Transfergeschäfte:Großzügiges Einkaufen ist aus der Mode gekommen

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Abgeben statt einkaufen: Stürmer Admir Mehmedi wechselt vom VfL Wolfsburg zu Antalyaspor. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Der Wintertransfermarkt der Bundesliga ist so amüsant wie der Winter selbst. Während in England und Italien Spieler munter die Arbeitgeber wechseln, halten sich die deutschen Klubs in der Corona-Krise vornehm zurück.

Kommentar von Philipp Selldorf

Wenn hierzulande ein neuer Spieler vor dem Vertragsschluss zum obligatorischen Medizincheck erscheint, dann machen die Vereine daraus oft eine geheime Kommandoaktion. Auf der Anfahrt zur Praxis wird er im Wagen versteckt, falls womöglich doch ein Fotograf hinter dem Baum lauert. Ein Kamerateam vor der Tür ruft Alarmstimmung hervor - wer hat den Termin verraten?

Als Juventus Turin jetzt die Untersuchung für Torjäger Dusan Vlahovic arrangierte, vergaß man selbstverständlich nicht, Absperrgitter für die wartenden Fans zu errichten und Spielraum für die Fernsehleute zu schaffen. Vlahovic, 22 (bisher: AC Florenz), entstieg dann in dunklem Anzug einer Limousine aus der Fabrik der Klubeigentümer-Familie Agnelli und schrieb erst mal Autogramme, bevor er sich in die Praxis begab. 70 Millionen Euro kostet der Wechsel, aber Juve weiß, was es dem Volk schuldig ist, und da geht es zunächst weniger um Vlahovics Tore als ums Prestige.

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Der Calcio Mercato, der Fußballmarkt, ist in Italien ein nationales Kulturgut und gehört zum Fußball wie Rasen, Anzeigetafel und Pausentee. Auch das Geschäft wird als sportives Ereignis ausgestellt, es ist Teil der Show. Lediglich die Engländer zelebrieren den Handel am Schlusstag der Börse - in Deutschland Deadline Day genannt - noch opulenter.

Offenbar mit Rücksicht auf die Dramaturgie der Sondersendungen und Live-Berichte haben sich die Klubs der Premier League darauf verständigt, die meisten Geschäfte nicht in den vier Wochen seit der Marktöffnung, sondern erst am letzten Tag abzuwickeln. Das Publikum liebt absurde Episoden von Spielern, die auf dem Weg zum Verein X im letzten Moment von ihrem Berater zum noch mehr bietenden Verein Y gelenkt wurden. Oder Legenden von Managern, die kurz vor Fristende drei Millionen-Deals auf einmal fixiert haben.

Am meisten los ist in Wolfsburg: Geht nach Mehmedi und Ginczek auch Torjäger Weghorst? Und kommt wirklich Max Kruse?

Ob es also Tottenham Hotspur bis Montag, 23.59 Uhr, gelingen wird, Dejan Kulusevski und Rodrigo Bentancur für 60 Millionen Euro von Juventus Turin zu übernehmen, nachdem es fürs gleiche Geld mit Luis Diaz vom FC Porto nicht geklappt hat, weil der FC Liverpool dazwischengegangen ist? Die Fans werden es live miterleben.

Hierzulande ist der Wintertransfermarkt so amüsant wie der Winter selbst. Seine Farbe ist grau, der fleißigste Akteur ist der offenbar von Ängsten getriebene VfL Wolfsburg. Dass der Verein die Stürmer Admir Mehmedi (Antalyaspor) und Daniel Ginczek (Fortuna Düsseldorf) abgegeben hat, überraschte viele - aber auch nur, weil viele nicht wussten, dass die beiden überhaupt noch dem VfL angehörten.

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Auch Torjäger Wout Weghorst wird gehen, und darüber sind offenbar beide Seiten froh, wenngleich sie auf einen schickeren Abnehmer als den englischen Tabellenletzten FC Burnley gehofft hatten. Ersatz hat der VfL in den USA beschafft (Kevin Paredes, 18), in Dänemark gescoutet (Jonas Wind, 22) - und in Berlin wiederentdeckt: Für die Rückkehr von Max Kruse wendet der VW-Klub einige Extra-Millionen auf. Ansonsten gleicht er die Investitionen mit dem Erlös für Weghorst und anderen Einsparungen - Ex-Kapitän Josuha Guilavogui wechselt nach Bordeaux - aus.

Selbst in Wolfsburg ist in der Corona-Krise großzügiges Einkaufen aus der Mode gekommen, ganz zu schweigen vom Rest der Bundesliga. Leihgeschäfte prägen die wenigen Aktivitäten - ein Deal wie der am Sonntag vermeldete Sofortwechsel des iranischen Nationalstürmers Sardar Azmoun, 27, von Sankt Petersburg zu Bayer Leverkusen ragt da schon heraus. Zunächst war der Handel für den Sommer als ablösefrei verabredet worden.

Während in England die Stadien immer offen waren und in anderen Ländern wieder öffnen, bleiben sie hierzulande weiterhin weitgehend leer, Spieltag für Spieltag zählen die Schatzmeister die Millionenverluste. Für den Transfermarkt-Spaß der Fans fühlen sie sich berechtigterweise nicht zuständig.

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