Ole Braunschweig:Ein besonderer Schwimmer

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"Ich bin froh, dass ich nicht als Letzter ins Ziel gekommen bin": Ole Braunschweig beim Weltcup in Berlin. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

ADHS, komplizierte Kindheit, Verletzungsdramen: Ole Braunschweig war nicht unbedingt auserkoren, Spitzenschwimmer zu werden. Doch er hat es geschafft - auch weil er immer authentisch geblieben ist.

Von Sebastian Winter, Berlin

Ole Braunschweig war ziemlich außer Puste nach seinem letzten Weltcup-Wettkampf in Berlin. Der 25-Jährige zog sich aus dem 50-Meter-Becken, lief schwer atmend an der Sponsorenwand entlang, hielt an, stemmte die Hände auf die Knie. Siebter war Braunschweig im 100-Meter-Rücken-Finale geworden, aber um Medaillen ging es ohnehin nicht, die DSV-Schwimmer blicken alle schon ins nächste Jahr, zur WM nach Doha im Februar und zu den Olympischen Spielen in Paris. "Ich bin froh, dass ich nicht als Letzter ins Ziel gekommen bin", sagte Braunschweig keuchend, "das war gut für die Birne."

Er ist groß geworden in dieser Halle, hat hier Kinderwettkämpfe absolviert, fährt mit dem Fahrrad von seiner WG in Berlin-Lichtenberg, die er mit seinem Schwimmkollegen Ramon Klenz bewohnt, hierher, auch zum Weltcup. Nun aber war er nur platt, freute sich aber darauf, sein Versprechen einzulösen.

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Von Sebastian Winter

Braunschweig ist seit Jahren der beste deutsche Rückenschwimmer - und ein besonderer. Weil ihn seine Kindheit geprägt hat. Und weil er sich nie hat verbiegen lassen von der Glitzerwelt des Profisports. Er ist authentisch geblieben, gradeheraus, Berliner Schnauze eben. 2021 war er bei den Spielen in Tokio, im vergangenen Juli bei der WM in Fukuoka. Für Medaillen hat es noch nicht gereicht, außer bei der EM 2022, wo er Bronze über die 50 Meter gewann - sein größter Erfolg. Dafür ging er nach der WM mit seiner Trainingskollegin Angelina Köhler auf Rucksacktour durch Japan, mit folgendem Plan: "Ich werde mich auf jeden Fall vollfressen und dann mit drei Kilo Extragewicht in die neue Saison starten." Der Plan sei exakt so aufgegangen, beteuerte Braunschweig nun in Berlin.

Er nimmt diese Erlebnisse mit, das Reisen, die WM, in andere Kulturen einzutauchen. Ganz nebenbei ist er in den vergangenen Jahren beharrlich in die erweiterte Weltspitze geschwommen. Allein das ist erstaunlich für einen wie Braunschweig, der es nicht wirklich leicht hatte in seiner Jugend und keiner der Privilegiertesten war.

"Es gab Zeiten, da hatten meine Eltern nicht viel Geld, da mussten sie meinen Bruder und mich eher durchfüttern."

Braunschweig wurde in Berlin-Biesdorf geboren, einem Teil von Marzahn im Osten der Stadt. Der Vater Feuerwehrmann, die Mutter im Büro. "Ich bin nicht in armen Verhältnissen aufgewachsen, aber es gab Zeiten, da hatten meine Eltern nicht viel Geld, da mussten sie meinen Bruder und mich eher durchfüttern", sagt Braunschweig. Malte, sein jüngerer Bruder, kam mit einer Dysmelie zur Welt, einer Fehlbildung der Armmuskeln.

Das Seepferdchen hat Ole Braunschweig in der Schwimmhalle "Helmut Behrendt" abgelegt, das Wasser war sein Element, hier war er glücklich. Beim Lernen eher nicht. Wenn in der Grundschule Klassenarbeiten geschrieben wurden, war Braunschweig merkwürdig abgelenkt, er schaute aus dem Fenster, "und wenn mal eine Eintagsfliege vorbeigeflogen ist, hat mich die Fliege viel mehr interessiert". Die Lehrerin wunderte sich dann, dass am Ende nur zwei von zehn Aufgaben fertig waren auf dem Blatt ihres Schülers. Zuhause konnte Braunschweig stundenlang Papierflieger basteln. Aber Hausaufgaben machen? Schwierig. Irgendwann kam die Diagnose: ADHS. Bis er 15 war, ging Braunschweig zur Ergotherapie, um Dinge besser kanalisieren zu können und auch Aufgaben zu bewältigen, die ihm keinen Spaß machten. Aber fürs Schwimmen, sagt er, "hat mir mein ADHS extrem geholfen". Er war da im Tunnel.

Mit Bart und Berliner Schnauze: Ole Braunschweig. (Foto: Maja Hitij/Getty)

Die Eltern unterstützten die Söhne bei ihrem extrem zeitintensiven Hobby, machten Fahrdienste, zahlten Anzüge und Trainingslager. Und sahen, dass das Schwimmen zur Erfüllung ihrer Kinder wurde. Malte machte sich ebenfalls auf Richtung Spitze. 2021 in Tokio war es dann soweit, beide starteten dort, Ole bei den Olympischen Spielen, Malte ein paar Wochen später bei den Paralympics. Die Eltern bauten in ihrer Garage damals Leinwand und Beamer auf, "um drei Uhr nachts saßen sie dann mit 20 Leuten aus der Nachbarschaft in der Garage, tranken Tee und Bier und schauten sich unsere Wettkämpfe an", erinnert sich Ole Braunschweig.

Eigentlich hätte er es gar nicht nach Tokio schaffen dürfen. 2016 fiel er auf einer Wiese mit dem Knie in eine zehn Zentimeter lange Scherbe, die im Gras steckte, der Schleimbeutel riss, die Arterie auch, und weil seine Kumpels starr vor Schreck neben ihm saßen, rief er selbst den Krankenwagen und rettete sich. Ende 2019 riss ihm beim Athletiktraining das Kreuzband, zwei Tage später war er wieder im Trainingsbecken, kraulte nur mit den Armen. Ein halbes Jahr später: Pfeiffersches Drüsenfieber. Dann kam Corona, Anfang 2021 hatte sich auch Braunschweig angesteckt. Der SZ sagte er mal: "Ich will immer mein Ziel erreichen, koste es, was es wolle." Braunschweig erreichte es, Platz 25 über 100 Meter Rücken, schnuppe, Hauptsache dabei. Malte wurde Achter über 100 Meter Schmetterling, bei der WM in diesem Jahr gewann er über dieselbe Strecke und über 100 Meter Freistil jeweils Bronze.

Am Donnerstag vor dem Weltcup war Ole Braunschweig zu einem Sponsoren- und Medientreffen des Schwimm-Weltverbandes in eine Cocktailbar hoch über Berlin eingeladen, samt Größen wie Adam Peaty und Sarah Sjöström. Braunschweig schaute sich etwas ungläubig um. "Es ist eine Ehre, hier zu sein", sagte er, "das ist eigentlich nicht meine Welt." Er weiß schon, wo er herkommt.

Sein Versprechen hat er, trotz müder Beine am Sonntag, auch noch eingelöst nach dem letzten Wettkampf. Braunschweig hatte mal der australischen Schwimmerin Kaylee McKeown, Dreifach-Olympiasiegerin und -weltmeisterin, und ihrem Landsmann Brandon Smith sein Wort gegeben, mit ihnen richtig gut Döner essen zu gehen in Berlin. Er kennt sich da aus. Seine Bestellung, wie immer: "Alle drei Soßen, extra Fleisch, Salat, alles außer Rotkohl."

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