FC Augsburg:Herrlichs verhängnisvolle Pressekonferenz

FCA-Trainer Heiko Herrlich bei einer Pressekonferenz

Kam im März zum FC Augsburg: Trainer Heiko Herrlich.

(Foto: dpa)

Eigentlich sollte der Trainer am Samstag erstmals ein Spiel des FC Augsburg betreuen - doch dann erzählt er detailreich von einem Einkauf im Supermarkt.

Von Sebastian Fischer

Eigentlich wollte Heiko Herrlich nur eine Geschichte erzählen, um zu erklären, wie ungewohnt sich das alles für ihn anfühlt. Wie absurd die Bedingungen sind, unter denen an diesem Samstag die Bundesliga in der Corona-Krise wiederbeginnt, für ihn mit seinem ersten Spiel in Verantwortung beim FC Augsburg, den er just ein paar Tage vor der Saison-Unterbrechung übernommen hatte. "Ich kann ein Beispiel erzählen", sagte Herrlich also, lachte und erzählte die Geschichte. Wenig später war er selbst das Beispiel.

Heiko Herrlich, 48, sollte an diesem Samstag gegen den VfL Wolfsburg eigentlich an seinem 67. Tag als Augsburger Trainer zum ersten Mal bei einem Spiel auf der Bank sitzen. Bislang hat er seine Spieler nur im Training angeleitet, die meiste Zeit in Übungen mit Kontaktverbot, schon das allein ist eine der vielen Kuriositäten dieser Saison. "Ich habe ihm bis heute noch nicht einmal die Hand geschüttelt", sagte Augsburgs Mittelfeldspieler Rani Khedira neulich bei Sky. "Es ist unheimlich schwierig für ihn, uns näher kennenzulernen - und wir ihn."

Nun wird das Kennenlernen vorerst noch etwas länger erschwert. Denn Herrlich wird am Samstag nicht auf der Bank sitzen. Ein paar Stunden, nachdem er am Donnerstag in einer im Internet live übertragenen Video-Pressekonferenz seine Geschichte erzählt hatte, verschickte der FC Augsburg eine Mitteilung mit der Überschrift: "Heiko Herrlich bedauert Fehler". Er werde erst nach zwei negativen Corona-Tests die Trainingsarbeit mit der Mannschaft wieder aufnehmen.

"Und dann bin ich mit meinem Trainingsanzug in der Nähe zu einem Supermarkt"

Herrlich, so geht die Geschichte, war einkaufen. Und zwar obwohl alle Bundesligisten die letzten sieben Tage vor Saisonbeginn laut DFL-Konzept als Trainingslager verbringen müssen. Herrlich sagte: "Wir sind im Hotel in Quarantäne und sollen da eigentlich auch nicht rausgehen, aber es gibt halt Situationen, die es einfach erfordern." Die Situation, die es einfach erforderte, war diese: "Ich habe keine Zahnpasta mehr, die ist am Ausgehen, und ich habe keine Hautcreme mehr gehabt. Und dann bin ich mit meinem Trainingsanzug in der Nähe zu einem Supermarkt."

Es wird nun im Internet über Heiko Herrlich gespottet, das liegt nahe. "Drei Elmex, ein Elfer", schrieb etwa der Journalist Stefan Klüttermann bei Twitter, es ist noch einer der charmanteren Beiträge. Man müsse sich an die Regeln halten, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der Bild-Zeitung, jedes Fehlverhalten wiege doppelt schwer. Die Verurteilung gehe zu weit, fand dagegen Herrlichs Kölner Trainerkollege Markus Gisdol: "Heiko wird gerade verurteilt, als habe er eine Bank überfallen."

Herrlich war nicht einfach nur einkaufen gegangen, was als Verstoß gegen die Quarantäne ja schon ausreichend gewesen wäre. Er berichtete mit großer Ehrlichkeit, die man in der Retrospektive wohl nur mit Naivität erklären kann, weitere Details seiner Unternehmung: Wie er zunächst seine Atemschutzmaske im Hotel vergessen hatte. Wie er offenbar nicht wusste, dass er auch für Zahnpasta und Hautcreme, also nur für zwei Artikel, in diesen Tagen einen Wagen benutzen muss - und von der Kassiererin darauf hingewiesen wurde. Wie er für den Wagen einen 20-Euro-Schein in Münzen wechselte. Wie er dann rausging, um den Wagen zu holen, aber so in Gedanken beim Spiel gegen Wolfsburg war, dass er wieder ohne Wagen reinging, und ihm das erst auffiel, als er schon vor dem Regal mit Hautcreme und Zahnpasta stand.

Wie er deshalb noch mal rausging, an der Kassiererin vorbei, dann endlich Creme und Zahnpasta in den Wagen legte und bezahlte. Er sei froh gewesen, sagte Herrlich, "dass ich die Schutzmaske aufhatte, in der Hoffnung, dass sie mich nicht erkennt. Die hätte sich auch gedacht: Was haben wir da für einen Trainer geholt?"

Nun kann man nicht ausschließen, dass sich mancher Augsburg-Fan diese Frage jetzt vielleicht wirklich stellt. "Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich das Hotel verlassen habe. Auch wenn ich mich sowohl beim Verlassen des Hotels als auch sonst immer an alle Hygienemaßnahmen gehalten habe, kann ich dies nicht ungeschehen machen. Ich bin in dieser Situation meiner Vorbildfunktion gegenüber meiner Mannschaft und der Öffentlichkeit nicht gerecht geworden", wird Herrlich in der Mitteilung des FCA zitiert. "Ich werde daher konsequent sein und zu meinem Fehler stehen."

In den vergangenen Wochen berichtete Herrlich oft von persönlichen Sorgen

Noch in der Pressekonferenz am Donnerstag hatte er in einem anderen Zusammenhang um Verständnis geworben, falls Profis im Spiel gegen Hygieneregeln verstoßen würden. Laut Empfehlung der DFL sollen sie zum Beispiel aufs Abklatschen, Umarmungen beim Jubeln oder aufs Spucken auf den Boden verzichten. "Die Vorgaben sind gut und richtig, aber wenn das in der Emotion, und Fußball ist ein emotionales und leidenschaftliches Spiel, trotzdem passiert, dann darf man niemanden verurteilen. Jeder ist mit der Situation neu konfrontiert", sagte Herrlich. "Wenn wir dann anfangen, das zu kontrollieren und in den Medien zu zeigen und das denunzieren, dann sind wir in einer Sackgasse."

Wenn Herrlich in den vergangenen Wochen über den Umgang mit dem Virus sprach, dann berichtete er oft auch von persönlichen Sorgen. "Ich bin auch verunsichert", sagte er, "ich bin, wenn man es genau nimmt, auch ein Risikopatient." Im Jahr 2000 wurde bei ihm ein Gehirntumor diagnostiziert, von der Erkrankung genesen kehrte er 2001 als Stürmer von Borussia Dortmund wieder auf den Platz zurück. "Wir sind ja keine Eisklötze und haben nur den Fußball im Kopf", sagte Herrlich am Donnerstag, als er noch mal auf seine Empfindungen in den vergangenen zwei Monaten angesprochen wurde. "Es war eine verrückte Zeit."

Als er am 10. März den Job des tags zuvor entlassenen Martin Schmidt übernahm, sollte der 26. Spieltag noch vor Zuschauern ausgetragen werden. Er trainierte die Mannschaft vier Tage lang, dann wurde der 26. Spieltag abgesagt und die Saison unterbrochen. Es war Mitte April, als Herrlich im SZ-Interview erstmals ausführlich von seinen ersten Wochen im Klub erzählte. Er verteidigte, dass Augsburg unter Kritik der Konkurrenz und entgegen der Empfehlung der DFL als erstes Bundesliga-Team wieder trainierte. Er beschrieb, wie er die Spieler in Einzelgesprächen mit Sicherheitsabstand kennenzulernen versuche. Und er malte beispielhaft eine Übung auf einen Zettel, um zu zeigen, wie im Training an Schwachstellen gearbeitet werde, ohne dass sich die Spieler berühren. Ein Problem, von Manager Stefan Reuter als Kriterium für den Trainerwechsel benannt, war vor der Pause ausgerechnet Augsburgs Zweikampfschwäche.

Herrlich sprach auch in der verhängnisvollen Pressekonferenz am Donnerstag ein wenig über Sportliches: Der eine oder andere Spieler, sagte er, habe durch die Übungen im Training in Kleingruppen seine Passqualität erhöht. Ein bisschen wie bei Tennisspielern, die ganz gezielt ihre Rückhand trainieren.

Zuletzt hatte Herrlich gesagt, Augsburg müsse dominant auftreten. Ob das gegen Wolfsburg klappt, wird er sich wohl im Fernsehen anschauen müssen. Die Mannschaft betreut Co-Trainer Tobias Zellner.

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