Schwimm-Weltcup:Mit der Achterbahn zurück ans Licht

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"Jeder im Fokus stehende Sportler braucht Drucklöser": Adam Peaty. (Foto: Patrick Khachfe/Shutterstock/Imago)

Adam Peaty war der herausragende Brustschwimmer seiner Generation. Dann bremsten ihn eine Verletzung, Alkohol und Depressionen. Beim Weltcup in Berlin steht der Brite nun wieder am Start - oder wie er sagt: am Beginn einer Bergtour.

Von Sebastian Winter, Berlin

Da ist er nun in einer Rooftop-Bar im Berliner Osten, der Mann, der sich in den vergangenen sechs Monaten rar gemacht hat, jedenfalls im Schwimmbecken. Adam Peaty, blaues Shirt, Jeans, akkurat gekämmte Haare, getrimmter Schnauzer, hat es sich bequem gemacht auf einem Stuhl, grandioser Blick aus dem 14. Stock nach Westen auf den Fernsehturm, den die letzten Sonnenstrahlen zum Glitzern bringen. Ein symbolisches Bild hätte das sein können, Peaty in Zivilkleidung im Sonnenuntergang. Aber der 28-jährige Brite aus Uttoxeter war ja nicht in die Hauptstadt gekommen, um da oben einen Dong Xuan Deluxe zu trinken (exotisch, komplex) oder einen Tiki Taka auf der Landsberger (vollmundig, cremig, tropisch).

Der dominierende Brustschwimmer der jüngsten zehn Jahre - drei Mal Olympiasieger, acht Mal Weltmeister und 15 Mal Europameister - kehrt vielmehr auf seine Bühne zurück beim Weltcup an diesem Wochenende in Berlin, über 50 und 100 Meter. Nach mehr als sechs Monaten Wettkampfpause - und nach Jahren, in denen es in seinem Inneren immer dunkler wurde. "Das hier ist mein Comeback", sagt Peaty nun im Sonnenuntergang der SZ, "der Beginn einer Bergtour". Und betont, dass "der Spaß zurückgekehrt" sei.

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Kommentar von Sebastian Winter

Eine Bergtour, das ist ein gängiges Bild im Spitzensport, aber kaum einmal war der Gipfel für einen Athleten so weit weg wie für Peaty, wenn man in seine jüngere Vergangenheit blickt. Der großflächig tätowierte Muskelmann, der die Medaillen in seiner Disziplin viele Jahre lang anzuziehen schien wie ein Magnet, verpasste 2022 wegen einer Fußfraktur die Weltmeisterschaft in Budapest. Es war der erste große Knick in seiner Karriere.

Bis dahin hatte er bei Europa- und Weltmeisterschaften immer nur Gold gewonnen in seinen Einzelrennen, die er schwamm. In dieser Phase hat sich spätestens ein großer Schatten auf seine Seele gelegt. Im März 2023 war dieser so groß geworden, dass Peaty sich vom Schwimmen zurückzog, die WM im Sommer in Fukuoka verpasste er. Ganz bewusst. "Ich habe mich in einer selbstzerstörerischen Spirale befunden", sagte er damals der Times, er berichtete von Depressionen und Alkoholproblemen, die sich verschlimmert hätten, als er mit der Verletzung und der gescheiterten Beziehung zur Mutter seines Sohnes rang.

"Ich habe die Pause gebraucht, um zu begreifen, was ich möchte und wie ich es möchte."

Ob nun Peaty, Caeleb Dressel, Kyle Chalmers oder früher Michael Phelps: Viele Profischwimmer haben schon über mentale Probleme gesprochen, über Depressionen oder über Auszeiten, die sie sich genommen haben, um wieder zu sich selbst zu finden. Nach den Olympischen Spielen in Tokio und zehrenden Corona-Jahren, hat man den Eindruck, trifft es immer mehr Spitzenathleten. Gerade in einer der trainingsintensivsten Sportarten überhaupt, in der die Athleten Einzelkämpfer sind, im und oft auch neben dem Wasser.

Er sei seit 18 Jahren Teil des Profibetriebs, erzählt Peaty in der Berliner Bar: "Und ich kann Ihnen sagen, es ist ein brutaler, unnachgiebiger Sport. 12 000 Meter Training am Tag, wenn nicht mehr, und das alleine. Das ist hart." Peaty ist zugleich überhaupt kein Einzelgänger, sondern jemand, der gerne mal das Leben feiert, der es genießen möchte. "Hey, ich bin 28. Ich liebe Menschen, ich liebe es, mit anderen in Kontakt zu treten. Und ich liebe Bier, wie wir alle", sagt er: "Jeder im Fokus stehende Sportler braucht Drucklöser."

Zumal ein Profisportler in England eine zutiefst öffentliche Person ist, mit allen Begleiterscheinungen. So hatte ein britisches Boulevardblatt vorab bekannt gegeben, dass Peaty erstmals Vater wird, bevor er selbst die Öffentlichkeit über seine sozialen Kanäle informierte. "Eigentlich wollte ich das erst in der kommenden Woche bekannt geben, wenn wir wissen, ob es ein Junge oder Mädchen wird. Die Kontrolle darüber wurde uns nun aus der Hand genommen", schrieb Peaty damals auf Instagram.

Immer im Fokus der Medien: Adam Peaty mit Freundin Holly Ramsay, der Tochter des schottischen Starkochs Gordon Ramsay (v.l.), beim Formel-1-Rennen in Silverstone. (Foto: Mark Sutton/Motorsport Images/Imago)

Als die Corona-Pandemie abebbte und Peaty sich im Mai 2022 beim Krafttraining den Fuß brach, war sein WM-Traum zerstört, all das, worauf er jahrelang hingearbeitet hatte. Er saß zu Hause, grübelte und griff zur Flasche. Doch der Alkohol konnte die Schatten irgendwann auch nicht mehr vertreiben. Und als er Monate später wieder mit dem Training begann, hatte er sein Gespür für das Wasser verloren und das Verständnis dafür, sich täglich zu quälen. "Ich fühlte mich unendlich ausgelaugt", sagt er.

Peaty begab sich in Behandlung. Inzwischen brauche er sie nicht mehr, erzählt er. Seine Familie gebe ihm Halt, seine neue Lebensgefährtin, sein dreijähriger Sohn George, "der mir immer zeigt, dass wir das Leben nicht so ernst nehmen sollen. Es gibt gerade eine viel größere Balance in meinem Leben. Ich habe die Pause gebraucht, um zu begreifen, was ich möchte und wie ich es möchte." Ein oder zwei Bierchen erlaube er sich am Wochenende, "um runterzukommen, nur zu Hause, im kontrollierten Umfeld".

Kein Tiki Taka auf der Landsberger also. Neben ihm steht eine blaue Trinkflasche mit Wasser. Am Nachmittag hat er in der Schwimmhalle nebenan noch mit Kindern trainiert, ihnen anderthalb Stunden lang ein paar Grundlagen seines lebenswichtigen Sports gezeigt: Kopfsprung, Wende, wie man sich über Wasser hält. Ein Dolmetscher war auch dabei. "Ich habe ihre Energie gespürt", sagt Peaty.

Er hat sie nun selbst wieder, diese Energie - und acht Monate Zeit bis Paris, um den Berg, der Olympia heißt, zu erklimmen. Berlin ist der Anfang. "Ich klettere jeden Tag ein bisschen. Und ich möchte das genießen, jetzt, wo ich zurück bin", sagt Peaty. Auch wenn er sich immer noch "wie in einer Achterbahn" fühle.

Am Freitagmorgen um kurz vor elf springt Peaty in Berlin ins Wasser, Bahn fünf, Vorlauf über 100 Meter Brust. Neben ihm auf Bahn vier Nic Fink, der dreimalige Weltmeister, sein großer Rivale. Peaty gewinnt. Dann steigt er aus dem Becken, geht durch die Interviewzone, hält an, lächelt, weil er weiß, dass wieder diese Fragen kommen. "War gut", sagt er. Am Abend im Finale reicht es nur zu Platz sechs. Es bleibt eine Bergtour.

Das Tattoo über seinem Bauchnabel sagt noch mehr. "Into the Light" steht dort. Ans Licht.

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