Werbung und Wirklichkeit gehen nicht immer zusammen, diese Erfahrung gehört zum Erwachsenwerden. Die Frage ist, wie weit sich das Spiel mit Illusionen ausreizen lässt. Wer's beim Übertreiben übertreibt, läuft Gefahr, die Kundschaft zu enttäuschen. Bei 5G - keine Angst, das ist keine neue Corona-Regel, sondern ein Mobilfunkstandard - hat die Branche diesen Punkt überschritten, zumindest ist sie nah dran. Einer Befragung der Beratungsfirma Deloitte zufolge wollen sich gut 85 Prozent der Deutschen nicht aktiv darum bemühen, in das neue Netz zu wechseln - allem Werbegetrommel zum Trotz.
Warum sollten sie auch? Was in der Werbung für Privatkunden nämlich aus gutem Grund außen vor blieb: 5G ist das erste Mobilfunknetz, das nicht vorrangig den Menschen nützt, sondern Maschinen, die damit besser untereinander kommunizieren können. Im Moment muss daher niemand befürchten, technologisch abgehängt zu werden, wenn er oder sie 5G nicht nutzt. Für das, was Smartphone-Nutzer in aller Regel tun, ist 5G schlicht nicht nötig. Soziale Netzwerke, Musik- und Videostreaming, Chatten und vieles mehr - das alles funktioniert auch mit der Vorgängertechnologie 4G genauso gut.
Apropos 4G: In den meisten Fällen ist das, was die Anbieter als 5G verkaufen, ohnehin nur ein Hybrid aus beiden Technologien. Die Verbindung wird über 4G aufgebaut, nur die reine Datenübertragung läuft dann über das neue Netz. Dies geschieht übrigens nicht unbedingt, damit die Kunden schneller bedient werden. 5G ist effizienter als 4G, die Anbieter sparen dadurch schlicht Kosten, weil es pro übertragener Dateneinheit wesentlich weniger Energie verbraucht als der Vorgänger 4G.
Vodafone bietet an einigen Standorten auch schon echtes 5G an, also ohne die Huckepack-Lösung über 4G. 5G "Standalone" heißt der Fachbegriff dafür. Doch um das nutzen zu können, braucht es auch Endgeräte, die damit umgehen können. Das gilt aber bisher nur für eine Handvoll Smartphones von Samsung und vom hierzulande noch wenig bekannten chinesischen Hersteller Oppo. Das jüngste iPhone, die Version 13, kann es jedenfalls noch nicht, an einem Software-Update wird gearbeitet, Liefertermin unbekannt. Und selbst wer ein solches Gerät und einen 5G-Mast in Reichweite hat - der Nutzen ist kaum erkennbar.
Die Industrie hat es wieder einmal geschafft, eine eigentlich vielversprechende Technologie so verkorkst einzuführen, dass die meisten Konsumenten nicht recht wissen, was sie damit anfangen sollen. Dabei gibt es genug Beispiele, wie es nicht laufen sollte: Bei Fernsehgeräten etwa gibt es eine derart große Zahl von Begriffen und Abkürzungen wie HD, UHD, 4K, HDR, Oled, HDMI und so weiter, dass ein normaler Verbraucher nicht mehr durchblickt. Immerhin, ein TV-Gerät wollen die meisten ja haben. Doch bei 5G ist ihnen der Mehrwert verborgen geblieben.
Dies hat einen einfachen Grund: Für gewöhnliche Anwender gibt es noch keinen Mehrwert. Das wird einige Jahre dauern. Bis dahin muss das Netz wirklich einigermaßen in der Fläche angekommen und komplett umgestellt sein auf die neue Technologie. Zudem muss es dann auch in nennenswerter Zahl kompatible Endgeräte geben.
Aus Sicht der Branche ist deren Taktik zwar verständlich, für 5G schon jetzt bei den Massen zu werben. Zum einen haben viele daran fälschlicherweise die Hoffnung geknüpft, aus der Misere mit schlechtem Mobilfunknetzen insbesondere auf dem Land zu kommen. 5G, das klang nach Zukunft, in der Wirklichkeit aber geht es eben nur zäh voran. Zum Zweiten kostet der Ausbau viel Geld, die Betreiber müssen also Umsatz machen.
Über all das sollte man aber nicht vergessen: 5G beginnt als rasend schnelles und nahezu in Echtzeit reagierendes Netz in der Industrie Fuß zu fassen, und es kann dort auch sehr sinnvoll eingesetzt werden. Für die technologische Weiterentwicklung des Landes ist 5G also durchaus wichtig, auch weil es noch einige andere wichtige Neuerungen mitbringt, etwa die Möglichkeit, eine Vielzahl von Sensoren gleichzeitig einzubinden.
Doch ein Sprichwort sagt: Man bekommt kaum jemals eine zweite Chance, einen ersten Eindruck vergessen zu machen. Was 5G angeht, so ist diese Chance bei den Privatkunden ziemlich vergeudet worden. Es wird die Branche einige Mühe kosten, diesen Makel zu tilgen.