Relegation:Die Erben des Sisyphos - HSV verpasst Aufstieg erneut

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Nach frühem Rückstand dreht der VfB Stuttgart das Relegations-Rückspiel, gewinnt 3:1 gegen den HSV und bleibt in der Bundesliga. Hamburgs Torwart patzt - die Hanseaten spielen bald das sechste Jahr nacheinander in der zweiten Liga.

Von Javier Cáceres, Hamburg

Der US-Autor Randall Munroe hat unter anderem deshalb internationalen Ruhm erlangt, weil er "wissenschaftliche Antworten auf absurde hypothetische Fragen" geliefert hat. Er hat mittlerweile zwei Bücher vorgelegt, die mit der kurzen Erkundigung "What if?" im Titel und in der deutschen Fassung mit dem Untertitel: "Was wäre, wenn?" versehen sind. Eine Frage fehlte, die nie so absurd hypothetisch anmutete wie am Montagabend. Sie lautete: "Was wäre, wenn der HSV wieder in die Bundesliga aufsteigen sollte?"

Die Frage zu einem möglichen Aufstieg des HSV mutete am Montag so abenteuerlich an, weil es sich um das Rückspiel der Relegation handelte - und die Hamburger am Donnerstag beim VfB Stuttgart mit 0:3 verloren hatten. Auch am Montag verloren sie, nach früher Führung, mit 1:3. Die Schwaben, die die abgelaufene Saison auf dem 16. Tabellenplatz beendet hatten, werden auch in der nächsten Saison der Bundesliga angehören.

Schon vor Spielbeginn war klar: Am Volksparkstadion würde es nicht liegen. Es hatte sich mit Gläubigen gefüllt, die wundergläubiger klangen als jede Pilgergruppe, die an den Wallfahrtsort Lourdes aufbricht. Was sie sahen, war genau das, wofür sie gebetet hatten: ein frühes Tor. Nachdem Stuttgarts Ersatztorwart Florian Müller bei einem direkten Freistoß von Jean-Luc Dompé Schwächen offenbart hatte, versuchte sich Sony Kittel nur 120 Sekunden später mit einem Rechtsschuss aus 18 Metern - und traf zur Führung. Der Ball sprang vom Innenpfosten ins Tor (6. Spielminute).

Der schnelle und vor allem kunstvolle Stuttgarter Ausgleich zählt nicht

Dass Chris Führich unmittelbar danach fast den Ausgleich erzielt hätte, den Ball aber am linken Pfosten vorbeilegte, ging in der andauernden Ekstase fast unter. Nicht aber, dass Stuttgarts Mittelstürmer Serhou Guirassy die latente Labilität der HSV-Abwehr offenlegte: Er wurde am Fünfmeterraum angespielt und streichelte den Ball, weil er mit dem Rücken zum Tor stand, mit einem Kunststoß ins Netz. Allein: Es rührte sich Videoschiedsrichter Felix Zwayer und erstattete Meldung. Beim ersten Pass hatte es eine Abseitsstellung gegeben. Guirassys staatsgalerieverdächtiges Werk wurde annulliert.

Der VfB hatte massive Schwierigkeiten, das herzustellen, was seinen Interessen dienlich gewesen wäre: Ruhe im Spiel. Es half nichts, dass Keeper Müller verlegener wirkte als ein Abiturient beim Besuch der Reeperbahn. Jede Flanke ließ ihn erröten. Und auch nicht, dass sich beim VfB kein Dompteur für Dompé fand. Und dennoch: Richtige Chancen gab es bis zum Ende der ersten Halbzeit nicht mehr. Ein Schuss von Robert Glatzel aus 18 Metern strich am Tor vorbei; Müller parierte einen Kopfball von Bakery Jatta.

Zwei Millot-Tore drehen das Spiel zugunsten des VfB - Hamburgs Torwart hilft mit

Dann war Halbzeit, und kurz danach die Stimmung erst einmal dahin. Denn die Stuttgarter kamen weit weniger schüchtern aus der Kabine - und der erste Angriff saß. Ein Pass in die Tiefe erlaubte es Guirassy, den Rücken der Abwehr der Hamburger zu erobern und den Ball dort quer auf Enzo Millot zu legen. Ein Augenzwinkern später hatte Millot den Ball aus sechs Metern ins Tor bugsiert (48.). Das Tor bedeutete, dass der Abstand der Hamburger zur Bundesliga wieder auf drei Tore angewachsen war. Und das veränderte die Gemütszustände beider Mannschaften massiv.

Die Stuttgarter strahlten auf einmal Sicherheit aus, die Hamburger waren gedankenverloren. Keiner repräsentierte das mehr als Torwart Daniel Heuer Fernandes, der einen Rückpass von Moritz Heyer am Strafraum weiterspielen wollte - aber dabei offenbar darüber nachdachte, ob der Hamburger SV die DNA von Sisyphos in sich trägt. Die Figur aus der griechischen Mythologie war dazu verdammt, einen Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen; Sisyphos entglitt der Stein jedoch stets kurz vor Erreichen des Gipfels und er musste immer wieder von vorne anfangen. Torwart Heuer Fernandes jedenfalls verfehlte den Ball und spürte auf dem Spann bloß Luftwiderstand. Das war misslich: Millot kam vorbeigelaufen und schob den Ball zum 2:1 für den VfB ins Netz (64.).

Fantastische HSV-Fans treiben ihr Team an - und senken am Ende doch ihr Haupt

HSV-Trainer Tim Walter setzte sich frustriert auf die Bank und erstarrte, als säße er Modell für ein neues Bild von Käpt'n Iglo. Auch Sonny Kittel war frustriert, er trug es nach außen. Weil die Stuttgarter ihre Freude über den - nach menschlichem Ermessen entscheidenden und bundesligasichernden - Treffer ostentativ vor der Hamburger Fan-Kurve zur Schau stellten, eilte er voran und löste mit ein paar Rempeleien eine Rudelbildung aus, die jedem Spieltag in Uruguay alle Ehre gemacht hätte. Schiedsrichter Bastian Dankert beließ es bei vier Verwarnungen.

Der Rest der Veranstaltung trug fast bemitleidenswerte Züge. Der HSV kämpfte, angetrieben von den fanatischsten seiner Fans in der Nordkurve, um wenigstens die Illusion von Hoffnung zu nähren. Glatzel war noch einmal nahe dran, ein Tor zu erzielen. Doch sein Schuss ging links am Tor vorbei (74.). Am Ende dribbelte auch noch der eingewechselte Silas die halbe Abwehr des HSV aus und erzielte das 3:1 (90.+7.). Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als das Gros der Besucher im Volksparkstadion bereits das Haupt gesenkt hatte. Weil zu offensichtlich war, dass der HSV wie im Vorjahr mit Walter in der Relegation gescheitert war. Und auch im sechsten Jahr nacheinander in der zweiten Liga spielen wird.

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