Wenn es Abend wird im Marco Simone Golf Club vor den Toren Roms, liegt der Geruch des Heimvorteils in der Luft. Zweimal am Tag, morgens vor dem ersten und abends nach dem letzten Golfschlag des Tages, rückt ein Geschwader von Mähmaschinen aus, um den Platz herzurichten. Sie hinterlassen dann den Duft der frisch geschnittenen Gräser über der Anlage, bis der Nordwind einsetzt.
Nichts wird dabei dem Zufall überlassen, die unterschiedlichen Grashöhen sind genau festgelegt, für alle Spieler sollen die gleichen Bedingungen herrschen an den Probe- und Turniertagen - nur profitieren sollen von diesen Bedingungen am besten nur zwölf der 24 Spieler: Europas Heimvorteil hat nicht nur mit der erwarteten Übermacht der Zuschauer zu tun, sondern in gewisser Weise auch mit den Mäh-Geschwadern.
Paul McGinley über den Ryder Cup:"Die Arroganz der Amerikaner hilft uns sehr"
Vor dem Ryder Cup in Rom spricht der ehemalige europäische Kapitän Paul McGinley über die Schwierigkeiten, aus Einzelsportlern ein Team zu formen, die Kultur des Zusammenhalts - und darüber, was das europäische Team von Harry Kane lernen kann.
Im Dezember 2015 begann mit der Festlegung auf Rom als Austragungsort des Ryder Cups auch ein Prozess, der wesentlich darauf abzielte, es den angereisten amerikanischen Spielern so schwer wie möglich zu machen, mit der Trophäe wieder nach Hause zu fliegen. "Vor allem in den vergangenen drei Jahren" habe man viel am Platz gearbeitet, sagt einer derjenigen, die dafür verantwortlich sind, dass jeder Grashalm sich so biegt, dass die Europäer davon profitieren.
Edoardo Molinari kann den Mäharbeitern praktischerweise auf Italienisch erklären, was sie zu tun haben. Der 42-Jährige aus Turin zählt mit seinem Bruder Francesco seit 20 Jahren zu den besten Golfspielern seines Landes, er hat 2010 beim Ryder Cup mitgespielt. Die Erfolge der Molinari-Brüder waren ein wesentlicher Bestandteil des Golfaufschwungs in Italien, der in der Bewerbung für den Ryder Cup mündete. Für eine Teilnahme als Spieler hat es bei beiden diesmal nicht gereicht, nun sollen sie ihre Erfahrungen als Vizekapitäne einbringen. Und Edoardo, den alle "Dodo" nennen, seine vor allem als Herr der Zahlen.
Es geht darum, einen Sport zu entschlüsseln, der sich dafür anbietet: Im Golf ist jeder für seinen Ball verantwortlich
"Ich habe Ingenieurwesen studiert und in der Universität schon damit begonnen, mein eigenes Golfspiel zu analysieren", sagt Molinari der SZ. In einer Tabelle hielt er jahrelang jeden Schlag fest, den er spielte, in Proberunden, bei Turnieren - und erhielt so eine umfassende Datenbasis, die ihm bei der Analyse half: "Dass daraus mehr wurde, war ehrlich gesagt Zufall." Ende 2019 fragte ihn ein befreundeter Spieler auf der europäischen Tour um Rat, und gerade, als Molinari dessen Daten analysierte, begann die Corona-Pandemie, deren Anfangszeit er vor dem Computer verbrachte: Molinari entwickelte ein Modell, mit dem er, vereinfacht gesagt, Profigolfern eine personalisierte Strategie für jeden Platz liefern konnte.
Das sprach sich herum, bis zum jungen Engländer Matthew Fitzpatrick: "Matt schrieb mir damals eine SMS, es sei ihm völlig egal, was das Programm koste, er wolle unbedingt eine Analyse." Die bekam er - und gewann auch dank Molinaris Ratschlägen die US Open 2022. "Danach kamen alle. Heute betreue ich mit zwei Mitarbeitern über 30 Spielerinnen und Spieler weltweit", sagt Molinari. Einige von ihnen, wie Fitzpatrick, spielen für Europa beim Ryder Cup.
Der Italiener ist an der Speerspitze einer Bewegung, die sich im Golfsport seit Jahren durchgesetzt hat. Es geht darum, einen Sport zu entschlüsseln, der sich dafür anbietet: Im Golf ist jeder für seinen eigenen Ball verantwortlich, es gibt keine Abhängigkeiten vom Gegner wie im Tennis, keine zehn anderen Spieler wie im Fußball, dafür nur 1000 offene Fragen, weil jeder Spieler andere Stärken und Schwächen hat und diese auf unterschiedlichen Plätzen zur Geltung bringen soll. "Dank der statistischen Analyse kann man Antworten geben", sagt Molinari: "Ich kann zu Spielern sagen: Wenn du auf diesem Loch am Abschlag stehst, ist das der Schläger, mit dem du statistisch den meisten Erfolg haben wirst."
Und bei kaum einem Turnier sind diese Analysen so wertvoll wie beim Ryder Cup, weil nicht nur Spieler sich an den Platz anpassen können, sondern auch andersrum. Beispielhaft dafür war Europas Sieg in Paris 2018: Das europäische Team wusste damals, dass die USA unschlagbar waren, wenn es rein um die Länge ihrer Abschläge geht - dass sie aber auch das Risiko in Kauf nehmen, weit nach rechts und links in die Zuschauer hinein zu schlagen, was normalerweise kein Problem ist: Tausende Leute hatten an diesen Stellen schließlich das dichte Gras flach getreten, von dem aus etwa Tiger Woods dann spielen konnte.
Die Statistiker im europäischen Team erkannten das und präparierten den Platz in Paris so, dass die Zuschauerbereiche an den entsprechenden Stellen ein paar Meter weiter entfernt waren, weshalb die Amerikaner sich bei Fehlern auf einmal in meterhohem dichten Gras wiederfanden. Woods und seine Kollegen verzweifelten zunehmend, verloren ihr Selbstvertrauen und das Duell mit historischen sieben Punkten Abstand. Le Golf National, wie der Platz in Paris hieß, hatten die Europäer zu einem uneinnehmbaren Fort verwandelt - und nun in Rom?
"Ich kann Ihnen nicht genau verraten, was wir diesmal vorhaben", sagt Molinari. Wenn es um Strategie geht, herrscht beim Ryder Cup beachtliche Verschwiegenheit, die an eine Geheimdienstoperation erinnert. Und in manchen Fällen ist das gar nicht so abwegig.
Selbstverständlich greifen auch die Amerikaner auf ihre Analyse zurück. Hauptverantwortlich ist dort ein Team von Statistikern um Jason Aquino, einem ehemaligen Mitarbeiter des Pentagon, der für die US-Regierung militärische Zukunftsszenarien berechnete, bevor er entdeckte, dass seine Fähigkeiten auch im Golf gebraucht werden. "Was ist Sport anderes als Kriegsführung mit anderen Mitteln", beschrieb Aquino seinen Job einmal in dem Buch "The Cup they couldn't lose" des amerikanischen Autors Shane Ryan, das sich mit der amerikanischen Sicht auf den Ryder Cup befasst - und damit, dass die Europäer bisweilen an die Grenze der sportlichen Fairness gingen, um ihren Heimvorteil auszuspielen.
Teilweise wurden in der Vergangenheit die Bedingungen erst hinterlistig am Donnerstagabend, kurz vor dem Turnierstart, geändert. Ein Wettrüsten, dem inzwischen ein Ende bereitet wurde. Die Regeln besagen, dass der Platz so, wie er sich zu Beginn der Woche präsentiert, auch am Ende der Woche aussehen muss. Jetzt liegt es an den europäischen Spielern, sich anzupassen - und an Molinari, ihnen zu sagen, wie sie das am besten tun.