Revierderby:Hauptsache, es wird gekickt!

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Guido Burgstaller und Thomas Delaney kämpfen um den Ball. (Foto: AP)

Fünf Ausfälle im Derby? Wer wird Meister? Egal. Auch bei Borussia Dortmund geht es vor dem Revierderby gegen Schalke gerade um fundamentalere Dinge.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Am Mittwoch, pünktlich zur Bundesliga-Kultanstoßzeit um 15.30 Uhr, sogar samt der gewohnten, martialischen Einlaufmusik, übten Borussia Dortmunds Profis schon mal den Ernstfall: Kicken im menschenleeren Stadion. Es soll halt später niemand sagen können, man habe nicht alles versucht, um sich aufs erste Gespenster-Derby passend vorzubereiten.

Dabei bräuchten die meisten Spieler die Gewöhnung an gähnend leere Ränge gar nicht - auch nicht die von Derbygegner Schalke 04, denn vor Champions-League-Spielen ist man es als Profi gewohnt, in leeren Stadien eine Trainingseinheit abzuhalten, am Vorabend des Spiels. Nur, dass das normalerweise keinen interessiert.

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Aber in Corona-Zeiten ist eben alles anders, und vor allem will Borussia Dortmund demonstrieren, dass man es mindestens tausendprozentig genau nimmt mit dem fragilen Regelwerk. Mit allem.

"Das Herz blutet bei einem Derby ohne Zuschauer"

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ist schließlich der heimliche Macher dieser Bundesliga-Vollendung in leeren Stadien. Kein Ligaboss tickt so politisch wie Watzke, und bei allen Verdiensten von DFL-Ligachef Christian Seifert: Niemand hat so vehement Lobbyarbeit in den politischen Zirkeln in Berlin, Düsseldorf und München betrieben wie Watzke bei seinen Parteifreunden in der CDU und CSU. Wenn jetzt etwas schief ginge, ausgerechnet in Dortmund - Watzke würde das als persönliche Blamage empfinden.

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Nur aufs Sportliche hat das wenig Einfluss, aber wen interessiert derzeit schon das Sportliche? Bei einer Pressekonferenz ohne Presse und ohne Konferenz, also ohne Journalisten und nur mit vorab eingereichten Fragen, bemühten sich BVB-Trainer Lucien Favre und Sportdirektor Michael Zorc um ein paar sportliche Akzente. Zur live-gestreamten Runde waren beide in voller Pflicht- und Regelerfüllung mit Masken erschienen. Immerhin gab es ein paar Dinge zu vermelden, die bei jeder anderen Pressekonferenz vor einem Spieltag normaler Stoff gewesen wären: Emre Can und Axel Witsel sind verletzt, also fällt Dortmunds zentraler Defensivkern aus. Auch Marco Reus, Dan-Axel Zagadou und der zuletzt selten eingesetzte Nico Schulz schaffen es nicht rechtzeitig zum Derby.

Und noch etwas Sportliches: "Ich freue mich, dass wir fünf Einwechselungen machen dürfen. Das hilft sehr", ließ Favre wissen. Die DFL hat mit Rücksicht auf die kurze Vorbereitungsphase für den Neustart kurzfristig die Regel verändert. Fünf Wechsel - das kennt man nur aus Freundschaftsspielen im Sommer. Aber nicht von einem Derby, bei dem normalerweise mit gefletschten Zähnen gefightet wird, Speichel- und Aerosole-Flug ohne Ende - nicht nur auf dem Spielfeld, sondern noch viel mehr auf den Tribünen.

Aber mit Corona ist eben alles anders. Zorc, der als BVB-Spieler rekordverdächtige zehn Derbysiege errang, sagte pflichtschuldig, dass "einem das Herz blutet bei einem Derby ohne Zuschauer". Was sonst soll man auch sagen? Aber alle Beteiligten in Dortmund und Schalke hatten lange genug Zeit zu verstehen, dass es im Moment ziemlich wenig darum geht, wer Derbysieger wird und wer Deutscher Meister werden kann, was für die Dortmunder ja eigentlich beides möglich ist. Auf Schalke witzeln sie darüber sogar: Wir waren "Meister der Herzen", die Schwarzgelben werden höchstens "Meister der Geister".

"Im Moment", sagt Zorc, "geht es nicht um Dinge wie die Meisterschaft. Wir müssen das Spiel geordnet abwickeln, gewinnen und aus der neuen Situation lernen."

Watzke, den in Dortmund alle "Aki" nennen, hatte diese "neue Situation" schon drei Tage nach Beginn der Bundesliga-Unterbrechung, vor über zwei Monaten, "Insolvenzvermeidungsstrategie" genannt. Natürlich, sagte er, Dortmund sei etwas weniger hart betroffen und habe ein finanzielles Polster. "Aber bei mehreren anderen Erstligisten besteht sofort Insolvenzgefahr, wenn die Fernsehgelder nicht kommen," hatte Watzke sofort ausgerufen. Schalke hat er damals nicht nennen wollen, aber natürlich gemeint. Dass Dortmund nun just gegen den Erzrivalen aus dem nur 35 Kilometer entfernten Gelsenkirchen das erste Geisterspiel bestreitet, ist eine ironische Wendung. Schalke gerettet - unter tätiger BVB-Mithilfe!

Aber es geht auch in Dortmund, wie überall in der Bundesliga, erst mal um die Existenz. Jedenfalls die Existenz in der bekannten Form, mit sagenhaften Spielergehältern. Auch der BVB verliert schwindelerregende Summen, weil auf absehbare Zeit, wahrscheinlich lange über das Saisonende hinaus, keine Ticketerlöse fließen. "Im hohen zweistelligen Millionenbereich" bezifferte Watzke diese Verluste, die kann keiner aus den Festgeldkonten bezahlen. Normalerweise würde der BVB in diesem Mai 55 000 Jahreskarten verkaufen und damit einen soliden Finanzierungssockel für die Saure-Gurken-Zeit im Fußballsommer legen. Aber wie soll das im Moment gehen? Stattdessen erstattet der BVB gerade seinen Kunden die bereits bezahlten, anteiligen Beträge für fünf Heimspiele zurück, die jetzt nur im TV zu sehen sind.

"Wir werden sicher schauen, wo wir Einsparungen machen und uns verkleinern können", kündigte Zorc diese Woche an. In der Zentrale des BVB geht es gerade um die Frage, ob man angesichts solcher Einbußen den Luxuskader komplett beisammen halten kann. Immerhin gut für Dortmund ist, dass die Ligen in England, Spanien, Italien, deren Topklubs mit dem Geld meist noch mehr um sich werfen als die Deutschen, aktuell in einer noch schlechteren Position sind. Besonders begehrten Dortmunder Jungstars wie Jadon Sancho oder Erling Haaland kann derzeit kaum jemand mit Fantastillionen-Angeboten kommen, weil alles unsicher ist, und der Europaverband Uefa auf das "Financial Fairplay" mehr denn je achten will.

Um solche Fragen also geht es gerade in Dortmund. Vor dem Anpfiff hat Watzke, neben seinem Politiker- und Medienmarathon, auch mit den Wortführern offizieller Ultras-Fangruppen einen Dialog versucht. Er weiß, dass die Hardcore-Fans über Spiele ohne Zuschauer alles andere als begeistert sind. Überrascht hat ihn jedoch, "dass es auch in der Gesamtbevölkerung recht viele Gegenstimmen gibt". Manche Fans "denken ja, dass sie wichtiger sind, als das Spiel selbst", gab Watzke augenzwinkernd zu bedenken.

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Appell an die Schalker Fans

Die größte Gefahr für das Gelingen des Geisterprojekts - und damit auch für die Insolvenzvermeidung - dürfte tatsächlich bei den Fans liegen. Versammeln sie sich in größeren Gruppen im Umfeld des Stadions, wäre das ganze Modell von Watzke und Seifert gefährdet. Zorc erinnert an das "Verursacherprinzip: Wenn sich Leute vor dem Stadion versammeln, kann sogar das Spiel abgebrochen werden. Man wird dann genau schauen, welche Fangruppen das verursacht haben. Es gehen also nicht automatisch bei einem Abbruch die Punkte an die Auswärtsmannschaft". Gerichtet war dieser Appell an Schalke-Anhänger.

Die Spieler sollen unterdessen willig in Zweikämpfe gehen. Keiner habe von dem Angebot Gebrauch gemacht, nicht spielen zu müssen, wenn er sich dabei mulmig fühle, berichtete Manager Zorc. Der BVB hatte im idyllisch gelegenen Mannschaftshotel L'Arrivée im allgäuhaften Süden der Stadt ja schon einmal eine nicht ganz unähnliche Situation erlebt. Damals, 2017, wurde dort der Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus der Borussen verübt - einen Tag später musste das Champions-League-Spiel gegen AS Monaco nachgeholt werden. Auch damals wollte kein Spieler auf das Angebot eingehen, nicht spielen zu müssen, wenn er dies mental nicht schaffe. Alle spielten. Dortmund verlor.

Die Zeiten für den Fußball sind schon länger seltsam. Bombenattacken, unanständige Millionenablösen, um ihre Freigabe streikende Spieler. Und jetzt: Ein Virus, das alles verändert. Am Ende könnte es fast egal sein, wer im Derby Dortmund gegen Schalke siegt. Hauptsache gespielt, keine Zwischenfälle, keine Positivtests, Spieltag abgehakt. Aber bei Corona weiß man nie. Vielleicht wird es ein richtig guter Kick, so ganz ohne überdrehte Kulisse.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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