Nachruf auf Sinisa Mihajlovic:Rustikal wie genial

Lesezeit: 3 min

Sinisa Mihajlovic trainierte zuletzt den FC Bologna. (Foto: Buzzi/Imago)

Er schoss mal drei Freistoßtore in einem Spiel, aus der rechten Ecke schlug ihm Verehrung entgegen: Der Serbe Sinisa Mihajlovic war über Dekaden eine der kontroversesten Figuren des europäischen Fußballs. Nun ist er an Leukämie gestorben.

Von Thomas Hürner

Es gibt Leute, die Sinisa Mihajlovic für einen Bastard hielten. Eine ganze Menge sogar, doch dem früheren serbischen Fußballer kam das auch zupass. Er sog Ablehnung in sich auf, ganz tief und genüsslich, er brauchte sie wie die Luft zum Atmen. Ob ihn die Leute mochten oder nicht, war Mihajlovic egal. Der Zweck heiligte die Mittel. Und zum Gewinnen war ihm nahezu jedes Mittel recht.

Es darf also als ausgeschlossen gelten, dass sich der Mann, den sie in Serbien "den Kämpfer" rufen, seinem Schicksal widerstandslos ergeben hat. Bis zuletzt hatte er sich gewehrt gegen die Leukämie, am Freitag hat er nun seinen finalen Kampf verloren. Mihajlovic starb im Alter von nur 53 Jahren. Der Blutkrebs hatte eine halbe Dekade lang nicht locker gelassen, er kehrte immer wieder zurück, obwohl er bereits besiegt zu sein schien. Mihajlovic wurde hager, sein Körper wirkte ausgezehrt, das Gesicht war zuletzt eingefallen und fahl. Er selbst nannte die Krankheit übrigens immer nur "diesen Bastard".

SZ PlusBilanz der WM in Katar
:Zwei Monarchen fanden's super

War das nun die beste, die grünste, die stimmungsvollste WM aller Zeiten? Aber klar! Man muss sich dafür nur die Realität zurechtbiegen - und ein paar Geldsäcke nach Europa schicken. Über Rechentricks, Märchen und Grenzen der Differenzierung.

Von Johannes Aumüller, Claudio Catuogno und Thomas Kistner

Sinisa Mihajlovic war über Dekaden eine der kontroversesten Figuren des europäischen Fußballs. "Ich bin, wie ich bin, im Guten wie im Schlechten", sagte er einmal. Je nach Perspektive konnte das einiges bedeuten: Mihajlovic war ein so rustikaler wie genialer Kicker, der mit seinem linken Fuß locker beim Tontaubenschießen hätte antreten können. Vielen gilt der Verteidiger bis heute als der beste Freistoßschütze der Fußballgeschichte. Respekt genoss Mihajlovic insbesondere in Italien, wo er den Großteil seiner Profikarriere verbrachte. Erst als Spieler bei Sampdoria Genua, den beiden römischen Klubs AS und Lazio sowie für Inter Mailand. Später dann auch als Trainer. Bis vor wenigen Wochen stand Mihajlovic beim FC Bologna in Verantwortung.

Verehrung wurde ihm auch stets aus Ecken zuteil, die weit rechts zu verorten sind. Mihajlovic war ein strammer Nationalist, der einst keinen Hehl draus machte, dass er dem früheren jugoslawischen Machthaber und verurteilten Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic zumindest ideologisch nahe stand. Später distanzierte sich Mihajlovic von rechtem Gedankengut, auch ein Griff nach Milosevic' politischem Arm konnte nie wirklich nachgewiesen werden. Aber war er auch geläutert, tief im Inneren?

Unter faschistischen Fans genießt Mihajlovic noch heute einen zweifelhaften Kultstatus, seit er Anfang der Nullerjahre in einem Champions-League-Spiel mit dem Franzosen Patrick Vieira aneinandergeriet, Stirn an Stirn, Hass schimmerte in den Augen. Die Worte, die Mihajlovic seinem Gegenspieler wiederholt zurief, sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Nur so viel: Sie waren zutiefst rassistisch. Und sie passen zu jenen Milieus, in denen Mihajlovic in jungen Jahren angeblich so verkehrte: Warlords, Kriminelle, auch über Kontakte zur Mafia wurde spekuliert.

SZ PlusTod von Gerd Müller
:Der Meister des Bumm

Er hasste den Rummel und die Show - doch auf dem Platz war Gerd Müller ein Genie. Ohne ihn wäre die Beckenbauer-Generation, wäre der ganze FC Bayern München vielleicht nie berühmt geworden.

Nachruf von Thomas Hummel

Mihajlovic - das nicht zur Verteidigung, sondern zur Erklärung - ist auch ein Geschöpf des Balkankonflikts. Als Sohn einer kroatischen Mutter und eines serbischen Vaters wuchs er in der Stadt Borovo auf, ein Dörflein im Osten Kroatiens, nahe der serbischen Grenze. Es war eine Jugend in aufgeladener politischer Spannung, in steter Angst vor einem Bombenhagel. In Borovo kam es im Mai 1991 zu heftigen Konflikten zwischen Kroaten und Serben, das Ereignis gilt als Brandbeschleuniger im Jugoslawienkrieg. Mihajlovic war da gerade Profi geworden - und schlug nur Tage später mit Roter Stern Belgrad den FC Bayern im Halbfinale des Cups der Landesmeister.

Auf dem Platz war Mihajlovic erratisch, er trat und schlug zu, wenn er sich provoziert fühlte. Beim WM-Vorrundenspiel 1998 gegen Deutschland baute er sich vor Jens Jeremies auf und spuckte ihm ins Gesicht. Doch Mihajlovic, das gehört auch zu seinem Vermächtnis, war auch unter jenen Kollegen beliebt, die dem italienischen Fußballadel angehören und nicht im Verdacht stehen, mit Faschisten rumzuhängen. War Mihajlovic also doch geläutert?

Sinisa Mihajlovic (Jugoslawien, li.) und Jens Jeremies (Deutschland) geraten bei der WM 1998 heftig aneinander. (Foto: Imago)

Nach der Todesmeldung kondolierten etliche Weggefährten, die Mihajlovic Jahr für Jahr gegenüberstanden. Alessandro Del Piero und Francesco Totti zum Bespiel, auf dem Rasen einst erbitterte Rivalen. Und natürlich Roberto Mancini, derzeit Trainer der italienischen Nationalmannschaft, der seinen Freund "Miha" stets ins Schutz nahm, wenn Journalisten wieder die alten Geschichten ausgruben. No, no, no, entgegnete Mancini dann immer: Was früher auch gewesen sei, heute sei alles ganz anders. Mindestens.

Mancini und Mihajlovic hatten eine in der Branche außergewöhnliche Beziehung, sogar Vereinswechsel vollzogen sie oft gemeinsam. Insbesondere bei Lazio gelten sie als Klublegenden, weil sie den so stolzen wie titelarmen Klub nach ganz oben führten: Sie gewannen eine italienische Meisterschaft, zwei italienische Pokale, dazu den Europapokal der Pokalsieger. In Rom stellte Mihajlovic überdies einen Rekord auf: Drei Freistoßtreffer in einem Spiel, das ist in Italien bis heute unerreicht. Als Mancini später Trainer wurde, schätzte er nicht nur den linken Wunderfuß des Serben, sondern vor allem dessen warmherzige Autorität in der Kabine. Bei Inter beförderte Mancini dann Mihajlovic vom Spieler zu seinem Assistenten, auch in dieser Konstellation füllten sie den Trophäenschrank des Klubs.

"Ich habe einen Freund verloren, mit dem ich 30 Jahre meines Lebens geteilt habe", ließ Mancini nach dem Tod von Mihajlovic mitteilen: "Du hast gekämpft wie ein Löwe, und du wirst immer an meiner Seite bleiben." Zu Mihajlovic' Vermächtnis gehört auch, dass ihm die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in sehr ähnlichen Worten gedachte. Auf Twitter erinnerte die politische Rechtsauslegerin an den Kampfeswillen eines Löwen - und daran, dass Mihajlovic stets auf der Seite der Sieger stehen wird.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: