Netzbetreiber vs. Apple:Wer hat das Sagen in den Netzen?

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Überall Apple: Das Logo des Silicon-Valley-Konzerns spiegelt sich auf der Fassade von Geschäftsimmobilien. (Foto: imago images)

Verschlüsselt surfen via Apple - schützt das die Nutzer besser? Warum Mobilfunkanbieter wie die Telekom gegen die Funktion iCloud Private Relay kämpfen.

Von Jannis Brühl, Helmut Martin-Jung und Benedikt Müller-Arnold, München/Köln

Anzeigen, die einen beim Surfen förmlich verfolgen, und dieses unheimliche Gefühl, was Datensammler im Netz alles über einen wissen. Vielen Menschen ist nicht wohl dabei, dass andere über ihre Daten verfügen. Apple hat das als Werbeargument erkannt - auch um sich von Konzernen wie Facebook abzugrenzen - und verkauft sich als Hüter der Privatsphäre seiner Nutzer. Jüngstes Beispiel ist sein Dienst namens iCloud Private Relay. Er verschlüsselt Daten und verhindert, dass Dritte das Surfverhalten nachvollziehen können. Zugänglich ist der Dienst nur einigen Kunden, die ein kostenpflichtiges Angebot von Apples Speicherdienst iCloud nutzen.

Mobilfunk-Netzbetreiber sind wenig begeistert. Als Anbieter der Infrastruktur sind sie bisher in einer besonderen Stellung: Sie können sehen, was Nutzer online tun. Zu den Daten, die sie erfassen können, gehören die IP-Adresse, die sich dem Anschluss einer Person zuordnen lässt, oder die besuchten Webseiten. Auch Betreiber von Websites können so erkennen, von wo aus diese besucht worden sind.

Wer Private Relay einschaltet, sendet seinen Internetverkehr Apple zufolge nur noch verschlüsselt in die Welt, aufgeteilt über zwei verschiedene Zwischenstationen. Das verwirrt Schnüffler, denn die können zwar die IP-Adresse des Surfenden erkennen, aber diese Information nicht mehr mit den besuchten Webseiten kombinieren. Einzeln sind die Daten praktisch nutzlos. Im Unterschied zu klassischen Anbietern von virtuellen privaten Netzwerken (VPN) weiß Apple selbst bei dieser Technik nicht, wer was genau im Internet treibt.

Die Frage ist nun, wer hier seine Macht ausspielt: die Netzbetreiber, weil sie sich gegen die Technik von Apple wehren und damit womöglich ein Unternehmen diskriminieren, das ihre Netze nutzt, aber ihnen nicht passt? Oder Apple, das seine große Nutzerbasis schlagartig in die Lage versetzt, die Netze von Telekom und Co. zu nutzen, ohne dass die Anbieter an verwertbare Informationen über sie kommen, wie sie es gewohnt sind? Es geht darum, dass Apple den Netzbetreibern ihren Zugriff auf die Daten ihrer Nutzer streitig macht. Aus Nutzersicht funktionieren die Verbindungen genauso gut wie vorher.

Appell an die EU-Kommission

Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Die Chefs der großen Netzbetreiber Deutsche Telekom, Vodafone aus Großbritannien, Telefónica aus Spanien und Orange aus Frankreich jedenfalls haben bereits im vergangenen August einen bösen Brief an EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton verschickt. "Wir schreiben Ihnen, um ein dringendes Anliegen vorzubringen", mahnen die Konzernchefs.

Die Art und Weise, wie Apple das neue Verfahren Private Relay einführe, werde die "digitale Souveränität" Europas untergraben, heißt es darin. Die Funktion könne "die Zuverlässigkeit des Netzes in die Hände von Dritten außerhalb Europas legen", unken die Netzbetreiber. Private Relay werde zudem Innovationen und den Wettbewerb auf nachgelagerten Märkten behindern. Die Konzerne verweisen auf Angebote wie Kindersicherungen oder Inhaltsfilter, die auf dem Netz aufbauen. Mit Private Relay könnte künftig nur noch Apple derlei Dienste anbieten.

Es gibt aber auch noch einen anderen Aspekt: Die Netzanbieter kooperieren mit Ermittlungsbehörden, wenn es um schwere Verbrechen geht. Das aber würde dann nicht mehr funktionieren. Die Daten würden dann stattdessen bei Apple landen. Netzbetreiber hätten es künftig schwerer, "das Recht durchzusetzen und unsere Werte zu schützen", heißt es in dem Schreiben der Konzernchefs.

Die Konzernchefs glauben zwar, dass Apple "mit ziemlicher Sicherheit" dem Digital Markets Act der EU unterliegen werde. Dies könnte Apple künftig an Geschäftstätigkeiten wie "Private Relay" hindern. Doch sei es unwahrscheinlich, dass das EU-Gesetz über digitale Märkte vor dem Jahr 2023 in Kraft trete. Daher forderten die Netzbetreiber die Kommission dazu auf, "unverzüglich einzuschreiten". Apple dürfe Private Relay nicht ohne Abschwächungen und Zusagen einführen, mahnen sie.

Knapp ein halbes Jahr nach dem Brandbrief zieht die Telekom Bilanz: Seitdem Apple im vorigen September die neue Version 15.0 seines Betriebssystems iOS ausgespielt habe, habe der Datenverkehr in Richtung Apple "um fast 60 Prozent" zugenommen, rechnet die Telekom vor. Apple ziehe Verkehr, der vorher durch das offene Internet gelaufen sei, auf die eigene Infrastruktur. Mit dem offenen Internet ist das allerdings so eine Sache. Mit dem Einschreiten gegen einen anderen Konzern setzen sich die Netzbetreiber dem Vorwurf aus, die Netzneutralität zu untergraben - jene Grundregel, nach der alle Daten im Netz gleich behandelt werden sollen. Ist den Konzernen vielleicht einfach nur die Anonymität der Nutzer ein Dorn im Auge - und damit die Möglichkeit, ihr Surfverhalten genau zu analysieren?

Die Telekom widerspricht aber dem Argument, Private Relay diene der Sicherheit der Nutzer. "Apple wäre in dem Moment, in dem Private Relay genutzt wird, im Besitz aller Daten", sagt ein Sprecher. Private Relay könne nicht mit einem VPN gleichgesetzt werden. Denn angesichts von 30 Millionen potenziellen Nutzern allein in Deutschland könne man nicht mehr von einem "privaten" Netzwerk sprechen. Rein technisch gesehen ist Private Relay kein VPN. Nutzer können sich damit nicht wie bei vielen VPNs als Nutzer aus einem anderen Land ausgeben, zum Beispiel um Videos zu sehen, die nicht für ihr Land freigegeben sind.

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