Teahupoo ist ein wunderschöner Flecken Erde, zumindest für jene, die tropisches Südseeflair mögen. Das Fischerdorf liegt auf der Insel Tahiti am südwestlichen Zipfel des Vulkans Tahiti Iti, verstreute Häuser zieren die schmale Ebene, an deren Seiten sich üppige Vegetation die grünen Hügel hinaufzieht. Das Örtchen ist noch immer wenig erschlossen, zugleich ist es seit Jahrzehnten ein Sehnsuchtsort, wenn auch eher für Surfer als Touristen. Denn vor dem Riff türmt sich im Pazifik eine der spektakulärsten Wellen der Welt.
Kraftvoll sei sie, hohl brechend, berichten Surfmagazine, das Riff unter ihr reiche bis zu 50 Zentimeter unter die Wasseroberfläche. Deshalb gilt sie auch als besonders herausfordernd und gefährlich. 2011 etwa hat die Welle die US-amerikanische Profisurferin Keala Kennelly auf die scharfen Korallen geschleudert, sie trug schwerste Gesichtsverletzungen davon. Es ist eine Hassliebe, die viele Profis mit Teahupoo verbindet.
Bei den kommenden Sommerspielen sollen in Teahupoo Ende Juli 2024 die Surfwettbewerbe ausgetragen werden - rund 15 700 Kilometer vom eigentlichen Olympia-Schauplatz Paris entfernt. Tahiti gehört zu Französisch-Polynesien, die Planer wollten die Überseegebiete nicht vernachlässigen, und weil es dort diese Welle gibt, banden sie Tahiti in ihr Konzept ein.
Nur hatten sie nicht mit einer ganz anderen Welle gerechnet, die sich in den vergangenen Wochen in Teahupoo auftürmte und nun bis nach Paris schwappt. Denn knapp zehn Monate vor Beginn der Surfwettbewerbe erhitzt der dafür vorgesehene Bau eines Turms aus Aluminium für Punktrichter, Trainer und Fotografen die Gemüter. Viele Bewohner Tahitis, Umweltschützer und einheimische Surfer protestieren nun gegen den fast fünf Millionen Euro teuren und 14 Meter hohen Turm, der die alte Holzkonstruktion ersetzen soll.
Diese war in den hohen Wellen öfter schon umgefallen. Ein solches Szenario wollen die Planer und das IOC unbedingt vermeiden, ihr Interesse liegt eher darin, die großstädtischen Spiele von Paris mit etwas Südsee-Atmosphäre zu untermalen. In den drei Stockwerken sollen auch klimatisierte Technikräume eingerichtet werden, mit Internetserver samt Stromversorgung über ein Unterseekabel, außerdem eine Toilette samt Entwässerungssystem. Der Betonsockel müsste im Korallenriff verankert werden.
Es drohen Algenbefall, vergiftete Fische und vielleicht auch das Ende der Riesenwelle
In den vergangenen drei Wochen haben mehr als 150 000 Menschen eine Petition gegen den Turmbau unterschrieben. Hunderte trafen sich Ende Oktober nahe Teahupoo zu einem friedlichen Protestzug, Bauern, Fischer, Surfer, Junge, Alte, sie hielten Plakate in die Höhe, auf denen stand: "Land der Götter" - und nicht des IOC. Einer, der dort mitlief mit nacktem Oberkörper und Bambuskette um den Hals, ist der einheimische Spitzensurfer Matahi Drollet, 26, der nun zu einem Gesicht der Widerstandsbewegung wird. "Diese neue Konstruktion wird einen großen Teil des Riffs zerstören", schildert Drollet auf Instagram, der wie viele andere vor unabsehbaren Folgen für das Ökosystem in der Lagune warnt. Beispielsweise könne sich durch Algenbefall infolge der Baumaßnahmen auch die Ciguatera ausbreiten, eine Fischvergiftung, die für die hauptsächlich vom Fischfang lebenden Bewohner existenzbedrohend wäre. Im schlimmsten Fall, so Drollet, verändere sich die Welle durch den Bau, oder sie verschwinde mit den Jahren ganz.
Extremsport in Portugal:Mensch gegen Meer
Die Riesenwellen von Nazaré locken Surfer und Touristen aus aller Welt an. Im Januar ist dort erstmals ein Surfer ums Leben gekommen, und es stellt sich die Frage: Wer ist hier eigentlich für die Sicherheit verantwortlich?
Ob es das wert sei, für einen viertägigen Olympiawettkampf ein Monstrum aus Aluminium und Beton ins Meer zu stampfen?, fragt Drollet rhetorisch. Die Holzkonstruktion habe schließlich 15 Jahre lang bei internationalen Wettbewerben wie der World Surf League ihren Dienst getan. "Der Ozean und die Lagune sind der wertvollste Ort, den wir hier haben. Sie geben uns Nahrung, hier spielen wir, hier haben wir die beste Welle der Welt. Es ist ein Erbe unserer Vorfahren, das wir bewahren müssen. Deshalb ist unsere Vereinigung gegen diesen neuen Turm."
Es geht hier natürlich auch um das große Ganze, um Selbstbestimmung und um Abhängigkeit. Zwischen diesen beiden Polen schwebt das lange unentdeckte und später von Frankreich kolonialisierte Tahiti ja schon seit Jahrhunderten. Die Europäer missionierten, brachten Krankheiten auf die Insel, deren Bevölkerung dadurch massiv dezimiert wurde. Immer wieder kam es auch in der jüngeren Vergangenheit noch zu Protesten gegen die französische Verwaltung, Jugendliche klagen über Perspektivlosigkeit. Die Unterjochung hat sich eingebrannt ins Volk, die jüngsten Proteste kann man daher - neben allen anderen Gründen - auch als Auflehnung gegenüber der Obrigkeit verstehen.
Der IOC-Sprecher sagt, man wolle den Ort für die Spiele erhalten, respektieren und aufwerten
Kürzlich war der Präsident von Französisch-Polynesien, Moetai Brotherson, wegen der Proteste zu Besuch im nahe gelegenen Dorf Toahutu - nicht ganz ausgeschlossen, dass ihn das IOC dazu ermuntert hat. Denn es war eher ein Beschwichtigungsbesuch mit dem Tenor, die Natur werde sich schon wieder erholen. Nach den Protesten ruderte er nun zurück und bestätigte der Nachrichtenagentur AFP, dass er aus Umweltschutzgründen den Umzug der Surfwettbewerbe an einen anderen Ort auf Tahiti erwäge. Genauer gesagt nach Taharuu. "Das ist ein Badeort mit der gesamten nötigen Infrastruktur. Wenn wir uns schon bei der ursprünglichen Planung dafür entschieden hätten, hätten wir eine ganze Reihe an Problemen vermeiden können", sagte Brotherson. Einen Supermarkt gibt es dort auch. Aber eben nicht die Welle von Teahupoo.
Mit seiner jüngsten Aussage dürfte der Präsident bei der Protestbewegung punkten, aber sicher nicht beim IOC oder im fernen Frankreich bei den Olympiaplanern. Ein Sprecher des Organisationskomitees für Paris 2024 sagte jedenfalls auf SZ-Nachfrage, dass "die Wahl auf Tahiti wegen des Standorts Teahupoo und seiner legendären Welle" gefallen sei: "Wir prüfen alle möglichen Szenarien, damit die Surfwettbewerbe an diesem Ort stattfinden können, den wir für die Spiele erhalten, respektieren und aufwerten wollen." Man wolle einen Wettbewerb bieten, der die Umwelt respektiert, bei dem sich die Spiele an Teahupoo anpassen und nicht umgekehrt. Und: Der Dialog und die Arbeit mit den Umweltverbänden und den Anwohnern würden fortgesetzt.
Nachhaltigkeit ist tatsächlich ein Leitmotiv der Spiele 2024. Andererseits hat man solche Sätze von Olympiaplanern schon sehr oft gehört. Und hinterher verfallen dann, wie nach Rio 2016, die Sportstätten und Athletenwohntürme doch wieder.
"Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass sie diesen Ort zerstören", sagt Matahi Drollet. Er liebt seine Welle, die er kennt wie kaum ein Zweiter. Und er klingt sehr kämpferisch.