Mode:Stirb langsam

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Die Burberry-Show war vielleicht einer der wenigen großen Namen der Londoner Fashion Week. (Foto: AP)

Bei der ersten Londoner Modewoche nach dem vollzogenen Brexit setzen die Designer ein Zeichen: Wenn das Desaster eintritt, sollte man wenigstens gut aussehen.

Von Silke Wichert

Die Beerdigung ist fünf Monate her, aber die Tote wirkt auf den ersten Blick eigentlich recht lebendig. Zumindest organisiert sie fünf Tage lang 60 Shows in der ganzen Stadt, von der Tate Modern bis zum Lancaster House. Letzte Saison war die London Fashion Week von den Klimaaktivisten der "Extinction Rebellion" (mit einer Zeremonie) offiziell zu Grabe getragen worden. Sie forderten das sofortige Ende eines Systems, in dem jede neue Saison einen Haufen neue Klamotten bringe. Aber die britische Modeindustrie erwirtschaftet elfeinhalb Milliarden Pfund pro Jahr, sie ist eine der größten Wirtschaftszweige des Landes und die Modewoche ihr hübsches Aushängeschild. Natürlich wird hier nicht einfach freiwillig der Löffel abgegeben.

Statt nun noch eindringlicher zu protestieren, sind die Aktivisten diesmal kaum zu sehen. Sturm Dennis fegte am vergangenen Wochenende durch die Straßen. Die möglichen Auswirkungen des Klimawandels kommen ausgerechnet den Klimaschützern in die Quere: eine ganz bittere Ironie.

Aber Umweltfragen sind ja längst nicht das Einzige, das der Londoner Modewoche aktuell zu schaffen macht. Was der Brexit bringt - den in dieser Branche nun wirklich keiner wollte -, ist nach wie vor unklar. Wird die ohnehin schon komplexe Liefer- und Produktionskette, meist über mehrere Länder hinweg, mit Zöllen und Papierkram noch komplizierter? Werden britische Kleider deshalb teurer und damit weniger wettbewerbsfähig? Können all die Kreativen aus der EU weiter in den Ateliers arbeiten? Alles Themen, die schon mehrere Saisons im Raum stehen, gemessen am rasend schnellen Takt der Branche also uralt und total ausgelutscht sind. Folglich ist das "B-Wort" nirgends zu hören.

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Dafür fällt ständig das "C-Wort": Corona. Chinesische Journalisten und Einkäufer fehlen, wie schon bei der New York Fashion Week, beinahe komplett. British Airways hat alle Flüge von China nach Großbritannien gestrichen. Wer aus den Modezentren Peking und Shanghai anderweitig hätte anreisen wollen, wurde vorab von den PR-Abteilungen freundlich darauf hingewiesen, dass das vielleicht keine so gute Idee sei. Burberry verschickte vor der Show am vergangenen Montag eine Mail mit dem Hinweis, man wolle nur noch einmal daran erinnern, dass alle, die in den letzten vierzehn Tagen in China, Thailand, Macao, Hongkong et cetera gewesen seien und eventuelle Symptome aufwiesen, doch bitte dem Event fernbleiben sollten. "Damit die Show in einer sicheren Umgebung erlebt werden kann."

Die britische Megabrand trifft das Virus ohnehin besonders hart. Rund 40 Prozent ihres Umsatzes macht sie mit chinesischen Kunden. Weil die aber gerade andere Probleme haben als den neuesten Trenchcoat mit Kunstfellbesatz und viele Läden ohnehin geschlossen sind, dürften die Umsatzeinbußen gewaltig sein. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Zahlen unter dem italienischen Designer Riccardo Tisci im ersten Halbjahr 2019 endlich wieder um 36 Prozent gestiegen waren. Auch andere Marken stornieren, um schnell Kosten zu sparen, bereits reihenweise Anzeigen. Wenn überall die Fabriken stillstehen, könnte es bei Marken, die in China fertigen - darunter auch Namen wie Prada oder Burberry - außerdem bald zu Lieferengpässen kommen.

Burberry bricht der chinesische Markt weg

Was tun, wenn sich scheinbar die ganze Welt gegen einen verschworen hat? Vielleicht die alte John-McClane-Taktik ("Die Hard") anwenden: Jetzt erst recht. Zumindest bei einigen Londoner Designern hatte man den Eindruck, sie seien fokussierter, angriffslustiger als sonst. Jonathan Anderson zeigte für seine Linie JW Anderson eine der besten Kollektionen überhaupt, auch wenn sich Kombinationen wie "Strickpullover mit Zelluloid-Schnipseln auf den Schultern zu schmalem Samt-Ballonrock" erst einmal nicht danach anhören.

Aber genau darauf versteht sich der Nordire ja so gut: Ein bisschen seltsame Dinge (wie diese Infinity-Zeichen um die Brustpartie aus der aktuellen Sommerkollektion) so gestalten, dass sie nur auf den ersten Blick verstörend und im nächsten dann gleich ziemlich verlockend aussehen. Für nächsten Herbst stehen bei ihm vor allem die Schultern im Fokus, Kleider mit besagten Glitzer-Epauletten wie aus dem Reißwolf, Mäntel in übertriebener Trapezform. Das lederne Revers steht seitlich wie ausgefahrene Ellbogen ab. Kleidung für Frauen, die sich durchboxen, aber auf coole Art.

Auch bei Burberry, Emilia Wickstead, Simone Rocha oder Victoria Beckham spielen aufwendige Schulterpartien und voluminöse Ärmel eine große Rolle. Trenchcoats mit Gala-Dekolleté, voluminöse Keulenärmel, Bänder, die wie eine Stola nicht auf, sondern durch den Mantel fließen, Ärmel mit Cut-outs, damit sie die Blusen darunter freilegen. Beckham präsentierte ihre Show diesmal im Banqueting House in Whitehall, dessen Deckenmalerei von Rubens stammt. Die Ambitionen sind also nach wie vor hoch, die Ansagen deutlich: Als die ersten Models, allesamt in schwarzen, dezent-tief ausgeschnittenen Kleidern über den Laufsteg laufen, dröhnt aus den Boxen Musik der Rapperin Little Simz: "I'm a boss in a fucking dress". Backstage verrät die Designerin dann noch, dass sie ihrer Tochter Harper, die die Show wie immer neben zwei ihrer älteren Brüder auf dem Schoß ihres Vaters verfolgt, vor der "explicit language" des Lieds gewarnt habe.

Beckham will Mode für selbstbewusste Frauen machen, die kriegen, was sie sich in den Kopf setzen. So wie sie selbst: Ausgerechnet ihrer Freundin Stella McCartney soll sie das Kindermädchen ausgespannt haben, indem sie der jungen Frau ein noch lukrativeres Angebot machte. Laut der Times haben die McCartneys deshalb die Beckhams für ein geplantes Essen wieder ausgeladen. Keine Ahnung, was diese Super-Nanny alles draufhat, jedenfalls sorgte dieser Transfer für eine der lustigeren Schlagzeilen der Woche.

McCartney zeigt ihre Kollektionen bekanntlich nicht in ihrer Heimatstadt, sondern in Paris. Dabei könnte London ihren grünen Daumen gut gebrauchen. Denn die Fashion Week lässt sich zwar nicht totkriegen, will aber umdenken. Wie schon bei der Kopenhagen Fashion Week vergangenen Monat sollen Einweg-Plastikbügel durch recycelte Hänger ersetzt werden. Tommy Hilfiger, der seine Show in Kooperation mit Lewis Hamilton diesmal hier zeigte, errechnete für die Sause in der Tate Modern einen CO₂- Ausstoß von 1,591 Tonnen, die nun mit nachhaltigen Projekten in Kambodscha ausgeglichen werden sollen. Der Ire Richard Malone entwarf eine komplett kompostierbare Kollektion aus natürlich gefärbter Merinowolle und erhielt dafür den mit 120 000 Euro dotierten Woolmark Prize.

Mode für Frauen, die kriegen, was sie wollen

Auch beim British Fashion Council steht Nachhaltigkeit jetzt ganz oben auf der Agenda. Am Dienstag wurde zu diesem Thema sogar in 10 Downing Street eingeladen. Die Hauskatze Larry liegt gleich neben der Eingangstür auf der Fensterbank, nur Hausherr Boris hat leider Wichtigeres zu tun. Dafür empfängt der neue Minister für Digitales, Kultur, Medien und Sport, Oliver Dowden, und sagt in seiner Rede, in Downing Street habe es, wie in der Mode, ja zuletzt auch "viele neue Trends" gegeben. Gelächter. Dann versichert er, der Premierminister unterstütze diese "britische Erfolgsgeschichte" zu hundert Prozent. Weniger Gelächter. Die meisten hier schauen skeptisch auf die anstehenden Verhandlungen mit der EU.

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Was der London Fashion Week im Vergleich fehlt, sind Label, die aktuell die ganz große Aufregung bringen. Nach deren Sachen sich die Modeleute regelrecht verzehren, so wie nach Bottega Veneta, Alexander McQueen oder Khaite aus New York. Die hiesigen Erfolgsgeschichten sind entweder stiller, so wie Rejina Pyo, deren tragbares, aber nie einfallsloses Label von Saison zu Saison steil wächst. Oder spezieller, so wie Molly Goddard, deren Tüllkleider wiederum nicht ganz so tragbar sind, aber eine eingeschworene Fangemeinde haben. Richard Quinn hat seit der Gründung seines Labels 2016 mit knalligen Blumenkleidern eine sehr wiedererkennbare (nebenbei auch instagramfreundliche) Ästhetik etabliert. Seine Shows stylt mittlerweile sogar die Vogue-Veteranin Carine Roitfeld. Sonst war diesmal allerdings nicht viel Neues zu erkennen.

Der einzige wirkliche Blockbuster ist und bleibt Burberry. Tisci ließ sich diesmal, wie es heißt, von seiner Zeit in Indien inspirieren. Er kombiniert also Madrasmuster mit dem hauseigenen Karo, mixt noch ein bisschen kleinkarierten Punk dazu. Klingt in der Theorie interessant, sieht am Model aber nicht überzeugend aus, nicht mal, wenn das Mädchen Kendall Jenner oder Gigi Hadid heißt. Die Mäntel mit doppelten Kragen, Kleider mit Korsetteinsätzen, und all die Streetwear-Einflüsse in den fast hundert Looks sind sehr viel stärker.

Aber was für eine Location, was für Musik! In die knapp hundert Jahre alte Ausstellungshalle Olympia National Hall war ein überlanger, erhöhter Discolaufsteg gebaut worden, in dem sich die imposante Stahlkonstruktion des Daches spiegelt. In der Mitte stehen zwei schwarze Flügel für die französischen Pianistinnen-Schwestern Katia und Marielle Labèque, die von der gehypten Produzentin und DJane Arca orchestriert werden. Beim Sound ist Tisci wie immer total in seinem Element.

Nebenbei lieferte er damit am Ende der Fashion Week noch eine hübsche Parabel: Mag das Schiff gerade sinken, die Welt aus den Fugen geraten - in der Mode wird eisern weitergespielt, jetzt erst recht.

© SZ vom 22.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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