Sportpolitik:Steht die Spitzensportreform vor dem Aus?

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Harte Landung: Deutsche Medaillenerfolge bei Olympia (hier Zehnkämpfer Niklas Kaul 2021 in Tokio) werden seit Jahren seltener. (Foto: Olaf Rellisch/Beautiful Sports/Imago)

Zu bürokratisch, mit "Fesseln" versehen: Der Deutsche Olympische Sportbund kritisiert den jüngsten Entwurf aus der Politik scharf, die Sportförderung von Grund auf zu reformieren. Das Projekt droht zu scheitern - was bedeutet das für künftige Erfolge?

Von Johannes Knuth

Wenn die Politik und der organisierte Sport in Deutschland verheiratet wären - an welcher Gabelung befände sich wohl gerade ihre Ehe? Die prickelnde Anfangszeit (beziehungsweise der olympische Medaillenregen nach der Wiedervereinigung) ist längst verblasst, stattdessen folgte zuletzt Paartherapie auf Paartherapie (Spitzensportreform! Jährliche Förderung auf 300 Millionen Euro aufgestockt!). Neue Harmonie oder gar prickelnde Erlebnisse (mehr Medaillen!) wollten sich aber partout nicht einstellen.

Und jetzt: der große Krach?

Der Eindruck beschleicht einen, studiert man Äußerungen, mit denen der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der Hauptvertreter des organisierten Sports, nun erstaunlich forsch an die Öffentlichkeit prescht. Gerade hatte das Bundesinnenministerium (BMI) einen Entwurf des lang erwarteten Sportfördergesetzes fertig geschnürt; grob gesagt die Werkzeuge bereitgestellt, mit denen deutsche Athleten künftig besser gefördert werden und erfolgreicher abschneiden sollen. Und dann stellt der Sport, der davon profitieren soll, plötzlich die Sinnfrage, noch bevor das Gesetz öffentlich präsentiert wird. Man stelle "ernüchtert fest", heißt es, dass das BMI "die bisher vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem organisierten Sport infrage stellt" - nachdem man zwei Jahre lang so vertrauensvoll an der Reform gebastelt habe. Und: "Es stellt sich sogar die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Projektes", ließ sich Jens Nettekoven zitieren, einer von fünf Vizepräsidenten im DOSB. Also: das Aus der Spitzensportreform?

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Die Eskalation hatte sich spätestens abgezeichnet, als BMI und DOSB nach den erwähnten zwei Jahren (Paartherapie?) zuletzt das Feinkonzept ihrer Reform vorstellten. Oder wie es Olaf Tabor formulierte, Vorstand für das Ressort Leistungssport im DOSB: das Unterfangen, einen Tanker in ein "Schnellboot" zu verwandeln. Herz der Reform ist das Sportfördergesetz, das vor allem eine sogenannte Sportagentur in der Landschaft verankert: ein neue, verschlankte, (mehr oder weniger) überparteiliche Instanz, die über alle Kernfragen richten soll, die bislang in einem verwinkelten Apparat hin- und hergespielt wurden. Dabei geht es insbesondere darum, welcher Fachverband künftig wie viel Geld erhalten soll. Dies und vieles mehr liegt künftig in den Händen zweier Vorstände. Allerdings nicht ohne Aufsicht - zum einen durch einen Stiftungsbeirat, der viele Leitplanken setzt und in dem der Bund die Oberhand hat. Zudem soll ein Sportfachbeirat, den der organisierte Sport kontrolliert, die Agentur, nun ja, beraten. So agiere man auf Augenhöhe, hieß es bis zuletzt.

Bis der Bundesrechnungshof im vergangenen Herbst dazwischenfunkte. Der Einfluss, den der DOSB auch ab 2025 genießen soll, sobald die neue Agentur arbeiten will, sei "unzulässig" und "umgehend zu beenden", schrieb er. Statt ohne Einfluss Dritter darüber zu entscheiden, wie Bundesmittel verteilt werden, habe die Politik die "Doppelfunktion" des Sports zuletzt gestärkt: Der DOSB vertrete zum einen die Interessen der Verbände, denen die Förderströme zufließen, berate den Bund zugleich dabei, wie die Gelder am besten zu verteilen seien - und soll nun auch noch mit der Politik darüber entscheiden. Diese Idee des Bundes, "einvernehmlich" mit dem Sport die Förderbescheide auszustellen, entspreche einem "falschen Rollenverständnis", tadelte der Rechnungshof. Grob gebündelt: Wenn der Staat allein die Mittel heranschafft, muss er in letzter Instanz darüber entscheiden, allein. So wie das im Grunde in allen anderen Lebenszweigen gehandhabt wird, aber dem Sport liegt seine Autonomie (und seine Expertise) ja seit jeher sehr am Herzen.

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Der Bundesrechnungshof steuerte dem jetzt scharf entgegen - und sehr konkret. Er forderte den Bund auf, die Hoheit im Stiftungsbeirat der neuen Sportagentur auf jeden Fall zu wahren - bis hin zu einem Vetorecht, wenn dort Entscheidungen von besonderer Tragweite gefällt werden. Und noch ein Bremsblock: Im Bundeshaushalt für das aktuelle Jahr sind die Gelder, mit denen die neue Sportagentur aufgebaut werden soll - 200 000 Euro und damit 400 000 weniger als erhofft - nach wie vor mit einem Sperrvermerk versehen: "Voraussetzung für die Aufhebung der Sperre ist die angemessene und dauerhafte Sicherstellung der parlamentarischen Kontrolle über die Arbeit der Sportagentur", heißt es dort. Also just das, was der Sport so gar nicht mag.

Das BMI versuchte, das im neuen Gesetzentwurf auch umzusetzen. Bei einem Patt unter den 18 Mitgliedern des Stiftungsbeirats etwa soll der Bund entscheiden. Fünf der neun Sitze für die Politik fallen Abgeordneten des Bundestags zu (die übrigen neun teilen sich Sportvertreter, Athleten und Länder). Und: Bei wichtigen Themen - wie etwa der Spitzensport künftig grundsätzlich gesteuert und gefördert wird, wer in den Vorstand berufen und abbestellt wird - steht dem Vorsitz dieses Stiftungsbeirats tatsächlich ein Vetorecht zu. Also: der Politik.

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Die knackige Reaktion des DOSB zeigt, wie wirksam die Politik die Anregungen der Rechnungsprüfer offenbar eingewoben hat. Der Gesetzentwurf, tadelte der DOSB, enthalte große Schwächen, etwa was die Unabhängigkeit der Agentur betreffe, auch "die Kooperation zwischen Politik und Sport auf Augenhöhe". Das BMI sichere sich mit seinem Vetorecht die Kontrolle darüber, wie die Agentur künftig ausgerichtet wird; DOSB-Präsident Thomas Weikert sprach gar von angelegten "Fesseln". Eine schlanke, unabhängige Agentur könne man da nicht mehr erkennen, stattdessen pflanze man dem ohnehin überladenen System einen weiteren Baustein ein - so drohe "eine Fortführung der überbordenden Verwaltungsprozesse".

Horcht man ins BMI hinein, kontert dieses zumindest letztere Darstellung. Die Sportagentur sei sehr wohl "verschlankt", teilt ein Sprecher mit, man schmelze viel Bürokratie ab, so stehe es auch im Gesetzentwurf: dass Fördersummen etwa nicht mehr an einzelne Jahre oder Disziplinen gebunden sein sollen wie bislang. Auch agiere der Vorstand in einer solchen Stiftung des öffentlichen Rechtes "weitgehend unabhängig". Dieser Unabhängigkeit müsse man aber Grenzen setzen -"insbesondere dort, wo es um die strategische Ausrichtung der Spitzensportförderung geht". Man treffe diese Vorgaben zwar "gemeinsam" - so ganz gemeinsam dann aber offenbar auch wieder nicht, denn: "Ein maßgeblicher Einfluss des Bundes im Stiftungsrat ist dabei unerlässlich", schreibt das BMI, "weil die Sportagentur ausschließlich Mittel des Bundes vergibt". Man freue sich aber, "konkrete Vorschläge", auch aus dem Sport, "konstruktiv" zu prüfen. Was das dann wiederum für das Vorhaben bedeutet, das Gesetz noch Ende dieses Jahres verabschieden zu wollen?

Alles in allem klingt das, in freundliche Worte gegossen, nach weiterem Krach, nach Ringen um Einfluss - und nach Zeit, die verrinnt zulasten derer, die im Herzen der Reform stehen sollen: die Athleten.

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