"Herr von Ribbeck auf Ribbeck ...", na, kommen die leicht zungenbrecherischen Verse von Theodor Fontane wieder in den Sinn? Genau, das war jener freundliche Gartenbesitzer im Havelland, der, "wenn die Birnen leuchteten weit und breit", seine Ernte freigebig mit der Dorfjugend teilte. Nach seinem Tod drohte der Obstnachschub zu versiegen, denn der Nachfahr, "der knausert und spart". Das hatte der Alte geahnt und sich eine Birne ins Grab legen lassen - Saatgut für einen neuen Birnbaum auf dem Friedhof, in dessen Krone es ein paar Jährchen später "in der goldenen Herbsteszeit" wieder flüsterte: "Wiste 'ne Beer?"
Womit der gute Herr von Ribbeck auf Ribbeck eine ziemlich clevere Lösung gefunden hatte, sein Obst weiterhin unters Volk zu bringen. Auf den meisten öffentlichen Flächen - gehen wir jetzt einfach mal davon aus, dass jener Friedhof im Havelland eine solche war - darf Obst nämlich von jedermann geerntet werden, in kleinen Mengen für den Eigenbedarf.
Bei Obstbäumen auf Privatgrund hingegen ist das nicht gestattet, auch dann nicht, wenn ein erntereifer Ast über den Zaun auf die Straße ragt oder sogar aufs eigene Grundstück. Geregelt wird das im "Überfallparagraf" 911 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) - ja, der heißt wirklich so - mit einem knappen Satz: "Früchte, die von einem Baume oder einem Strauche auf ein Nachbargrundstück hinüberfallen, gelten als Früchte dieses Grundstücks." Bedeutet im Umkehrschluss: Solange Nachbars Äpfel und Birnen noch oben im Baum hängen, sind sie sein Eigentum. Man darf sie nicht ernten, ganz gleich, wie weit der Ast über dem eigenen Grundstück hängt.
"Erst, wenn sie heruntergefallen sind, gehören sie dem, auf dessen Grund sie nun liegen", sagt Detlef Stollenwerk, Verwaltungsfachwirt und Experte für Nachbarrecht aus Andernach in Rheinland-Pfalz. Wobei das Wörtchen "fallen" in diesem Zusammenhang ziemlich wichtig ist: Schüttelnd nachhelfen darf man nämlich nicht, man muss vielmehr warten, bis Reifezustand, Schwerkraft und Wind ihr Werk verrichten.
Das kann der Obstbaum- und damit Obsteigentümer mit rechtzeitigem Ernteeinsatz zu verhindern versuchen. "Er darf dafür auch mit einem Obstpflückgerät über den Zaun langen", sagt Stollenwerk. Arm und Gartengerät sind zu kurz, um die Früchte zu erreichen? Dann wird man den Nachbarn für weitere Ernteaktivitäten auf dessen Grund um Erlaubnis bitten müssen. Einfach betreten darf man fremde Gärten nämlich nicht, auch nicht, wenn sich dort die eigenen Birnen, Nüsse oder Kirschen aufhalten.
Sobald das Obst zu Boden gegangen ist, wechselt es den Besitzer. Nun gehört es demjenigen, auf dessen Grund es liegt. Grund zur Freude ist das nicht unbedingt: Fallobst ist oft schon faul und wurmig, nicht mehr zum Verzehr geeignet und nur noch Futter für den Kompost. Dem obstbaumbesitzenden Nachbarn die Mühe des Aufräumens in Rechnung zu stellen, ist dennoch nur in Ausnahmefällen möglich. "Natürliche Immissionen" in Form von Laub, Pollen oder Früchten aus benachbarten Gärten müsse man dulden, sagt Detlef Stollenwerk.
Erst bei einer "wesentlichen Beeinträchtigung, die über das übliche Maß" hinausgeht, kann Abhilfe gefordert werden. So verurteilte das Amtsgericht im schwäbischen Backnang den Besitzer eines Mostbirnenbaums dazu, die Kosten für die Fallobstbeseitigung auf dem Nachbargrundstück zu übernehmen: "Auch in ländlichen Gegenden kann es von einem Grundstückseigentümer nicht erwartet werden, dass er mehrmals in der Woche mehrere Stunden aufwendet, um Früchte, die von einem Baum auf dem Nachbargrundstück überfallen, einzusammeln", konstatierte das Gericht (Az. 3 C 35/89). Die Gartennutzung sei außerdem erheblich beeinträchtigt: Die faulenden Früchte fingen an zu stinken und lockten Wespen und Bienen an. Reiche Ernte ist eben nicht immer ein Vergnügen: "Beide Parteien betrachten die große Fruchtbarkeit des Mostbirnenbaumes offensichtlich keineswegs als Segen, sondern als lästige Begleiterscheinung", heißt es lakonisch in der Urteilsbegründung.
Oft jedoch sind sie schon erwünscht, die reifen Früchte. Und es gibt durchaus eine Möglichkeit, sie zu ernten, auch wenn sie nicht im eigenen Garten stehen. Auf der Website mundraub.org und in der zugehörigen App (nur für Android-Geräte) sind auf einer Deutschlandkarte Hunderte Standorte von Obstbäumen und -sträuchern auf öffentlichem Grund eingetragen, an denen man sich kostenlos und ganz legal bedienen darf. Herrn von Ribbeck auf Ribbeck hätte das sicher gefallen.