Real-Regisseur Mesut Özil:Filigran im Blaumann

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Gut zwei Jahre ist es her, dass Mesut Özil zur Eroberung der spanischen Hauptstadt antrat. Man kann sagen: Es ist ihm geglückt. Der deutsche Nationalspieler begeistert in Madrid Fans und Teamkollegen. Weil er imstande ist, das Spielfeld zu erleuchten - und gleichzeitig schuftet wie ein Abräumer.

Javier Cáceres, Madrid

Wenn es im Fußball einen Preis für die größte Verwandlung gäbe, hätte ihn Mesut Özil, der deutsche Spielmacher von Real Madrid, wohl mehr als verdient. Noch immer reiben sie sich in der spanischen Hauptstadt die Augen, welch langen Atem sich die Nummer 10 aus dem Ruhrgebiet angeeignet hat, und wie wenig er sich scheut, den Blaumann überzuziehen. Wenn der FC Bayern im Bernabéu-Stadion zum Halbfinal-Rückspiel bei Real Madrid antritt, ruhen die Hoffnungen jetzt auch auf Özil.

Mesut Özil nach seinem 1:1 im Hinspiel: Integrationsfigur in Madrid (Foto: dpa)

Am Samstag, nach dem 2:1-Sieg der Madrilenen beim FC Barcelona, wiesen die Statistiker erstaunliche Daten aus. Neun Bälle jagte Özil den Katalanen ab - ein Wert, der manchmal nicht mal Fußballern hold ist, die sich seit ihrer Pubertät auf den Beruf des defensiven Mittelfeldspielers spezialisieren. Nur Xabi Alonso (14 Ball-Diebstähle) konnte Özil bei Real übertreffen, der brachiale Verteidiger Pepe kam auf nicht mehr als neun Bälle, der Abfangjäger Sami Khedira kam auf fünf.

Doch Özil erzielte in einer weiteren defensive Statistik Bestwerte: Er klärte 14 Bälle. Das heißt: nur drei weniger als Xabi Alonso und Coentrao, zwei weniger als Verteidiger Sergio Ramos, aber vier mehr als Arbeloa und sogar neun mehr als Khedira.

Doch das hielt ihn erstens nicht davon ab, bei 32 Spielzügen seiner Mannschaft zu intervenieren und damit aktiver zu sein als jeder andere Spieler. Und es verhinderte zweitens nicht, dass er in der 72. Minute jenen genialen Pass in die Tiefe schlug, den Cristiano Ronaldo zum Siegtreffer verwandelte. Aus dem Anti-Poeten war wieder ein Poet geworden.

Es war seine 16. Torvorlage in der laufenden Saison, kein Spieler der spanischen Liga weist eine höhere Anzahl an so genannten "Assists" auf - nicht mal der Argentinier Lionel Messi vom FC Barcelona. Özil untermauerte damit, was einer seiner Teamkameraden über ihn sagt: "Er ist die absolute Nummer eins." Denn: "Keiner bei uns hat so viel Kreativität, so große fußballerische Fähigkeiten wie er." Auch nicht Cristiano Ronaldo, soll das heißen, der in der primera división bereits 42 Tore erzielt hat.

Gut zwei Jahre ist es her, dass Özil zur Eroberung der spanischen Hauptstadt antrat, und man kann sagen: Es ist ihm geglückt. Es gibt im aktuellen Kader von Real Madrid keinen einzigen nicht-spanischen Spieler, der unumstrittener und beliebter wäre als Özil, kaum ein Kicker wird wie er nach fast jedem Vortrag mit Ovationen bedacht.

"Nie hat hier jemand so schnell Verbindung mit dem Publikum aufgenommen wie Özil", sagt Miguel Pardeza, ein früherer Real-Profi und heutiger Sportdirektor. Und beim FC Barcelona bedauern sie es längst, dass sie die Chance verstreichen ließen, Mesut Özil, der seine 101 Bundesliga-Spiele (13 Tore) einst für Schalke 04 (2006 bis 2008) und für Werder Bremen (2008 bis 2010) bestritt, selbst zu holen.

Im Mannschaftskreis der Madrilenen gilt Özil als einer der beliebtesten Spieler. Er pflegt rundum gute Beziehungen - zu den früheren Bundesligaprofis Sami Khedira, Hamit Altintop und Nuri Sahin, der Gruppe der Portugiesen um Cristiano Ronaldo und der von Sergio Ramos angeführten Clique der Spanier. Der stille Özil ist eine Integrationsfigur.

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Um die Jahreswende gab es allerdings erkennbar aus dem Klub gestreute Gerüchte um ein allzu ausschweifendes Nachtleben, Fotos seines Ferraris tauchten auf. Dass ihn die Berichte getroffen haben, darf als gesichert gelten. Genaues weiß man nicht, er wagt sich nur selten durch die einzige Begegnungsstätte zwischen Journalisten und Spielern von Real Madrid, die Mixed Zone des Estadio Santiago Bernabéu.

Und dabei lässt er auch nicht allzu tief in seine Seele blicken. Dass Özil Spanisch spricht, weiß man fast nur aus der Präsentation der Spiele durch die Fernsehsender - von seinen Lippen kann man ablesen, dass er nach vergebenen Chancen schon mal auf Spanisch flucht. Aber als zu Jahresbeginn in Bild zum Thema wurde, dass er sich auch charakterlich verändert habe, unzugänglicher geworden sei, setzte sich Özil in der Sport-Bild zur Wehr: "Ich möchte klarstellen, dass ich sehr professionell für den Fußball lebe."

Ein bisschen wurde ihm damals auch zum Verhängnis, dass er rascher müde wirkt als andere Spieler. Er hat eine trügerische, träge Bewegungskadenz, die immer den Verdacht schürt, er bewege sich am Ende seiner Kräfte. Was nur allzu nachvollziehbar wäre. Özil zählt zu den neun Feldspielern, die von defensiven Aufgaben nicht ausgenommen sind (nur Stürmer Ronaldo darf sich ausschließlich auf den Angriff konzentrieren), so dass er zu einem der Spieler geworden ist, der körperlich am meisten gefordert wird.

Das aber ist der Moment, in dem sein Talent zum Tragen kommt. Und es reicht, wie gegen Barcelona, ein einziger Pass aus dem Fußgelenk, um das größte Spielfeld hell zu erleuchten.

Sein Trainer Jose Mourinho, der keine Gelegenheit auslässt, Özils Talent zu glorifizieren, neigte von Beginn an dazu, seine Auftritte so gut wie möglich zu dosieren. Özil spielte nur sieben von 32 Ligaspielen und zwei von neun Champions-League-Parteien durch.

Beim Hinspiel in München (2:1 für den FC Bayern) war Mourinho wohl etwas zu clever: Erst als Özil den Platz verlassen hatte, bekam der FC Bayern die Partie wieder so in den Griff, dass aus dem Ausgleich, den Özil erzielt hatte, doch noch ein Sieg wurde. "Wir sehen uns in München wieder", sagte Özil, als er München verließ, und er meinte es offenbar ernst. Verdammt ernst.

© SZ vom 25.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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