Windräder und Solarparks statt Atom-Meiler und Kohlekraftwerke: Dass die Energiewende notwendig ist, daran besteht bei den meisten Deutschen kein Zweifel. Trotzdem gibt es kaum ein Thema, das politisch so umstritten ist. Vor allem die hohe Ökostrom-Umlage treibt Verbraucher auf die Barrikaden. Viele würden das Rad der Energiegeschichte am liebsten zurückdrehen: In einer Umfrage von Bil d wünschten sich vor Kurzem 65 Prozent der Befragten die Kernkraft zurück. Abgestimmt haben mehr als 100.000 Leser. So etwas nennt man dann wohl eine erfolgreiche Kampagne der Atomstrom-Lobby.
Doch das Getöse der EEG-Umlage, die im nächsten Jahr auf 5,28 Cent je Kilowattstunde steigen wird, ist nur ein Teil der Wahrheit. Was Industrievertreter und konservative Politiker lieber nicht sagen: Atom- und Kohleenergie kosten die Verbraucher unter dem Strich deutlich mehr als Ökostrom. Das zeigt eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). "Konventionelle Energien verursachen deutlich mehr Kosten, als den Stromkunden direkt in Rechnung gestellt wird", sagt Eike Meyer, stellvertretender Geschäftsführer beim FÖS.
Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes bestätigt: "Nicht nur Atomkraft, sondern auch Kohle sind über Jahrzehnte vom Steuerzahler subventioniert worden. Das sind deutlich höhere Kosten als das, was wir im Augenblick für die Energiewende und für die erneuerbaren Energien ausgeben." Diese hohen Ausgaben fallen jedoch nicht auf, weil die horrenden Fördermittel für Atom- und Kohlestromlieferanten nicht auf der Stromrechnung auftauchen.
"Die versteckten Zusatzkosten zahlen die Verbraucher durch Steuern und Abgaben", sagt Meyer. Wie viel genau, das zeigt die Studie des FÖS im Auftrag von Greenpeace Energy und dem Bundesverband Windenergie. Demnach profitieren konventionelle Energien seit Jahrzehnten von einer umfangreichen staatlichen Förderung. So wurde Atomstrom seit 1970 mit mindestens 187 Milliarden Euro gefördert (Grafik), Energie aus Stein- und Braunkohle mit 177 Milliarden beziehungsweise mit 65 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu kommen erneuerbare Energien gerade einmal auf 54 Milliarden Euro.
Aber anders als die Erneuerbaren werden konventionelle Energien vor allem durch Finanzhilfen und Steuervergünstigungen gefördert, die den Staatshaushalt belasten. Im Zeitraum von 1970 bis 2012 wurde erneuerbar erzeugter Strom mit durchschnittlich 3,4 Cent je Kilowattstunde gefördert. Braunkohlestrom profitierte von staatlichen Mitteln in Höhe von 1,3 Cent und Steinkohle von 3,3 Cent. Atomenergie weist mit 4,0 Cent je Kilowattstunde den höchsten Förderwert auf.
Doch damit ist es nicht getan. Was in dieser Berechnung fehlt, sind die gesamtwirtschaftlichen Folgekosten, die den Erzeugern nicht direkt zugeschrieben werden, und für die sie nicht aufkommen müssen. Das gilt für die Folgekosten der Endlagerung von Atommüll, Klimaschäden, Umweltverschmutzung oder nukleare Unfälle. "Im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien werden wir die Folgekosten von Kohle- und Atomstrom auch noch Jahre nach dem Abschalten der Kraftwerke bezahlen müssen", ergänzt FÖS-Experte Meyer.
Deshalb summiert die FÖS-Studie auch die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten der Stromerzeugung auf. So gerechnet trägt die Gesellschaft im Jahr 2012 bei einer Kilowattstunde Windstrom Kosten von 8,1 Cent und bei Wasserstrom 7,6 Cent. Steinkohle beläuft sich auf 14,8 Cent. Atomstrom kommt je nach Bandbreite der angesetzten externen Kosten mindestens auf 16,4 Cent, im höchsten Fall auf 42,2 Cent. Den vergleichsweise hohen Wert bei Fotovoltaik von 36,7 Cent stellen die FÖS-Experten in Relation zur Markteinführung der Atomenergie. Solarstrom ist derzeit vor allem wegen der hohen Anfangsinvestitionen für den Bau von Fotovoltaikanlagen relativ teuer. Vergleicht man diese Ausgaben aber mit den frühen Jahren der Kernenergie, dann zeigt sich, dass die staatliche Unterstützung für Atomstrom mit mehr als 60 Cent je Kilowattstunde damals fast doppelt so hoch lag.
"Diese Zahlen zeigen, dass einige erneuerbare Energien heute schon günstiger sind als konventionelle Energieträger, wenn außer dem Strompreis auch die Kosten von staatlichen Förderungen sowie die Kosten für Umwelt- und Klimabelastung sowie nukleare Risiken einbezogen werden", stellt Meyer fest. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Jochen Luhmann vom "Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie". "Wir müssen die Frage stellen, ob Strom mit Energiewende wirklich teurer wäre als ohne. Die entsprechenden Untersuchungen zeigen inzwischen, dass die Variante mit Energiewende die billigere ist."
Dass der Ausbau von Ökostrom schon heute einen dämpfenden Effekt auf die Gesamtkosten hat, rechnet die Agentur für Erneuerbare Energien vor. Demnach konnte Deutschland 2011 dadurch auf den Import von fossilen Energieträgern im Wert von sechs Milliarden Euro verzichten. Fest steht schon jetzt, diese Einfuhren werden in den nächsten Jahren nicht billiger. 2011 musste Deutschland für den Import fossiler Energierohstoffe mehr als 80 Milliarden Euro ausgeben. Bei gleichbleibenden Mengen dürften diese Ausgaben bis 2020 auf 120 Milliarden Euro steigen, prognostiziert die Agentur für Erneuerbare Energie.
Rohstoffexperten erwarten, dass die Preise für Kohle, Gas und Erdöl in den nächsten Jahren drastisch steigen werden - und das nicht nur, weil die weltweite Nachfrage steigt. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Vorräte an Erdöl, Gas und Kohle zur Neige gehen. Selbst die konservative Internationale Energieagentur (IEA) in Paris ist der Meinung, dass das weltweite Fördermaximum bei Erdöl, dem wichtigsten Energielieferanten überhaupt, bereits überschritten ist.