Breton gegen Musk:EU leitet Verfahren gegen X wegen Hamas-Videos ein

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Elon Musks Plattform X ist für den Milliardär, der das Unternehmen vor einem Jahr kaufte, bislang ein Minusgeschäft. (Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters)

Geisel-Aufnahmen, Antisemitismus-Posts, Gewalt-Aufrufe: EU-Kommissar Thierry Breton erhöht wegen solcher Inhalte den Druck auf Elon Musk und dessen Kurznachrichtendienst.

Von Jannis Brühl und Jan Diesteldorf, Brüssel

Fast alle Bausteine sind nun an ihrem Ort in Thierry Bretons Reich, und er zählt sie mit den Fingern auf: das Datengesetz, das die Nutzung digitaler Daten regelt, dazu die Gesetze über digitale Märkte und digitale Dienstleistungen. Und die Regeln für künstliche Intelligenz sind auch bald fertig. Der EU-Kommissar sagte am Donnerstag: "Endlich der eine digitale Markt, vereinigt unter denselben Regeln." Es sind in großen Teilen seine Regeln, und an Elon Musk und seiner Plattform X, ehemals Twitter, statuiert Breton das erste Exempel.

X wurde - wie auch die Plattformen Tiktok und Facebook - nach dem Angriff der Hamas auf Israel mit brutalen Videos geflutet. Ebenso wie mit irreführenden Bildern aus anderen Konflikten und Verherrlichungen von Gewalt gegen Juden wie Palästinenser. Ein Anlass für Breton, einige Briefe zu schreiben. Am Dienstag schrieb er also an X. Dessen CEO - manche sagen: Musks Strohfrau - Linda Yaccarino beantwortete diesen nach 24 Stunden ausgiebig und gelobte Besserung.

Dennoch hat Breton nun auch offiziell ein Verfahren gegen X eingeleitet - erstmals seit Verabschiedung der verschärften europäischen Digital-Gesetze. Als ersten Schritt der Ermittlungen habe die Kommission Informationen bei X angefordert, sagte Breton. Es gehe um "das mutmaßliche Verbreiten illegaler Inhalte und Desinformation, insbesondere von terroristischem und gewaltvollen Inhalten und Hassrede". X solle der Kommission bis zum 18. Oktober mitteilen, wie es mit Hinweisen und Beschwerden über die illegalen Beiträge umgehe und die Risiken kontrolliere, die von diesen Beiträgen ausgingen. Der genaue Wortlaut der Anfrage ist nicht bekannt. X gilt nach dem seit August geltenden Gesetz über digitale Dienstleistungen als "sehr große Online-Plattform" und unterliegt damit strengen Regeln.

"Ich drohe niemandem", sagt Breton

Binnenmarktkommissar Breton ist jetzt sogenannter "Enforcer". Er ist also Vollstrecker der Regeln, die den Tech-Konzernen von Silicon Valley bis Peking zeigen sollen, dass sie sich der EU unterzuordnen haben. Den demokratisch beschlossenen Regeln, sagte Breton. Er sagt auch: "Ich drohe niemandem." In der Mitteilung zu seinem Brief an X steht allerdings klar: Kommen die Informationen nicht pünktlich oder seien irreführend, können Strafzahlungen fällig werden. Die fallen unter dem neuen Gesetz vergleichsweise hoch aus, damit auch reiche Silicon-Valley-Konzerne sie nicht so einfach schlucken können. Musks Plattform X ist für den Milliardär, der das Unternehmen vor einem Jahr kaufte, bislang ein Minusgeschäft.

Schon Anfang der Woche hatte Breton Musk auf X öffentlich ermahnt und in einem Brief kritisiert, dass X Inhalte zur Gewalt in Nahost nicht konsequent lösche. Im Laufe der Woche hatte Breton noch zwei weiteren mächtigen Tech-Managern Briefe geschrieben: Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Shou Zi Chew vom chinesischen Kurzvideo-Netzwerk Tiktok. Breton ermahnte beide, die Regeln des DSA zu beachten, und bat wie im Fall von Musk um rasche Antwort.

Bei Facebook geht es der Kommission vor allem um Wahlen: Bei der jüngsten Abstimmung in der Slowakei habe man eine hohe Zahl manipulierter Bilder - sogenannter Deep Fakes - und Inhalte entdeckt, die teils immer noch online seien. Das schreibt Breton. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Polen, den Niederlanden, Litauen und anderen Mitgliedstaaten sowie auf die Europawahlen im kommenden Jahr solle Facebooks Mutterkonzern Meta zügig darlegen, was das Unternehmen gegen solche Manipulation und Missbrauch tue.

Breton ist zuversichtlich, dass sich Musk schon unterordnen wird

Der Brief an Tiktok ist schärfer im Ton. Auf der Plattform, die Millionen Kinder und Jugendliche nutzen, kursierten Gewaltdarstellungen aus Israel, Videos der Geiselnahmen und andere drastische Bilder. Der Jugendschutz ist dort aus Bretons Sicht mangelhaft. Tiktok schaffe es außerdem nicht, verlässliche Informationen von Terrorpropaganda zu trennen und Desinformation zu löschen.

Wie er vorgehen würde, wenn Musk ihn in seiner üblichen arroganten Art ignorieren und auch Strafzahlungen verweigern sollte? "Wenn nichts passiert, können wir uns von einem Richter die Erlaubnis holen und einen Dienst für eine Zeit abschalten. Es ist einfach", sagt Breton. Europas Demokratie schreibe schließlich die Regeln. Nichtregierungsorganisationen verweisen allerdings darauf, dass Abschaltungen von Online-Diensten ziemlich undemokratisch seien: Es schneide Menschen von richtigen Informationen ab.

Wie Breton einen Dienst mit seinen Millionen Nutzern genau abschalten würde - ob dann etwa wirklich Polizisten bei Twitter in Dublin einlaufen und Computer beschlagnahmen würden -, lässt er offen. Er sei aber zuversichtlich, Musk und andere Plattform-Chefs würden sich schon unterordnen. "Es ist ja nichts Persönliches", sagt der Vollstrecker des digitalen Europas.

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