Die Einzelhandelspreise für Energie dürften daher weiter sinken und der EU helfen, einen Teil der während der Energiekrise verlorenen Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen", heißt es. 2025 könnte sich die Inflation beim von der Europäischen Zentralbank angestrebten Ziel von etwa zwei Prozent einpendeln.

Der zweite Lichtblick ist ein - wenn auch regional sehr unterschiedlich - robuster Arbeitsmarkt. Der habe im vergangenen Jahr seine Widerstandskraft bewiesen, sagte Gentiloni, die Beschäftigung sei weiter gestiegen, und die Arbeitslosenrate sei im Dezember auf ihrem historischen Tief geblieben. Allem Anschein nach werde der Arbeitsmarkt der Konjunkturschwäche weiterhin trotzen können.

Die Huthi-Angriffe im Roten Meer wirken sich bislang kaum aus

Nun kommt in Kriegszeiten keine Konjunkturprognose mehr aus ohne Verweis auf die neuen geopolitischen Spannungen und die hohe Unsicherheit, unter der die Ökonomen der Kommission ihre Modellrechnungen anstellen. Russlands Krieg in der Ukraine lastet auf den Wachstumsaussichten; die Gefahr einer Eskalation im Nahen Osten ist unkalkulierbar. Die Bedrohung des Schiffsverkehrs im Roten Meer habe bislang noch keinen starken inflationären Effekt, schreibt die Kommission. Spitzt sich die Lage dort zu, könne es jedoch zu "erneuten Versorgungsengpässen" kommen, die "die Produktion abwürgen und die Preise in die Höhe treiben".

Vielleicht, so schwingt das im Subtext der Veröffentlichungen der Kommission mit, geht es wieder glimpflich aus für Europas Wirtschaft. Aber wer weiß das schon? Die jüngsten, auch schon unguten Prognosen waren jedenfalls alle ein wenig zu optimistisch.

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