Segeln:Surfin' Steinebach

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Manchmal auch gemeinsam beim Windsurfen: Sophie und Theresa Steinlein. (Foto: Ronny Kiaulehn/oh)

Zwillinge bei Olympia gab es schon öfter, aber in zwei verschiedenen Disziplinen? Theresa und Sophie Steinlein wollen den nächsten Sommer nicht am Wörthsee verbringen, sondern bei den olympischen Segel- und Windsurfwettbewerben.

Von Thomas Becker

In der Regel ist die Nordsee weit weg vom Wörthsee. Aber als vor Weihnachten Sturmtief Zoltan die Backen aufbläst, sieht es beim "Seehaus Raabe" in Steinebach aus wie bei Schietwetter an der Waterkant: gefühlt meterhohe Wellenberge samt Schaumkronen, dass es die Gischt über die Terrasse trägt und gegen die Scheiben klatschen lässt. Ein Ambiente wie gemalt für ein Gespräch mit einer Seglerin und einer Windsurferin. Auf "25 bis 30 Knoten" schätzt Theresa Steinlein die Kraft des Sturms. In eine Wolljacke gehüllt sitzt sie am Tag vor Heiligabend im "Raabe", frisch eingeflogen aus dem Trainingscamp auf Lanzarote, wo es kuschelige 25 Grad hat.

Ob sie jetzt gern raus aufs Wasser würde? Entschlossenes Kopfschütteln. "Vorgestern hat's noch ein Winger probiert", wirft Papa Markus ein, und auch Theresas Zwillingsschwester Sophie, die eine Minute älter ist, aber heute ein paar Minuten später kommt, fühlt sich ausnahmsweise an Land wohler. Gewöhnlich sind die Steinlein-Twins auf dem Wasser daheim, und allzu gern wären sie da auch Ende Juli/Anfang August: vor der Marina du Roucas-Blanc in Marseille, bei den olympischen Segel- und Windsurfwettbewerben. Zwillinge bei Olympia gab's schon öfter, aber in zwei verschiedenen Disziplinen? Hätte schon was. Aber die Qualifikation ist kompliziert, die Entscheidung fällt im Frühjahr.

Dass die beiden 21-Jährigen es so weit geschafft haben, liegt in der Familie. Die Eltern lernen sich beim Segeln kennen, sind erfolgreiche Wettkämpfer, nehmen die insgesamt vier Töchter stets mit aufs Boot, der Vater die Tochter auch mal zwischen den Beinen mit aufs Surfbrett. Mit fünf geht's in den Opti, die Ein-Mann-Jolle für Kids, mit sieben die erste Mittwochs-Regatta auf dem Wörthsee, dann in den Bayerischen Yachtclub. Im 420er segeln die Zwillinge dann zu zweit, aber nicht zusammen: Beide sind Steuerfrauen, es kann halt nur eine geben.

"Es war gut, dass wir nicht gemeinsam gesegelt sind", findet Theresa, "weil die Hemmschwelle so viel geringer ist. Es gibt genug Geschichten, wo sich welche auf dem Boot in die Haare bekommen." Der Vater wirft ein: "Und das sind oft Geschwister." Theresa erklärt: "Wir sind oft sieben Stunden auf dem Wasser, in einem kleinen Boot, dann macht die eine was falsch... Und dann wohnst du mit der auch noch auf dem Zimmer!"

Sophie (links) und Theresa Steinlein. (Foto: Ronny Kiaulehn/oh)

Vor drei Jahren wollte sie aufhören mit dem Segeln. "Man muss Vorschoter suchen, Monate vorher alles organisieren, das Boot verschiffen. Ich wollte unabhängig sein, niemanden fragen müssen." Also steigt sie um, aufs Surfbrett.

"Früher hab' ich mir einmal im Jahr am Gardasee was ausgeliehen und bin losgeballert", erzählt sie, "ich konnte nicht mal halsen, nur Segel hochziehen und geradeaus fahren, bin ständig reingefallen." Vor drei Jahren kauften die Eltern ein Haus im Surfer-Mekka Torbole. Auch ihr Freund surft von klein auf: "Der hat mich da reingebracht, ich fand's cool, wollte das auch machen - seitdem habe ich nicht mehr aufgehört."

Theresa ist umgestiegen, Sophie segelt weiter

Bei der U21-WM 2022 gewinnt sie schon Bronze, trainiert nun auf dem über dem Wasser fliegenden iQFOiL, das das alte Brett mit Kiel ersetzt. "Ich muss noch mehr am Material arbeiten als andere, weil ich zu leicht bin", erklärt sie. Von 54 Kilo hat sie sich auf 62 hochgearbeitet, und jedes Kilo mehr hilft, noch schneller übers Wasser zu schießen. Seit November trainiert sie auf Lanzarote, wo Ende Januar die WM steigt und ein Nationenplatz eingefahren werden muss, bevor es in die nationale Qualifikation gegen drei Konkurrentinnen geht. Theresa sagt: "In den letzten Regatten war ich immer die Beste." Auch mit dem Wirtschaftsstudium in Rom ist sie fast fertig, muss nur noch zu vier Examen hin, "aber das habe ich auf den Herbst verschoben". Nach Olympia.

Im Herbst hat auch Sophie einiges vor. Außer in der olympischen Klasse 49er FX will sie beim America's Cup mitsegeln: Erstmals findet ein Women America's Cup statt, dazu ein Youth America's Cup, in beiden Teams ist sie drin, wie Theresa, die später zum Simulator-Training in Kiel dazustoßen will. Fast 100 km/h schnell sind die beim America's Cup verwendeten Boote, die von zwei Steuerleuten gelenkt werden, weil Seite wechseln zu gefährlich ist. Zwei Wochen ist sie gerade vor Dubai auf einem solchen Riesen gesegelt: "Das ist so schnell! Als würde man auf einem fahrenden Auto stehen." Der Job hat aber auch Schattenseiten wie das Sicherheitstraining für den Fall des Kenterns: "Da wirst du im Hafen zwei Meter unter den Steg gedrückt, durcheinander gerüttelt und verdreht: so eklig! Dann musst du in Ruhe die Schwimmweste aufmachen, in die Sauerstoffflasche pusten und: atmen!" Theresa stöhnt: "Da werde ich durchdrehen. Ich krieg schon Panik, wenn mir jemand den Kopf unter Wasser drückt."

Auch wenn der Vater seine Älteste als weich und rücksichtsvoll beschreibt: Ehrgeizig ist die Siegerin der Kieler Woche 2022 im 49er FX schon auch. Das Architektur-Studium in Innsbruck ruht, Olympia sieht sie als "Teil meines Weges, als größten und wichtigsten Bestandteil, aber eigentlich will ich einfach die beste Seglerin werden, disziplinenübergreifend. Ich will gegen Männer segeln." So wie demnächst vor Abu Dhabi in der Rennserie SailGP, bei der mindestens eine Frau zur Crew gehören muss. Ihr Fahrplan zu Olympia: zwei Regatten für die interne Quali, Anfang Februar die WM auf Lanzarote, danach im März Weltcup in Palma plus eine Last-Chance-Regatta im April in Hyères mit drei, vier Tickets für alle Nationen. Könnte noch ein langer Weg werden.

Für die Zwillingsschwester Sophie auch, aber die sieht das gelassen: "Ich mache das alles nicht nur wegen Olympia. Man muss auch die Reise dahin genießen. Olympia ist cool, aber nicht das, was dein Leben verändern wird. Eine offene WM mit 100 Startern ist viel schwieriger als die 20-Leute-Olympia-Regatta. Das ist die einfachste Competition in den vier Jahren."

Dass der Wörthsee ein gutes Pflaster für deutsche Segler ist, bewies der Olympiasieger von 1964, Willy Kuhweide. Weil er vor den Spielen 1972 zur Pilotenausbildung in Fürstenfeldbruck war, trainierte der Berliner in den Wellen vor der Terrasse des "Rabe am See" - und holte Bronze. Kein schlechtes Omen für die Zwillinge.

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