Ausspähung:Wie weit dürfen Lobbyisten gehen?

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(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)
  • Monsanto hat 2016 offenbar eine PR-Agentur beauftragt, Listen von Kritikern des Konzerns zu erstellen.
  • Nun wollen Politiker wissen, wie das Unternehmen die Informationen erworben und genutzt hat und welche Personen betroffen sind.
  • Der Fall hat eine Debatte darüber ausgelöst, was Lobbyisten dürfen und was nicht - rechtlich, aber auch moralisch.

Von Markus Balser, Thomas Fromm und Max Hägler

Vor zwölf Jahren wollte sie mal Präsidentin Frankreichs werden - und verlor gegen Nicolas Sarkozy: Ségolène Royal. Die heute 65-jährige Sozialistin war dann bis Mai 2017 französische Umweltministerin und ist nun Frankreichs "Botschafterin für die Arktis und die Antarktis", ein höchstens repräsentatives Amt. Jetzt tauchte sie auf einer der Liste des Saatgutherstellers Monsanto auf. Royal, die den Unkrautvernichter Glyphosat aus dem Hause Monsanto immer ablehnte, wurde dort als "null beeinflussbar" eingestuft - weitere Gespräche sind da zwecklos, sollte das wohl heißen.

Das US-Unternehmen Monsanto, inzwischen eine Tochterfirma von Bayer, hatte offenbar 2016 die amerikanische PR-Firma Fleishman-Hillard beauftragt, heimlich Listen mit Freunden und Feinden zu erstellen. Wie Anfang der Woche unter anderem Le Monde berichtete, wurden darin etwa 200 Personen - Politiker wie Royal, Wissenschaftler, Journalisten - benotet und in Kategorien unterteilt: als Verbündete, als mögliche Verbündete, als Personen, die man noch überzeugen muss, solche, die beobachtet werden sollten oder besondere Maßnahmen der "Erziehung" brauchten. Dazu kommen die hoffnungslosen Fälle. Die französische Justiz ermittelt bereits. Bayer hat sich inzwischen entschuldigt, geht aber davon aus, dass es solche Listen auch in anderen Ländern geben könnte. Eine Anwaltskanzlei wurde mit der Prüfung beauftragt.

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Der Fall wirft viele brisante Fragen auf: Wurden die Daten genutzt, um Kritiker unter Druck zu setzen? Überschreitet das Sammeln solcher Informationen juristische und moralische Grenzen? Oder sind solche Listen sogar üblich im alltäglichen Geschäft der Lobbyisten?

Fest steht, dass die Enthüllung Bayer jedenfalls schwer geschadet hat, das Unternehmen ist ohnehin in einer Krise, weil das Monsanto-Mittel Glyphosat für Krebserkrankungen verantwortlich gemacht wird. In den USA gibt es bereits mehr als 13 000 Klagen, die ersten Urteile treffen Bayer schwer. Nun gibt es Kritik und Empörung über die Monsanto-Listen - auch in Deutschland. Politiker wollen wissen, wie das Unternehmen die Informationen erworben und genutzt hat.

Vor allem die Grünen, seit Jahren große Kritiker von Monsanto, bestehen auf Transparenz. "Wir fordern Sie auf, die Listen für Deutschland sowie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten offenzulegen und für die Betroffenen zugänglich zu machen", heißt es in einem Brief an Bayer-Chef Werner Baumann. "Darüber hinaus erwarten wir Informationen darüber, was das Ziel dieser Auflistung war und welche Maßnahmen auf dieser Basis erfolgt sind beziehungsweise erfolgen sollten." Der Brief ist von mehreren Bundestagsabgeordneten wie Anton Hofreiter, Renate Künast und Friedrich Ostendorff unterzeichnet. Sie wollen auch wissen, ob sie selbst betroffen sind. Interessant dabei: Chef-Lobbyist bei Bayer, der die Sache aufklären soll, ist inzwischen Matthias Berninger, selbst ein Grüner, der bis 2007 für die Partei im Bundestag saß. Es gebe hier Beispiele, "wo, um in der Fußballsprache zu sprechen, man nicht den Ball gespielt hat, sondern eher auf den Mann gegangen ist oder auf die Frau", sagt Berninger.

"Jetzt muss alles auf den Tisch", fordert Timo Lange, von der Nicht-Regierungsorganisation Lobbycontrol. Listen über Journalisten und Politiker zu führen, die sich mit bestimmten Themen beschäftigten, gehöre zwar schon fast zum Alltagsgeschäft von Lobbyisten. Illegal sei das bei öffentlichen Daten meist nicht. Fraglich sei allerdings, ob und warum Monsanto private Informationen sammeln ließ. "Das ist mindestens moralisch zu hinterfragen", sagt Lange. Bayer müsse aufklären, was mit den Daten passieren sollte, ob etwa Kritiker unter Druck gesetzt werden sollten. "Informationen über Journalisten zu sammeln und die Medienvertreter nach ihrer vermeintlichen Beeinflussbarkeit zu kategorisieren, ist absolut inakzeptabel", teilt der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, mit. Das sei Medienmanipulation. Und: "Auch mit Blick auf die laufenden Glyphosat-Prozesse muss man sich fragen, was für ein Wissenschaftsbild ein Konzern hat, der Forscher nach Gläubigen und Abtrünnigen unterteilt", erklärt Überall.

Die Erstellung von Listen sei in der Branche üblich, sagt dagegen ein Insider aus der Kommunikationsbranche. "Die Kunden möchten wissen: Wer sind die Zielgruppen unserer Kommunikation, mit wem habe ich es auf der anderen Seite der Kommunikation zu tun?", berichtet er. Die wichtige Frage sei dabei, wie man an die spezifischen Einschätzungen komme, ob dabei illegale Methoden angewandt werden, ob "Leute ausgehorcht werden" und ob die Quellenlage legal und transparent sei. Es gebe dafür keine allgemeinen Verhaltensregeln.

Dabei ist Monsanto kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr etwa wurde bekannt, dass Volkswagen einen umstrittenen Zulieferer ausspähen ließ. Die Anwaltskanzlei Hogan Lovells International hatte den Recherche-Auftrag von VW erhalten und die Nachforschungen wiederum an "einen sehr professionellen ... Dienstleister" weitergereicht. Detektive sollten also Informationen über die Firma Prevent aus Sarajevo beschaffen. "In Krisensituationen" gehöre dies zu den Kernaufgaben anwaltlicher Tätigkeit und sei "üblich und legitim", hieß es damals. Das soziale Netzwerk Facebook soll Medienberichten zufolge offenbar eigene Daten zur Ausspähung und Überwachung von Journalisten benutzen.

Entscheidend sei, sagt der Professor, wie Informationen beschafft worden sind

In der PR-Industrie sei es üblich, dass man sich mit seinen Kritikern beschäftigt, sagt Berater Dirk Popp, er hat etwa den Milch-Millionär Theo Müller vertreten. Andere "Cases", wie er das nennt, waren Nokia in der Zeit, als das Bochumer Werk geschlossen wurde, oder die Fast-Food-Kette Burger King, die mit vielen Vorwürfen zu Hygiene und Arbeitsschutz zu kämpfen hatte. Dort habe er versucht, auch mit den schärfsten Kritikern in Kontakt zu bleiben, so Popp. Selbstverständlich analysiere man Argumente von Politikern und Journalisten. Fragwürdig werde es, wenn Auflistungen Informationen enthalten, die nichts mehr mit dem Job oder dem spezifischen Projekt zu tun haben. "Auch von Kunden wurde hier und da der Wunsch herangetragen: können Sie da nicht mal tiefer recherchieren", sagt Krisenberater Popp. Er arbeite jedoch nicht in dieser Grauzone. "Es gibt aber durchaus Lobby-Agenturen und Kanzleien, die sich in diesem Umfeld tummeln und beispielsweise Tiefenrecherchen erstellen oder sogar Detektive einsetzen." Wobei das in Deutschland eher das Extrem als die Normalität darstelle. In anderen Ländern, wie Amerika werde da schon mit härteren Bandagen gekämpft: Da gehöre es zumindest in Teilen zur Normalität, im Dreck zu buddeln und zu diskreditieren.

Carsten Reinemann, Lehrstuhl-Inhaber am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht das Thema differenziert: "Grundsätzlich finde ich es erst mal legitim und völlig normal, wenn Organisationen und Unternehmen monitoren, was in der Öffentlichkeit und medial über sie geschrieben und gesendet wird", sagt er. Spannend werde es erst dann, wenn man sich weiterführende Infos verschafft. "Dann stellt sich die Frage, welche Informationen das sind, auf welchen Wegen man sie sich beschafft, zu welchem Zweck dies geschieht und was man dann konkret mit diesen Infos anfängt." Diene Material dazu, sich klarzumachen, wo ein Beobachter stehe, dann sei das legitim. Inakzeptabel sei, sich persönliche, private, intime Infos zu verschaffen, diese womöglich auf dunklen Wegen zu generieren, um sie dann zu nutzen. "Es müssen klare Spielregeln aufgesetzt werden, denen alle zustimmen", fordert deshalb ein anderer Berater. Ségolène Royal jedenfalls war nach Bekanntwerden der Monsanto-Listen empört. Es sei "pervers", Menschen derartig einzustufen, sagte sie. Und: Das "System" müsse "von schädlichem Lobbying gesäubert" werden.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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