Profi-Snowboarden:So richtig mittendrin im Hochamt der Freestyler

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Mit 22 Jahren eine der Weltbesten: Annika Morgan, 22, aus Mittenwald. (Foto: Christian Walgram /Imago)

Snowboarderin Annika Morgan macht gerade vieles richtig: Die Mittenwalderin ist die erste deutsche Medaillengewinnerin seit Langem bei den X-Games. Zum Saisonfinale zeigt sich, dass sich neben ihr noch weitere Deutsche in der Weltspitze etabliert haben.

Von Thomas Becker

Denver? Wunderschöne Strecke! Auf der 82 bis Glenwood Springs, dort auf die Interstate 70 Richtung Kansas, zur Rechten den White River National Forest, über den 3200 Meter hohen Vail Pass, Copper Mountain und Breckenridge rechts liegen lassen, dann laufen lassen bis runter nach Denver. Vier Stunden Fahrt, die Annika Morgan in diesem Winter auf dem Weg zum Flieger, nach ihrer fünften Teilnahme an den X-Games, erstmals allein in Angriff genommen hat. Klingt banal, ist für die 22-Jährige aus Mittenwald aber ein weiterer Schritt in Richtung Selbstständigkeit.

Früher hatte sie jemanden dabei, der ihr dabei half, keine Trainings- oder Wettkampfzeit zu verschusseln. Michael Dammert, der Verantwortliche für die Freestyle-Disziplinen beim deutschen Verband Snowboard Germany, sagt: "Sie hat sich toll entwickelt, kann jetzt voll ihre Erfahrung ausspielen. Sie ist jetzt eine junge Erwachsene, so richtig mittendrin im Profitum. Und sie macht gerade vieles richtig." So steht sie auch stellvertretend für ihre Kollegen aus der Freestyle-Sparte von Snowboard Germany, die trotz bescheidener Mittel nie von ihren großen Zielen abrückte - und diesen nun tatsächlich immer näherkommt.

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Die X-Games in Aspen etwa sind das Hochamt aller Freestyle-Sportler. Qualifizieren kann man sich nicht, man wird eingeladen. Annika Morgan darf sich schon als Stammgast fühlen, auch wenn sie in der legendären Bar des Hotel Jerome erst seit ihrem 21. Geburtstag Cocktails bestellen darf. Vier Kilometer weiter, am Fuß des Skigebiets Buttermilk, hat sie in diesem Winter die erste deutsche X-Games-Medaille seit 2015 gewonnen: Silber im sogenannten Knuckle-Huck-Wettbewerb, bei dem die Athleten neben den großen Kickern einen vergleichsweise kleinen, aber möglichst stylishen Sprung hinlegen. In den olympischen Disziplinen Slopestyle und Big Air landete die Achte der Winterspiele von Peking zuletzt auf den Rängen fünf und sechs: mittendrin in der Weltspitze. So wie unlängst mit Platz zwei beim Slopestyle-Weltcup in Laax, ihrem nach drei dritten Plätzen bislang besten Ergebnis seit dem Weltcup-Debüt vor fünf Jahren. In Tignes, kurz vor dem Saisonfinale am kommenden Wochenende in Silvaplana, legte Morgan noch einmal Platz acht im Slopestyle nach.

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Das war immer das Ziel von Snowboard Germany, seit sie die darbende Freestyle-Sparte mit jungen Kräften nach und nach aufgefrischt haben: nicht nur gelegentlich bei den Weltbesten zu hospitieren, sondern dort so viele Führungskräfte wie möglich zu stellen. Leon Vockensperger , 24, vor zwei Jahren Zweiter der Slopestyle-Wertung, hatte seit Olympia zwar eine verletzungsintensive Zeit, inklusive Augenbodenbruch, der ihm noch lange Zeit Störbilder bescherte. Im Slopestyle in Laax fehlte aber schon nicht mehr viel zur Spitze. So wie bei Teamkollege Noah Vicktor, 22, der in Chur Zwölfter und in Laax Neunter wurde - und im November mit einer erstmals gestandenen Fünffachdrehung namens Backside 1800 Melon von sich reden machte.

Das gelte auch für die Abteilung Halfpipe, wo sich der Allgäuer André Höflich, 2021 Zweiter der Gesamtwertung, viel vorgenommen hat, in diesem Winter aber vom Pech verfolgt wurde. Statt zum ersten Weltcup nach China zu fliegen, wurde das Team am Flughafen Opfer des Wintereinbruchs - und blieb zuhause. Danach kränkele Höflich, in Calgary beendete er die Saison jüngst immerhin versöhnlich als Zwölfter. Auch das gehört zur Reise in die Weltspitze: Die letzten Meter sind oft die schwersten.

Generell haben alle Athleten "nach Olympia noch mal einen Entwicklungsschritt gemacht", sagt Dammert, "Vierfachdrehungen, die vorher etwas ganz Besonderes waren, sind mittlerweile fast schon Standard." Mit Italien und der Schweiz gehörten die deutschen Slopestyler mittlerweile zu den großen Nationen Europas: "Österreich mit Anna Gasser und Clemens Millauer ist auch stark, aber das ist eigentlich kein Team, das sind zwei Einzelathleten." Dennoch sei man in Europa weiter Randsportart: "In Kanada, den USA oder im asiatischen Raum hat unser Sport gesellschaftlich einen ganz anderen Stellenwert."

Luftakrobatik über olympischen Ringen: Annika Morgan bei den Winterspielen 2022 in Peking. (Foto: Lee Jin-Man/dpa)

So gerät die Entwicklung der Freestyler auch zur Fallstudie darüber, wie sich ein Sport jenseits der Großen im Garten des olympischen Mediensports behauptet. Geringe Aufmerksamkeit etwa für X-Games-Medaillen heißt laut Dammert eben auch: weniger potenzielle Sponsoren. Die staatliche Förderung sei zwar gut, da sind Top-Acht-Platzierungen wie von Morgan und Höflich in Peking viel wert. "Aber für eine junge Sportart wie unsere kann Bundesförderung allein nicht reichen", erklärt Dammert. "Das funktioniert bei Bobfahrern, die über viele Jahre erfolgreich waren." Um eine Sportart in einem Verband aufzubauen, müsse man Sponsoren anwerben, "und das ist unsere große Baustelle".

Talente, Trainer und Infrastruktur sind immerhin da. Im März begannen am Berchtesgadener Ski-Gymnasium nach fünfjährigem Hin und Her die Vorbereitungen für das so dringend benötigte Landing Bag, Spatenstich ist im Mai, im Spätsommer sollen die ersten Sprünge möglich sein. In Japan gab es laut Dammert vor fünf Jahren schon sieben Stück.

Auch wenn das mit Luft gefüllte Landekissen vor allem dem Nachwuchs hilft, Tricks auf dem Trockenen einzustudieren, den Abstand zu den Topnationen nicht zu groß werden zu lassen, bleibt das leidige Geldproblem. "Die Athleten müssen nach wie vor wahnsinnig viel selber finanzieren, um mithalten zu können", klagt Dammert, "für die Herbst-Camps in Saas-Fee und im Stubaital werden extragroße Schanzen gebaut, die man sonst in keinem Snowpark findet - und das kostet einfach." Das Sommertraining in den Skigebieten müssen die Athleten über ihre eigenen Sponsoren ohnehin komplett selbst organisieren. Das deutsche A-Team mit Morgan, Vicktor, Vockensperger und Leon Gütl bekommt das hin - aber ein 19-jähriger Niklas Huber, der noch kaum Sponsoren hat?

Es wartet noch viel Arbeit auf den Baustellenleiter Dammert, bis er alle seine Athleten auf die Highways und Interstates gebracht hat.

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