Saudi-Arabien gegen Mexiko:Ein Spiel, bei dem es nur Verlierer gibt

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Selten im Fußball: Nach dem Schlusspfiff gab es im Lusail-Stadion zwei Verlierer - Mexiko und Saudi-Arabien verpassten das Achtelfinale. (Foto: Molly Darlington/Reuters)

Ausgerechnet die vielleicht stimmungsvollste Partie der WM endet mit dem Aus beider Teams, Saudi-Arabien und Mexiko. Damit hat auch die Weltmeisterschaft an sich verloren.

Von Martin Schneider, Lusail

Als DJ braucht man eigentlich ein Gefühl für die Stimmung, aber vermutlich sieht die offizielle Playlist des Fußball-Weltverbands einfach Shakira vor, komme was wolle. Mit Shakira macht man normalerweise auch nichts verkehrt, denn fast immer gibt es beim Fußball eine Mannschaft, die gewonnen hat, oder zumindest zwei, die nicht verloren haben. Am Donnerstag aber um ein Uhr nachts, da gingen Saudis und Mexikaner zu "Waka Waka" gleichermaßen traurig von dannen. Alle hatten verloren.

Saudi-Arabien und Mexiko sind in der Gruppenphase der WM ausgeschieden, obwohl beide vor dem Anpfiff die Chance aufs Achtelfinale hatten. Doch das 2:1 reichte den Nordamerikanern nicht, um an Polen vorbeizuziehen, das Torverhältnis war zu schlecht. Für Mexiko ist es das erste Aus in der Gruppenphase seit 1978, von 1994 bis 2018 scheiterte die Mannschaft unglaubliche sieben Mal in Serie im Achtelfinale. El quinto partido, das fünfte Spiel, also das Viertelfinale, wurde deswegen zur nationalen Obsession. Diesmal ist sogar ein Spiel früher Schluss. "Keine vierte, keine fünfte Partie" titelte die Zeitung Cambio de Michoacán.

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Im Stadion verkündete Mexikos Trainer Gerardo Martino nach dem Spiel, dass seine Zeit beim Nationalteam zu Ende ist. "Ich übernehme die Verantwortung, mein Vertrag endet mit dem Schlusspfiff", sagte er auf der Pressekonferenz. "Ich bin hauptverantwortlich für die Frustration und die Enttäuschung, die wir erleben. Ich fühle eine große Traurigkeit."

Martino war seit seiner Ernennung umstritten, schon während der holprigen Qualifikation wurde er von den eigenen Anhängern ausgebuht. In Katar schwoll die Kritik nochmals an, nachdem er, als Argentinier, gegen Argentinien verloren hatte, zumal er als Barcelona-Coach auch noch der Trainer von Lionel Messi gewesen war. Ein Vorrunden-Aus ist für Mexiko, das zumindest in Sachen Fußballbegeisterung unter den Top Acht der Welt steht, nicht akzeptabel, vor allem nicht, wenn das Turnier in vier Jahren auch im eigenen Land stattfindet.

Bei alldem geht beinahe unter, wie knapp Mexiko ausgeschieden ist. Zwischen der 68. und der 95. Minute lag das Team nach Argentiniens Treffer zum 2:0 im Parallelspiel und eigenen Toren von Henry Martin (47.) und einem traumhaften Freistoß von Luis Chavez (52.) punkt- und torgleich mit Polen in der Tabelle. Weil auch der direkte Vergleich remis endete (0:0), war Polen in dieser Phase nur aufgrund von zwei weniger kassierten gelben Karten über die Fair-Play-Wertung für das Achtelfinale qualifiziert. "Wir wussten um die Situation, darum haben wir weiter angegriffen", sagte Martino später. Mexiko feuerte Ball um Ball auf das saudische Tor, hatte Chancen im Minutentakt. Die größte Gelegenheit hatte der eingewechselte Uriel Antuna, doch bei seinem Tor in der 87. Minute war er einen Tick zu früh gestartet - Abseits. Erst in der 95. Minute verhinderte Salem Al-Dawsari mit dem Anschlusstreffer für Saudi-Arabien, dass am Ende wirklich Karten über Wohl und Wehe entschieden.

Seit Tagen stellt Saudi-Arabien die größte Fan-Gruppe in Katar

Das Team von Trainer Hervé Renard kam im Gruppenfinale überhaupt nicht an die famosen Leistungen beim Sieg gegen Argentinien (2:1) und beim für die Polen schmeichelhaften 2:0 heran. Renard wollte offensichtlich ausnutzen, dass Mexiko gezwungen war, die Initiative zu übernehmen - doch das Abwarten lag seinem Team nicht. In der ersten Halbzeit schien der Plan noch aufzugehen, Mexiko hatte nur kleine Torchancen, kein Problem für Saudi-Arabiens Torhüter Mohammed al-Owais. Doch nach dem Doppelschlag der Mexikaner direkt nach der Pause fehlte den Saudis die Kraft zum erneuten Comeback. "Wir haben unser Bestes gegeben, heute war es schwer für uns", sagte Renard. Er musste verkraften, dass nach etwas mehr als einer halben Stunde in Ali Al-Bulaihi sein insgesamt dritter Stammspieler verletzt ausfiel - zu viel für den Außenseiter.

Für Saudi-Arabien fühlt sich die Niederlage im dritten Gruppenspiel an, als hätte jemand eine fest geplante Party abgesagt. Tausende hatten sich auf den Weg über die Grenze in den Nachbarstaat gemacht, seit Tagen bilden sie die größte Fan-Gruppe in Katar. Auf dem Lusail-Boulevard vor dem Stadion machten Fans vor dem Spiel Fotos mit einer gold-glänzenden Nachbildung des WM-Pokals, ein Junge aus der Hafenstadt Dammam hatte ihn mitgebracht: "Es ist ein großer Tag für den saudischen Fußball", sagte Abullah vor dem Spiel. Einige saudische Fans versuchten, lauter zu singen als die Mexikaner, und am überraschendsten war: Sie schafften es.

Von den 80 000 Zuschauern im Stadion waren zwischen 50 000 und 60 000 aus dem Königreich gekommen, den Rest bildete die kleinere, dafür ebenso sangesfreudige Gruppe der Mexikaner. Es war bittere Ironie, dass ausgerechnet das vielleicht stimmungsvollste Spiel des Turniers am Ende keinen Sieger fand. Verloren hat deshalb an diesem Abend in der goldenen Arena von Lusail auch die WM an sich, denn zwei der größten Fan-Gruppen sind nun auf einen Schlag arbeitslos, wenn man so will. Die U-Bahnen werden ab jetzt ein bisschen leerer sein, wenn Shakira wieder "Waka Waka" auf dem Heimweg singt.

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