Herthas Niederlage gegen Köln:"Bei jedem Sprint über 30 Meter können wir nicht mithalten"

Herthas Niederlage gegen Köln: Sieht überhaupt nicht zufrieden aus mit dem Spiel gegen Köln: Herthas Trainer Pal Dardai.

Sieht überhaupt nicht zufrieden aus mit dem Spiel gegen Köln: Herthas Trainer Pal Dardai.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Hertha BSC steht kurz vor dem Abstieg in die zweite Liga. Und Herthas Trainer, Pal Dardai, ist nach der Niederlage gegen Köln alles andere als zufrieden mit der Leistung. Allein schon körperlich seien sie unterlegen, sagt er.

Von Philipp Selldorf, Köln

Den Ärger über die Ungerechtigkeit, die seinem Team angeblich zum wiederholten Mal widerfahren war, mochte Steffen Baumgart nicht verbergen. Immer gegen sie, so protestierte der Kölner Trainer, gelinge dem gegnerischen Torwart dessen bestes Saisonspiel. Zumindest am Freitagabend bei der Begegnung zwischen dem 1. FC Köln und Hertha BSC dürfte Baumgart mit seiner absolut ernst gemeinten Klage nicht unrecht gehabt haben: Oliver Christensen, 24, hielt einige Bälle, die nach den Gesetzen von Biologie und Physik eigentlich nicht zu halten waren. Dass die Kölner trotzdem fünf Tore schossen, drei Tore mehr als die Hertha und ungefähr dreimal so viele, wie sie üblicherweise pro Partie schießen, vermochte Christensen allerdings nicht zu verhindern.

Was Pal Dardai, zwei Armlängen entfernt vom Kollegen Baumgart sitzend, über dessen Beschwerde dachte, hat er nicht gesagt. Fraglich, ob der Berliner Coach sich überhaupt die Mühe gemacht hat, darauf einen Gedanken zu verwenden. Dardai hatte Wichtigeres zum Auftritt seines Teams anzumerken. Nämlich unter anderem, dass der Tabellenletzte Hertha BSC kein erstligataugliches Team unterhalte. Daran ließe sich nun nichts mehr ändern. "Die Mannschaft ist eben so eingekauft worden, die Jungs waren schon vom Körper her unterlegen", stellte er, ohne jegliches Mitleid, fest.

Dardai war nicht in der Stimmung für Parolen, Reden über den Kampf um den Klassenverbleib wollte er weder selbst halten noch davon hören. Seinen Herthanern empfahl er: "Nichts erzählen, einfach Mund halten, nach Hause gehen und nachdenken."

Dardai sagte nicht wörtlich, seine Mannschaft habe in der Bundesliga nichts verloren. Es klang aber so ähnlich. Dass zum Beispiel die Trainer mit dieser Hertha-Truppe nicht über Angriff reden dürften - "weil dann gleich die Defensive nicht funktioniert". Eben dies sei wohl auch sein Fehler gewesen vor dem Kölner Abend, gestand der Coach: "Vielleicht habe ich mit den Jungs zu viel über offensiven Fußball geredet."

Hertha besitzt beachtliche Kapazitäten, um den Gegner offensiv zu bedrohen, das haben die Kölner in der ersten Viertelstunde der Partie erlebt, als Dodi Lukebakio, Marco Richter, Florian Niederlechner und Stevan Jovetic immer wieder ihre Reihen durchdrangen. Hertha ist aber auch dazu imstande, die Deckung so effektvoll zu formieren, dass - wie vor zwei Wochen - sogar Bayern München daran verzweifelt. Das Problem laut Dardai: Beides auf einmal, Abwehr und Angriff im funktionalen Gleichgewicht, gibt der Hertha-Kader nicht her.

Im Spiel gab es 31:9 Torschüsse für den 1. FC Köln

Fragen nach dem wie und warum zum moralisch zweifellos schwer zu verkraftenden 2:5 parierte der Berliner Trainer, indem er triumphierend einen Zettel in die Höhe hielt. Auf diesem Papier stehen die statistischen Daten der Partie. "Mit diesen Werten kommst du nicht weiter in der Bundesliga", sagte Dardai. Wichtigster Wert: 31:9 Torschüsse für den 1. FC Köln.

Nicht erfasst wurde leider die Menge der Kölner Groß-Chancen, die - kein Witz - zwischen 15 und 20 lag, sowie die Zahl der Hertha-Spieler, die in elementar wichtigen Zweikämpfen ausrutschten, stolperten und hinfielen. Zum Teil geschah das in einer an Klamauk grenzenden Art, als ob sie jemand mit der Fernbedienung zu Fall gebracht hätte. "Defensiv viel zu viele Fehler, das war das Thema heute", sagte Benjamin Weber, der Sportchef.

Mit Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny spielten Jonas Hector und Linton Maina das gute alte Katz-und-Maus-Spiel, Lucas Tousart und Marton Dardai gelang es nie, das Zentrum zu schließen, und Innenverteidiger Filip Uremovic verlor den ersten ernsten Zweikampf mit Davie Selke gleich doppelt: Selke erzielte das 1:0 (8. Minute) und Uremovic musste mit Schädelbrummen vom Platz - die beiden waren mit den Köpfen kollidiert. Auch Selke verließ wenig später die Partie. In jener Phase konnte man noch meinen, Hertha mache womöglich ernst mit der von Dardai unlängst ausgegebenen Devise "Vier Spiele, vier Siege": Lucas Tousart (18.) und Jovetic (33.) hatten die Berliner inzwischen in Führung gebracht. Es sah beinahe nach einem cleveren Auftritt aus.

Den Eindruck entlarvten die Kölner in den folgenden Minuten als optische Täuschung. Bezeichnend dafür war das 3:2 kurz vor der Pause. Ellyes Skhiri eroberte während eines Berliner Angriffs den Ball im eigenen Strafraum, marschierte so lange mit ihm weiter, bis er drei Hertha-Spieler auf sich gezogen hatte und schickte dann Stefan Tigges und Linton Maina in den am Ende erfolgreichen Konter. Die Szene bestätigte Dardais nicht allzu hohe Meinung über die Berliner Kaderplanung: "Bei jedem Konter, bei jedem Sprint über 30 Meter können wir nicht mithalten."

Skhiri ist nicht nur der fleißigste Spieler der Bundesliga, er ist auch einer der schlausten

Mancher Kölner hingegen dürfte im Moment des 3:2 ein wenig wehmütig geworden sein. Skhiris großer Auftritt verdeutlichte nochmal die Dimension des Verlusts, die mit seinem im Sommer stattfindenden Wegzug einhergeht. Der Franzose war Urheber und Vollender des Gegenangriffs, er war seinem eigenen Konter hinterhergelaufen. Er ist nicht nur der fleißigste Spieler der Bundesliga (keiner läuft mehr als er), er ist auch einer der schlauesten, sein Spielintelligenz-Quotient dürfte bei mindestens 180 liegen.

Einen Skhiri haben die Berliner nicht angeschafft, als sie ihr Investorengeld verjubelten und verschwendeten, bis sie dadurch in die unübersehbar unheilvolle Lage gerieten, in der sie jetzt stecken. Die Transparente in der Hertha-Fankurve wirkten da fast ironisch: Ihrer Klubführung empfahlen sie, gegen einen DFL-Investor zu votieren - just zu einer Zeit, da nur noch der eigene Investor 777 den Klub vor dem finanziellen Aus retten kann.

Zum sportlichen Los der Hertha äußerten sich derweil die Kölner Fans, indem sie eine Berliner Nationalhymne vertonten: "Hey, das geht ab", sangen sie, "die Hertha steigt endlich ab. Steigt endlich ab."

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