Börse:Der Dax ist fest in ausländischer Hand

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"Made in Germany ist eben sehr attraktiv für ausländischen Investoren." (Foto: Boris Roessler/dpa)

Der deutsche Aktienindex ist ein Abbild der deutschen Wirtschaft? Von wegen. Längst geben ausländische Investoren den Ton an. Das kann durchaus gefährlich werden.

Von Victor Gojdka

Kurz vor der "Tagesschau" flimmert über Millionen Fernsehschirme zuverlässig die bekannteste Tafel Deutschlands. Die Kamera zoomt über die Köpfe der Börsenhändler hinweg zu einer Linie auf der Tafel, die mal nach oben weist, mal nach unten, manchmal zuckt, als wisse sie selbst die Richtung nicht. Der Blick auf den Dax ist für viele Menschen zu einem Ritual zwischen Abendbrot und Couch geworden. Millionen Zuschauer dürften den Leitindex für ein Abbild der deutschen Wirtschaft halten. Sie irren.

Zahlen der Beratungsgesellschaft EY zeigen, dass inzwischen längst ausländische Investoren den Ton angeben. Während sich nur noch 31,3 Prozent der Dax-Aktien deutschen Anlegern zuordnen lassen, sind mehr als 52 Prozent in der Hand von ausländischen Investoren. "Made in Germany ist eben sehr attraktiv für ausländischen Investoren", sagt Anlagestratege Chris-Oliver Schickentanz von Capitell Vermögens-Management.

Für deutsche Sparerinnen und Sparer ist diese Erkenntnis bitter, schließlich schütten die 40 Dax-Konzerne dieses Jahr 52 Milliarden Euro an Dividenden aus. "Von den Rekorddividenden profitieren inzwischen in erster Linie Anleger im Ausland", sagt Studienautor Henrik Ahlers von der Beratungsgesellschaft EY. Nach Rechnungen der Berater fließen nur 20 Milliarden Euro der gesamten Dividendensumme tatsächlich auf deutsche Konten.

Besonders stark sind ausländische Investoren beim Wohnungsgiganten Vonovia, der Deutsche Börse selbst sowie beim Chemikalienhändler Brenntag, hier sind jeweils mehr als 80 Prozent aller Anteile in ausländischem Besitz. Darunter finden sich beispielsweise Großanleger wie der norwegische Staatsfonds, die Anlagegesellschaft Blackrock und eine Vielzahl ausländischer Fondsgesellschaften.

Sind Adidas, BMW oder Zalando in Wirklichkeit also keine deutschen Konzerne mehr? Wer rein auf die Herkunft der Anlegerinnen schaut, könnte das denken. Gerade einmal bei acht der 40 Dax-Konzerne können die EY-Experten überhaupt zweifelsfrei nachweisen, dass deutsche Anlegerinnen und Anleger noch die Mehrheit der Anteile halten. Darunter befinden sich einstige Volksaktien wie die Deutsche Telekom, der Chemiekonzern BASF oder der Konsumgüterriese Beiersdorf.

Umgekehrt dominieren in den allermeisten Dax-Konzernen längst ausländische Investoren: Über Klimaziele, Chefvergütungen und manche Personalrochade entscheiden damit Investoren aus dem Ausland zumindest mit. Die USA beispielsweise sind längst nicht mehr bloß ein wichtiger Absatzmarkt für deutsche Unternehmen. "Zudem haben auch einige sehr bedeutende institutionelle Investoren hier ihren Sitz, die aktiv Einfluss auf die geschäftliche Ausrichtung der deutschen Unternehmen nehmen", sagt EY-Mann Henrik Ahlers.

Ausländische Anlagegesellschaften könnten also auch Moralvorstellungen von Drittstaaten oder ausländische Sanktionen in ihre Entscheidungen einfließen lassen. In Zeiten, in denen die europäische Wirtschaftspolitik eine neue Linie zwischen den wirtschaftlichen Supermächten USA und China sucht, lassen solche Zahlen aufhorchen.

Zum ganzen Bild gehört jedoch auch, dass die deutschen Konzerne ohne ihren internationalen Charakter schlechter dastünden. So machen die 40 Dax-Konzerne nur noch 20 Prozent ihres Umsatzes im eigenen Land. Auf Asien entfallen ebenfalls rund 20 Prozent, auf die USA grob 30 Prozent, den Rest des Umsatzes erwirtschaften die Konzerne im restlichen Europa. Außerdem würden deutsche Aktien ohne die Auslandsinvestoren an der Börse seltener gehandelt, damit fielen auch Qualität und Belastbarkeit der Kurse schlechter aus.

"Nur darauf zu setzen, ist eher ungesund"

Anlegerinnen und Anleger können aus diesen Erkenntnissen den Schluss ziehen: Statt mehr in Deutschland zu investieren, sollten sie nach Meinung vieler Anlageexpertinnen eher weniger auf das Heimatland setzen. "Der deutsche Aktienmarkt macht nicht einmal drei Prozent des Gewichts der gesamten Weltbörsen aus", sagt Anlagestratege Philipp Dobbert von der Quirin-Privatbank. In den Portfolios der Deutschen machen heimische Aktien laut Daten der Bundesbank jedoch immer noch mehr als die Hälfte ihres Aktienanteils aus.

Stärker als in anderen Ländern hängen Sparer mit deutschen Aktien jedoch am Lauf der Weltkonjunktur, machen sich stark abhängig von einigen wenigen Auto- und Chemiekonzeren und anderen Unternehmen aus der Industrie. "Nur darauf zu setzen, ist eher ungesund", sagt Anlagestratege Chris-Oliver Schickentanz von Capitell Vermögens-Management. Am Ende könnten Anleger nicht nur mit ihrem Anlagegeld am Lauf der deutschen Wirtschaft hängen, sondern auch mit ihrem Job.

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