Wirtschaftswachstum:Der Aufschwung ist vorerst vorbei

Wirtschaft: Triebwerkfertigung bei Rolls-Royce

Die deutsche Wirtschaft hat ihren Schwung verloren. Richtig schlecht läuft es aber nicht: Die Zahl der Arbeitslosen etwa ist gering. Im Bild: Triebwerkfertigung in Deutschland.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
  • Das Wirtschaftswachstum lag im vergangenen Jahr nur noch bei 0,6 Prozent.
  • Damit endet eine der längsten Aufschwungphasen seit dem Zweiten Weltkrieg.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Hagelüken

Abschied vom Boom: Die deutsche Wirtschaft wuchs 2019 so schwach wie seit sechs Jahren nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt nahm nur um 0,6 Prozent zu, meldet das Statistische Bundesamt. Damit endet eine der längsten Aufschwungphasen seit dem Zweiten Weltkrieg. Fast zumindest: Mit dem Mini-Wachstum liegt Deutschland nicht nur deutlich unter dem Vorjahreswert von 1,5 Prozent, sondern auch europaweit hinten: Sowohl die Eurozone als auch die gesamte Europäische Union der 27 wachsen mehr als doppelt so stark. Und auch im internationalen Maßstab liegt die deutsche Volkswirtschaft hinten: Die USA, China und Großbritannien und selbst Japan wachsen kräftiger.

Die Aussichten für 2020 sind kaum besser, warnen Ökonomen. Der Staat aber schwimmt im Geld: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen erzielten einen enormen Überschuss von 50 Milliarden Euro.

"Nach dem langen Aufschwung seit der Finanzkrise gibt es eine Konjunkturdelle, aber die noch im Sommer befürchtete Rezession blieb aus", analysiert Torsten Schmidt vom RWI-Instituts für Wirtschaftsforschung. Die deutsche Wirtschaft ist zweigeteilt.

Auf der einen Seite wird die Industrie von der internationalen Nachfrageschwäche getroffen, die beispielsweise die Strafzölle von US-Präsident Donald Trump auslösen. Die Autohersteller belastet die Umstellung auf Elektromobilität.

Auf der anderen Seite steht der Konsum. "Die Deutschen konsumieren überraschend viel", sagt Konjunkturforscher Schmidt. "Auch die Beschäftigung bleibt hoch, was positiv auf die Konjunktur wirkt. Es liegt an der heimischen Nachfrage, dass die befürchtete Rezession ausbleibt."

In Deutschland vollzieht sich also ein Paradigmenwechsel. Wachstumstreiber sind inzwischen der private und staatliche Konsum sowie Dienstleistungen, besonders Kommunikation, Finanzierungen und Gastgewerbe.

"Die deutsche Industrie wird nach wie vor zu kämpfen haben"

Dieses Jahr sieht es für die deutsche Konjunktur etwas besser aus. Die globale Entwicklung dürfte aber weiter belasten. So verlässt mit Großbritannien die zweitgrößte Wirtschaftsmacht die EU, was auch deutsche Unternehmen spüren. Der Irankonflikt treibt zumindest vorübergehend den Ölpreis hoch. Und Donald Trump will zwar an diesem Mittwochabend ein Teilabkommen im Handelsstreit mit China unterzeichnen, wesentliche Streitpunkte sind jedoch ungelöst. Und Trump kündigte bereits an, als Nächstes Europa ins Visier zu nehmen.

"Die deutsche Industrie wird nach wie vor zu kämpfen haben", erwartet Torsten Schmidt. "Es bleibt das Risiko, dass diese Schwäche auf Konsum und Arbeitsmarkt übergreift." Das RWI-Institut rechnet für 2020 mit 1,1 Prozent Wachstum. Bereinigt um die außergewöhnlich wenigen Feiertage in diesem Jahr wären das aber nur 0,7 Prozent. Immerhin: Die Arbeitslosenquote soll sogar leicht schrumpfen - von fünf auf 4,9 Prozent.

Deutliche Belebung erst im kommenden Jahr

Mit einer richtigen Konjunkturbelebung rechnet das RWI wie viele andere Institute erst für 2021. Dann dürfte die deutsche Wirtschaft wieder um solide 1,5 Prozent wachsen. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die internationale Lage wie erwartet verbessert.

Die vollen öffentlichen Kassen in Deutschland dürften eine neue Debatte entfachen, was die Bundesregierung für die Konjunktur tun kann. Allein der Bund erzielte 2019 dank unerwartet hoher Steuereinnahmen einen Überschuss von 13,5 Milliarden Euro. Rechnet man die nicht genutzte Rücklage von 5,5 Milliarden Euro hinzu, sind es sogar 19 Milliarden Euro. Bislang sind davon nur knapp zwei Milliarden Euro verplant worden.

Die Union fordert eine Senkung der Unternehmenssteuern und eine völlige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Die SPD spricht sich unter anderem für ein langfristiges Investitionspaket aus. Konjunkturexperte Schmidt lehnt Konjunkturpakete für die kurzfristige Nachfrage aus. "Stattdessen sollte die Regierung ins künftige Wachstum investieren, durch Investitionen in Bildung und digitale Infrastruktur."

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