Rechtskolumne: Darf man das?:Beim Nachbarn Äste schneiden

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Hecken müssen wegen der freien Sicht auch auf Geh- und Radwegen zurückgeschnitten werden - ein wichtiger Faktor zur Verkehrssicherheit. (Foto: Gaby Wojciech/imago/Westend61)

Der Baum vom Nebengrundstück ragt weit über den Zaun und stört: Wann man die Zweige kappen darf - und wann nicht.

Von Eva Dignös

Ans Volkslied "Der Mai ist gekommen" halten sich die wenigsten Büsche und Bäume. Sie schlagen aus, lange bevor der Monat begonnen hat. Es sprießt überall in den Gärten; junges Grün und frische Triebe können ein erstaunliches Wachstumstempo an den Tag legen. Von künstlich gezogenen Grenzen in Form von Maschendraht oder Zaunlatten lassen sie sich nicht aufhalten. Doch was tun, wenn Nachbars Grünzeug ins eigene Grundstück wuchert? Darf man zur Gartenschere greifen und der Grenzüberschreitung Einhalt gebieten?

Eigentlich, sagt Detlef Stollenwerk, Verwaltungsfachwirt und Experte für Nachbarrecht, sollte es erst gar nicht so weit kommen. "Grundsätzlich hat jeder Eigentümer dafür zu sorgen, dass seine Pflanzen nicht zum Nachbarn wachsen." In der Praxis schaut es oft anders aus, gar nicht unbedingt aus Nachlässigkeit oder bösem Willen: Manchmal ist vor lauter dichtem Blattgrün gar nicht mehr erkennbar, wie raumgreifend der Busch an seiner Rückseite ist. Auch die Wuchsrichtung von Baumwurzeln lässt sich kaum beeinflussen.

Ob man das als Nachbar aushalten muss, hängt vom Ausmaß des Wildwuchses ab. "Bei einer konkreten Beeinträchtigung - nur dann - hat man einen Beseitigungsanspruch", so Stollenwerk. Wenn fremde Äste beispielsweise das eigene Wohnzimmer verdunkeln, wenn man Gartenarbeit nur noch gebückt erledigen kann, wenn Berge von Zapfen im Garten liegen oder Wurzeln die Terrassenplatten anheben.

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Reagieren die Baum- und Strauchbesitzer nicht, darf man auch zur Selbsthilfe schreiten und die Gartenschere ansetzen. "Zunächst jedoch muss man dem Nachbarn mit einer Frist die Möglichkeit geben, für Abhilfe zu sorgen", sagt der Nachbarrechtsexperte. Geregelt ist das im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB: Paragraf 910 trägt den schönen Titel "Überhang". Dort ist allerdings nur von einer "angemessenen Frist" die Rede, ohne deren Dauer zu konkretisieren. "Vier bis sechs Wochen Zeit sollte man schon gewähren", so Stollenwerk, möglicherweise müsse ja erst noch ein Fachbetrieb beauftragt werden.

Passiert immer noch nichts, darf man selbst zur Tat schreiten - und hat dabei höchstrichterlichen Rückhalt selbst für radikale Maßnahmen: Der Bundesgerichtshof entschied im Jahr 2021, dass überhängende Äste auch dann gekappt werden dürfen, wenn dadurch "das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit droht" (Az. V ZR 234/19). Dem Naturschutz hingegen bleibt man verpflichtet: Das Bundesnaturschutzgesetz verbietet Rückschnitte zwischen 1. März und 30. September. Lediglich "schonende Form- und Pflegeschnitte" sind gestattet.

Wer Sträucher pflanzt, muss auf die Abstände zur Grundstücksgrenze achten

Auch bei Neupflanzungen gibt es Vorgaben. Den Strauch direkt an den Gartenzaun zu setzen, damit vor der Terrasse möglichst viel Freifläche bleibt, mag in kleinen Stadtgärten naheliegend sein. Aber fast überall in Deutschland müssen bestimmte Abstände zur Grundstücksgrenze eingehalten werden. Werden sie nicht berücksichtigt, "hat man ein Recht darauf, dass der Baum beseitigt wird", sagt Stollenwerk. "Dafür muss man allerdings Klage vor Gericht einreichen und zwar je nach Bundesland innerhalb von fünf bis sechs Jahren nach der Anpflanzung."

Die Abstandsdetails regelt jedes Bundesland auf seine Weise. In Bayern beispielsweise muss bei Gewächsen bis zwei Meter Höhe das Pflanzloch mindestens 50 Zentimeter vom Zaun entfernt sein, bei größeren Pflanzen sind mindestens zwei Meter Abstand vorgeschrieben. Andere Bundesländer unterscheiden bei ihren Vorschriften zwischen Hecken und Bäumen oder zwischen stark- und schwachwüchsigen Arten. In welche Kategorie das Wunschbäumchen fällt, erfragt man am besten in der Baumschule.

Beratung lohnt sich ohnehin, bevor man im Gartenmarkt den Einkaufswagen volllädt, denn den meisten Jungpflanzen sieht man nicht an, was einmal aus ihnen werden kann. Der Schwarze Holunder zum Beispiel legt pro Jahr bis zu 80 Zentimeter zu: Da wird aus einem zarten Pflänzchen ruckzuck ein stattlicher Strauch. Was aber durchaus auch Vorteile hat - nämlich schnellen Sichtschutz zum Nachbargarten.

Und auch manch überhängender Ast ist durchaus gern gesehen - wenn er im Herbst voller Äpfel oder Birnen hängt. Hier ist die Selbsthilfe allerdings keine gute Idee, es gilt nämlich nicht der Überhang-, sondern der Überfall-Paragraf im BGB: "Solange die Früchte am Baum hängen, gehören sie dem Baumbesitzer, er darf auch mit einem Obstpflückgerät hinüberlangen und ernten", sagt Detlef Stollenwerk. Erst wenn das Obst heruntergefallen ist, darf man sich selbst bedienen.

Die Autorin hat etwas gegen Stürme im Wasserglas. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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