Schwimm-WM in Katar:Der Stresstest ist misslungen

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Wie im Whirlpool, nur viel kühler: Leonie Beck während ihres Zehn-Kilometer-Rennens bei der Getränkeaufnahme. (Foto: Sebastien Bozon/AFP)

Florian Wellbrock und Leonie Beck enttäuschen zum Auftakt der Schwimm-WM in Doha: Sie landen im Freiwasser über zehn Kilometer durchgefroren nur im Mittelfeld. Die Leistungen werfen Fragen auf.

Von Sebastian Winter

Der Wind blies mit 34 Knoten durch jenes Areal, das früher mal Old Port, der alte Hafen von Doha, war - und das inzwischen ein aus der Retorte geschaffenes buntes Wunderland für Touristen ist, mit Kopfsteinpflaster, Museen, Galerien, dem Fischmarkt sowie zu Cafés und Restaurants umgewidmeten Schiffscontainern. Die Wassertemperatur: 19,9 Grad. Gerade so okay für ein kurzes Urlaubsbad vielleicht, für Florian Wellbrock, den deutschen Profischwimmer, auf dem bei den gerade beginnenden Weltmeisterschaften in Katar und überhaupt im Olympiajahr viele Hoffnungen ruhen, war es aber offenbar viel zu kalt.

Wellbrock liebt weitaus wärmeres Wasser, darin ist er 2019 in Gwangju, 2021 in Tokio und 2023 in Fukuoka über die zehn Kilometer im Freiwasser zweimal Weltmeister und einmal Olympiasieger geworden. 28, 29, 30 Grad - kein Problem. 19,9 dagegen sehr wohl, zumal der Neoprenanzug seit einer Regeländerung vor zwei Jahren erst unter 18 Grad erlaubt ist (bis dahin ging das unter 20 Grad). Das zehrt an den Energiereserven, vor allem bei Wellbrock, der nicht die kräftigste Statur hat.

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Schwimm-Bundestrainer Bernd Berkhahn spricht vor der WM in Doha über Florian Wellbrocks Muskeln, den Wert der Titelkämpfe unmittelbar vor Olympia, über Training mit Bremshosen und Fallschirmen - und die Belastung von Trainern.

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Als 29. ist er am Sonntagmorgen nach den zehn Kilometern aus dem Persischen Golf gestiegen, erschöpft, frierend. Sagen wollte er zunächst nichts. Dafür gab Bundestrainer Bernd Berkhahn einen recht deutlichen Einblick, wie es dem Mitfavoriten auf den WM-Titel gerade ging: "Er ist fix und fertig, hat gezittert am ganzen Leib. Er liegt hinten und ist durchgefroren. Er kann sich das auch gar nicht erklären und ist natürlich verzweifelt."

Der Rettungsanker an diesem verkorksten Wochenende: Wellbrock, Beck und Klemet sind schon für Olympia qualifiziert

Wellbrock war vier der sechs Runden in der Spitzengruppe geschwommen, hatte aber nie jene Dominanz ausgestrahlt, die ihn bei früheren Rennen zu Start-Ziel-Siegen geführt hatte. Nach der vierten Runde habe der 26-Jährige Krämpfe im Po und in den Oberschenkeln bekommen, berichtete Berkhahn. Wellbrock kämpfte sich danach noch einmal heran, verlor dann in den Schlussrunden völlig den Anschluss. "Aufgrund der Temperaturen war es nicht mehr möglich, die Frequenz noch einmal zu erhöhen. Deshalb hat er es austrudeln lassen", sagte Berkhahn. Am Ende lag der Rückstand auf den Olympiazweiten und neuen Weltmeister Kristof Rasovszky aus Ungarn bei stattlichen 1:37,8 Minuten. Oliver Klemet, WM-Dritter von 2023 und der zweite deutsche Starter, kam als Elfter ins Ziel.

Enttäuscht am Wasser: Florian Wellbrock verpasste den nächsten WM-Titel über zehn Kilometer Freiwasser in Doha deutlich. (Foto: Jo Kleindl/dpa)

Bereits am Samstag war Titelverteidigerin Leonie Beck in ihrem Zehn-Kilometer-Rennen bei auch nicht viel wärmeren 20,2 Grad nur auf Rang 20 geschwommen, 45 Sekunden hinter der neuen Weltmeisterin Sharon van Rouwendaal aus den Niederlanden. Auch Beck haderte mit den Bedingungen: "Ich bin in der letzten Runde stehen geblieben. Es war ziemlich kalt und sehr wellig, da verliert man viel Energie. Kaltes Wasser ist nicht so meins. Deswegen war es mir sehr, sehr wichtig, dass ich mich schon letztes Jahr in Fukuoka qualifiziere."

Der Rettungsanker an diesem verkorksten Auftaktwochenende aus deutscher Sicht ist tatsächlich, dass Wellbrock, Beck und Klemet bei besagter WM in Japan vor sechs Monaten zweimal Gold und einmal Bronze über die zehn Kilometer gewonnen haben und deshalb schon für die Olympischen Spiele in einem knappen halben Jahr in Paris qualifiziert sind. Darauf ist ihr Trainingsplan ausgelegt; die wegen der Corona-Pandemie verschobene und nun in den Kalender gepresste WM in Doha passt da nicht wirklich hinein.

Wellbrock war - anders als die um die Olympiaqualifikation kämpfende Konkurrenz - auch noch nicht im Höhentrainingslager, von seinen im Saisonverlauf geplanten 3900 Trainingskilometern hat er erst ein Drittel absolviert. Und eine Blaupause für das Zehn-Kilometer-Rennen in Paris in der Seine ist Katar ohnehin nicht. Erstmals wird bei den Spielen ein Freiwasserwettkampf im Fluss ausgetragen, bei völlig anderen Bedingungen, womöglich auch mit weniger Wind und Wellen. Allerdings gebe es in Paris wegen der vermehrten Wenden nur wenige Möglichkeiten, an der Spitze wegzuschwimmen, berichtete Berkhahn vor wenigen Tagen im SZ-Interview: "Das ist sicher kein Vorteil für einen gleichmäßig schwimmenden Sportler wie Florian Wellbrock."

"Es wird eine Mammutaufgabe, das jetzt alles wieder zu lösen", sagt Berkhahn

Trotzdem wirft der enttäuschende Auftakt in Doha Fragen auf. Wellbrock und Klemet hatten sich am Magdeburger Bundesstützpunkt im eigens heruntergekühlten Strömungskanal auf die Temperaturen vorbereitet, Eisbäder genommen. Die WM sollte auch ein Stresstest in einem Weltklassefeld sein. Dieser ist gründlich misslungen. "In Richtung Paris müssen wir noch mehr mit kaltem Wasser machen, denn die Seine wird auch nur zwischen 18 und 19 Grad haben", mahnte Berkhahn nun an - eine tiefergehende Erklärung für Wellbrocks Einbruch hatte auch er noch nicht: "Wir haben die niedrige Temperatur auch trainiert, zwar nie über zwei Stunden, weil man die Gesundheit nicht gefährden will, aber da hat Florian eigentlich nicht so große Probleme gehabt."

Freiwasserschwimmen vor der Touristen-Retorte: Das Zehn-Kilometer-Rennen der Männer am Sonntag in Doha. (Foto: Hassan Ammar/dpa)

Bis Mittwoch können sich die Deutschen erholen, dann stehen die nichtolympischen Rennen über fünf Kilometer im Freiwasser an. Kommende Woche folgen die Beckenwettbewerbe, in denen Wellbrock über 800 und 1500 Meter Freistil ums Olympiaticket kämpft. "Es wird eine Mammutaufgabe, das jetzt alles wieder zu lösen", sagte Berkhahn noch.

Zumal ihn die Bedingungen auch abseits des Meeres nicht gerade ins Schwärmen bringen. Jedenfalls berichtete die Deutsche Presse-Agentur, dass den Bundestrainer ziemliche Bauchschmerzen wegen des Teamhotels in Doha plagen: "Da haben wir keinen Glücksgriff getan dieses Jahr. Das Essen ist schlecht. Da jetzt für drei Wochen zu wohnen, ist schon hart."

Besonders, wenn sich auch weiterhin keine Erfolge abzeichnen für die deutschen Schwimmer im windigen Touristenwunderland.

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