Der Gesetzentwurf war brisant, die Reaktion heftig: Als zu Jahresbeginn ein im Stillen erarbeiteter schwarz-gelber Vorstoß bekannt wurde, den Export von Atommüll ins Ausland grundsätzlich zu erlauben, hagelte es Protest. Umweltschützer sprachen von einem Dammbruch und sahen schon Castor-Transporte nach Russland rollen. Man setze nur formal eine EU-Richtlinie um, wiegelte die Regierung ab und verwies Ausfuhrpläne für Atommüll ins Reich der Fabel.
Absicht der Bundesregierung sei, ,,dass wir unseren Abfall bei uns lagern'', sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) nannte eine Endlagerung im Ausland gar ,,Unsinn''. Umweltschützer, so die Lesart der Berliner Dementis sollten sich mal keine Sorgen machen. Den Export strahlender Abfälle wolle ohnehin niemand. Wirklich nicht?
Tatsächlich arbeiteten Teile der deutschen Atombranche bis in die jüngere Vergangenheit an konkreten Plänen für die höchst umstrittene Entsorgung strahlenden Mülls im Ausland. Das zeigen vertrauliche Dokumente aus der Atomwirtschaft, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Sie belegen, dass Nuklearmanager schon vor Jahren hinter verschlossenen Türen heimlich damit begannen, Alternativen zu einem deutschen Endlagerkonzept zu suchen. Man wollte die strahlende Hinterlassenschaft dort entsorgen, wo es deutlich billiger und unkomplizierter schien als im Ausstiegsland Deutschland: in den Weiten Russlands, wo die Umweltstandards viel niedriger sind. Selbst Präsident Wladimir Putin war angeblich involviert. Die Gefahr einer Billigentsorgung der gefährlichen Altlast sei real, warnt deshalb die Opposition und fordert schärfere Atomgesetze.
Manager verfolgen ein heikles Ziel
Beim Energiekonzern EnBW, der zuletzt schon mit undurchsichtigen Geschäften um den Einsatz von Militäruran und dubiosen Millionentransfers an den russischen Lobbyisten Andrey Bykow in die Schlagzeilen geriet, verfolgten Manager ein heikles Ziel: Atomare Betriebs- und Stilllegungsabfälle in Russland zu lagern. Nicht nur beim Rückbau eines Kernkraftwerks hoffte man bei Deutschlands drittgrößtem Stromkonzern auf Hilfe wie die Behandlung und Lagerung von Komponenten im östlichen Riesenreich. Es ging auch um ausgediente Brennelemente. Und sogar eine Endlager-Option stand den Dokumenten zufolge im Raum.
EnBW steht bei der Entsorgung unter Druck, denn kein anderer deutscher Energiekonzern hängt so stark von Atomkraftwerken ab wie das Unternehmen aus Karlsruhe. Und so soll im September 2006 mit dem Vorstand auch der höchste Führungszirkel vom Chef der Atomtochter Hans-Josef Zimmer und dem kaufmännischen Geschäftsführer der Atomsparte, Wolfgang Heni, über eine höchst brisante mögliche Kooperation mit Russland informiert worden sein. Der Rückbau des 2005 stillgelegten EnBW-Meilers Obrigheim etwa könne ,,optimiert werden, durch langfristige Zwischenlagerung von radioaktiven Abfällen und Endlagerung in einem international zugänglichen Lager (Option)'', heißt es in einer Präsentation der beiden Manager für den Vorstand, die auf den 20. September 2006 datiert ist. Damit nicht genug, Zimmer und Heni gingen noch weiter: Als Optimierungspotenzial stellen sie den ,,Aufbau einer Rückbauinfrastruktur im Ausland zur Vermeidung der langwierigen deutschen Genehmigungsverfahren'' vor.
Ausland lockt mit weniger Papierkram
Im Klartext: Teile des strahlenden Meilers sollten im Ausland verschrottet werden - da, wo Behörden weniger lästigen Papierkram verlangen. Offenbar hoffte man gar, die Pläne zur Blaupause für den Abriss anderer Meiler zu machen. Denn das Papier erwähnt auch die "Nutzbarmachung für weitere Rückbauprojekte".
Selbst bei hochradioaktiven Brennelementen hoffte man aus Russland. EnBW habe für Russland so etwas wie ein Brückenkopf für das Geschäft mit dem westeuropäischen Müll werden sollen, heißt es aus Konzernkreisen. Das Ziel: Auch anderen AKW-Betreibern sollte das Müll-Modell der Karlsruher offen stehen. Russland sollte offenbar im großen Stil westlichen Atommüll abnehmen.