WM 2010: Niederlande:Viel Talent, wenig Schwung

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Im Angriff plagt van Maarwijk die Qual der Wahl. In starker Besetzung trödelt seine Offensive durch die erste Halbzeit. Erst mit Elia und Affelay kommt ein neuer Geist auf den Platz.

Thomas Hummel, Südafrika

Der niederländische Trainer Bert van Marwijk verfügt über eine vorzügliche Offensive. Der vom Hamburger SV bekannt trickreiche Eljero Elia dribbelt auf links, Ryan Babel vom FC Liverpool setzt sich kraftvoll auf rechts durch, Ibrahim Afellay aus Eindhoven stößt aus dem Hintergrund in die Löcher der Verteidigung und ganz vorne ist Klaas-Jan Huntelaar vom AC Mailand ein Garant für Tore. Die große Mehrheit der 31 anderen WM-Trainer wäre entzückt über diese Angreifer. Der Haken dabei ist: Bei van Marwijk sitzen sie allesamt auf der Bank, denn er noch bessere Spieler in seinem Kader. Zumindest glaubte er das bis zum ersten Spiel gegen Dänemark in Johannesburg.

Trägheit statt Dribbelwirbel: Vom Talent von Hollands hochgelobten Angreifer Rafeael van der Vaart (mitte), Wesley Sneijder und Robin van Persie (nicht im Bild) war in der ersten Halbzeit nicht viel zu sehen. (Foto: getty)

Wer die besten Angriffsreihen dieser WM sucht, der wird nach den Argentiniern schnell bei den Niederlanden fündig. Dort wurde vor dem Turnier weniger darüber diskutiert, wie van Marwijk die mäßig besetzte Defensive stabilisieren könnte, sondern wie er die übergroße Anzahl von offensiven Klassespielern auf den Platz bringt. Selbst Rafael van der Vaart konnte sich nicht sicher sein, gegen Dänemark auflaufen zu dürfen und musste Eigenwerbung betreiben: "Natürlich können wir zusammenspielen", sagte er mit Blick auf die Konkurrenz.

Testspiele als Warnung

In der Öffentlichkeit gehörte van der Vaart dennoch zu den so genannten Großen Vier, die es richten sollen: Neben ihm Wesley Sneijder (Inter Mailand), Robin van Persie (FC Arsenal) und Arjen Robben. Weil der Flügelstürmer des FC Bayern einen Muskelfaserriss auskuriert, kam für ihn Dirk Kuyt zum Einsatz, noch so ein Stürmer von einem europäischen Spitzenklub, dem FC Liverpool. "Oranje in Bestform kann durch die Qualität der Auswahl und den Hunger nach Erfolg das Finale erreichen", hatte van Marwijk angekündigt. Die Testspiele vor der WM, zum Beispiel das 4:1 gegen Ghana, mussten als Warnung an die Konkurrenz verstanden werden. Doch dann reichten biedere Dänen, um lange Zeit unüberwindbare Barrieren aufzustellen.

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Nichts, aber auch gar nichts war in der ersten Halbzeit zu sehen von dem erhofften Angriffswirbel, mutlos und behäbig trabten die Hochgelobten herum. Der im Champions-League-Finale gegen den FCBayern starke Sneijder verlor im Mittelfeld praktisch jeden Zweikampf. Links spielte van der Vaart ohne das van der Vaartsche Tempo, vorne ackerte van Persie ohne Esprit. Selten ging eine Elf so sparsam mit so viel Talent um. Es schien fast so, als würden sie denken: Irgendwann schießen wir schon ein Tor, keine Sorge. Und sie behielten sogar recht, weil der Däne Simon Poulsen den Dänen Daniel Agger anköpfte und der Ball ins dänische Netz flog (46.).

Nach der Halbzeitpause ließ van Maarwjik mit Sneijder nur noch einen der "Großen Vier" auf dem Platz. (Foto: afp)

Elia bringt einen anderen Geist

Doch die folgenden Minuten könnten für den weiteren Verlauf des niederländischen Turniers entscheidend gewesen sein. Bald holte van Maarwijk den trägen van der Vaart vom Platz, dann den noch trägeren van Persie. Von den Großen Vieren durfte nur Sneijder auf dem Platz bleiben. Es kamen Elia und Affelay, und plötzlich sahen die vielen orangefarben gekleideten Menschen auf der Tribüne, was sie von Beginn an erwartet hatten: gelungene Tempodribblings, verwirrende Passfolgen und einen dänischen Torwart im Dauereinsatz. Vor allem der Hamburger Flügeldribbler Elia brachte einen völlig neuen Geist in das Spiel.

Die Diskussion in der Niederlanden, wie van Maarwijk seine Angreifer ordnen soll, wird mit dem Sieg gegen Dänemark nicht verstummen. Es bleibt der Luxus, dass er auf diesen Positionen selbst nach langer Suche keinen schwachen Spieler findet. Vielleicht bereits am Samstag gegen Japan wird ein Qualitätsstürmer namens Arjen Robben hinzukommen.

© SZ vom 15.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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