Union gegen Freiburg:Cinderella steht an der Schwelle zur Champions League

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Der freundliche Torschütze aus der Nachbarschaft: Sheraldo Becker feiert seinen ersten Treffer gegen Freiburg in Spider-Man-Maske. (Foto: Oliver Hardt/Getty)

Durch ein 4:2 gegen SC Freiburg sichert sich der 1. FC Union Berlin abermals die Europa-League-Teilnahme - und ist nur vier Punkte vom Debüt in der Königsklasse entfernt. SC-Trainer Christian Streich verbeugt sich tief vor den Berlinern.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es gibt viele Wege zur Ekstase. Der 1. FC Union Berlin wählte am Samstag eine Variante, die übers Leid führte, Zittern barg, kalten Schweiß verströmte. Und wer weiß: Vielleicht ist das tatsächlich der schönere Pfad, weil die Ekstase dann auch Narben auf der Seele hinterlässt und unvergesslich wird. Schöne Narben, sozusagen.

Dank des entfesselten Sheraldo Becker, der zwei Tore vorlegte und zwei schoss, siegte Union gegen den SC Freiburg 4:2. Vier Jahre nach dem erstmaligen Aufstieg in die Fußballbundesliga stießen die Köpenicker damit das Tor zur Champions League sperrangelweit auf. Wenn sie in den beiden letzten Partien der Spielzeit - in Hoffenheim und gegen den SV Werder - noch vier Punkte sichern, dann vollenden sie am Ende dieser Saison eine Sensation und qualifizieren sich für die Königsklasse. Gegebenenfalls genügen sogar weniger Punkte. "Es sieht gut aus, ja", sagte Trainer Urs Fischer. Was immer in den kommenden Wochen noch passieren mag: Schon jetzt hat sich Union bereits zum zweiten Mal nacheinander für die Europa League qualifiziert. Fischer reagierte darauf mit knappen, geradezu abgehackten Sätzen: "Das freut mich unheimlich. Das ist Wahnsinn. Surreal. Muss ich ehrlich sagen. Kann ich im Moment auch noch nicht so richtig fassen."

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Fischer wirkte unmittelbar nach der Partie erschöpfter als sonst. Und was aus der Kabine dröhnte, war auch anders, wummernder und heftiger als üblich: sowohl Partymusik, die man schon von früheren Siegen kannte, als auch Gejohle, in das der Kader einfiel, kurz nachdem Präsident Dirk Zingler und Manager Oliver Ruhnert die Szene betreten hatten. Was auch immer die beiden Führungskräfte ihrer Mannschaft sagten - die Kabine ist bei Union sakrosankt -, es führte zu Begeisterung, für die ja auch Anlass bestand.

Der 1. FC Union wird am Ende des 32. Spieltags zum 30. Mal auf einem Champions-League-Platz gestanden haben. Und wahrscheinlich wird der Klub dort auch vor dem letzten Spieltag platziert sein, wenn der SV Werder an der Alten Försterei zu Gast ist. Freiburg ist als Tabellenfünfter auf drei Punkte distanziert und hat ein um acht Tore schlechteres Torverhältnis. Der zweite verbliebene Rivale um einen Platz unter den besten Vier der Bundesligaendabrechnung, RB Leipzig, muss in der kommenden Woche zum FC Bayern, das gibt zusätzliche Hoffnung. Oder Gewissheit: "So 'ne Scheiße, so 'ne Scheiße, so 'ne Scheiße: Champions League!", sangen die Fans der Unioner zur Melodie von Rod Stewarts "Sailing", als im Spiel im Stadion An der Alten Försterei noch keine Stunde vorbei war. Voller Ironie. Und in übermütiger Freude.

Union führte zu diesem Zeitpunkt 3:0 durch Tore von Kevin Behrens (5.) und zwei Treffer von Sheraldo Becker (36./38.): Nach dem ersten Tor hatte sich Becker eine 15-Euro-Spider-Man-Maske übergezogen und dafür Gelb gesehen. Dann blieb der Gesang in den Hälsen der Unioner stecken, denn es schien alles doch noch mal ins Wanken zu geraten.

Der Freiburger Vincenzo Grifo schließt seinen Strafstoß mit einem frechen Panenka ab, den Frederik Rönnow fast noch hält. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Manuel Gulde erzielte nach einer Ecke per Kopf den Freiburger Anschlusstreffer (56.). Und in der 70. Minute verwandelte Vincenzo Grifo einen vom VAR beglaubigten Foulelfmeter, Danilho Doekhi hatte Freiburgs Stürmer Roland Sallai von den Beinen geholt. Dann aber setzte Union zu einem Konter über Becker an und beendete Freiburgs Rebellion gegen die Niederlage. Becker legte quer auf den eingewechselten Aissa Laidouni, der traf in der 80. Minute zum 4:2.

"Das Tor kam zur absolut richtigen Zeit. Sonst hätte das Spiel kippen können", sagte Fischer, der Becker und Kollegen aus guten Gründen "ein Wahnsinnsspiel" attestierte. Eine Doppelchance von Freiburgs Matthias Ginter gab es noch, doch nachdem der erste Versuch an der Querlatte landete und Morten Thorsby den Nachschuss auf der Linie geklärt hatte, war ein verdienter Sieg gesichert.

"Überall wo Urs war, hat er Erfolg gehabt", sagt Christian Streich über den Union-Kollegen

Insbesondere in den ersten 45. Minuten, die zu den besten des 1. FC Union der laufenden Saison zählten, hatte das kompakt stehende, konzentrierte Team überzeugt. "Die erste Halbzeit haben wir komplett verschlafen", gab Freiburgs Vincenzo Grifo zu. "Wir wussten, um was es geht und was auf uns zukommt: lange Bälle, Behrens, Becker, ganz viel Tempo. Man darf so nicht in ein Spiel reingehen." Trainer Streich sah das ähnlich und nahm überdies einen Teil der Schuld auf sich. Er habe Lukas Kübler aufgeboten, der unter der Woche angeschlagen gewesen war und im Spiel über Kreislaufprobleme klagte, sagte Streich nach der Partie; man habe im Grunde mit einem Mann weniger gespielt.

Das änderte nichts daran, dass er sich vor der Leistung des 1. FC Union tief verbeugte. Die Arbeit seines Kollegen Fischer sei seit dessen Amtsantritt vor knapp fünf Jahren in der zweiten Liga nicht hoch genug einzuschätzen, "man muss fast sagen: sensationell". Für Streich ist das nicht weiter verwunderlich: "Überall wo Urs war, hat er Erfolg gehabt", sagte er: "Er war in Thun - zwei Mal Europapokal. Er war in Basel - Meisterschaft gewonnen, Pokal gewonnen. Seitdem er weg ist, hat Basel nix mehr gewonnen. Das sagt ja alles. Er hat alles im Griff. Union ist defensiv aufgrund seiner Systematik eine der besten Mannschaften, die ich kenne - wahrscheinlich in ganz Europa. Und sie haben die richtigen Spieler, um ins Umschaltspiel zu gehen."

Vor allem freute sich Streich aus übergeordneten Gründen für Union. "Es spricht für die deutsche Bundesliga, dass solche Vereine wie Union derartiges erreichen können", sagte der Freiburger Coach: "Ein paar Dinge stimmen hier noch. In einigen Ligen stimmen sie nicht mehr, besonders in der hochgelobten, angeblich größten und sensationellsten Liga, in der Premier League. Da stimmt für mich recht wenig." Im kommenden Jahr bekommen es die Engländer mit der Cinderella aus Köpenick zu tun - womöglich sogar in einem Palast namens Champions League.

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