Skicross bei Olympia:"Was? Nein! Nein, nein, nein, nein, das war korrekt!"

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Kann es nicht glauben, als sie tatsächlich die Bronzemedaille angereicht bekommt: Skicrosserin Daniela Maier hier erst bei der Flower Ceremony. (Foto: Mike Blake/Reuters)

In einem kleinen Drama gewinnt Daniela Maier als erste Deutsche eine olympische Medaille im Skicross - doch die Videobeweis-Entscheidung, die ihr Bronze sichert, will sie erst nicht akzeptieren.

Von Anna Dreher

Daniela Maier fuhr schnell und mutig, sie war dicht dran an Sandra Näslund und Fanny Smith. Es sah ganz danach aus, als würde sie im abschließenden Lauf tatsächlich eine Medaille holen. Aber im Skicross mit seinen hügeligen, kurvigen Kursen kann die Reihenfolge jederzeit durcheinandergewirbelt werden. Maier kam nach einem Sprung nicht ideal auf und war von den bei diesen Olympischen Winterspielen übrig gebliebenen besten vier auf einmal die letzte. Von links außen versuchte die 25-Jährige, wieder nach vorne zu gelangen. Und dann war es keine Bodenwelle oder Landung, die sie aus der Balance in einen Spagat zwang und aus dem Rhythmus brachte, sondern der linke Ski von Smith - was zu überaus kuriosen Szenen führte.

Denn Sekunden danach war zwar klar, in welcher Reihenfolge die Skicrosserinnen ins Ziel gekommen waren - die zweimalige Weltmeisterin und favorisierte Schwedin Näslund vor der Kanadierin Marielle Thompson, dahinter Smith und Maier -, aber noch lange nicht, ob damit auch die Medaillenplätze feststanden. Näslund ließ einen Schrei los, Thompson weinte, Smith lehnte vornübergebeugt auf ihren Beinen, Maier stand fassungslos im Abseits. Als die Finalistinnen nach und nach Richtung Ausgang stapften, befand die Jury: Das müssen wir uns noch mal genauer anschauen!

Daniela Maier beim olympischen Ski-Cross-Wettbewerb in Peking. (Foto: Gian Mattia D'Alberto/LaPresse/Imago)

Und so standen die Skicrosserinnen weiter im Zielbereich des Genting Snowparks. Maier knabberte am Handschuh, ging in die Hocke, atmete tief durch, wartete und stand schließlich auf, um den Medaillengewinnerinnen zu gratulieren. Nach drei Umarmungen packte die Schwarzwälderin vom SC Urach ihre Skier, bereit zu gehen. Und musste doch weiter warten. "Ich weiß gar nicht, wonach die suchen", sagte Smith zu Näslund und Thompson und lachte. Und alle warteten und warteten, minutenlang. Bis eine Info durchdrang und Maier entsetzt sagte: "Was? Nein! Nein, nein, nein, nein, das war korrekt! Das war ganz normales Skifahren!"

Doch die Jury war zu einem anderen Schluss gekommen: Smith hatte Maier mit ihrem Ski nach dem vorletzten Hügel regelwidrig behindert. Aus den Aufnahmen ging für Beobachter nicht deutlich hervor, ob sie dies mutwillig getan hatte. Aber die Schweizerin wurde disqualifiziert, erhielt eine gelbe Karte und verlor damit ihre Medaille. Maier hatte Bronze geholt, nach Videobeweis.

Maier tut sich schwer, diesen Erfolg zu genießen und weiß erst nicht so recht, wohin mit sich

"Das war ein spannender Krimi", sagte Heli Herdt, Sportlicher Leiter Skicross im Deutschen Skiverband, der ARD. "Es ist eine Medaille, da fragt morgen kein Mensch danach, wie sie zustande gekommen ist." Ob die gelbe Karte Bestand habe, würde in den kommenden 48 Stunden überprüft werden. "Aber es gibt kein zweites Olympia, wo die Karte nochmals eine Rolle spielen würde. Die Medaille ist sicher", sagte der aufgewühlte Herdt.

Das Regelwerk sieht vor: Es gibt Gelb, wenn ein Konkurrent abgebremst wird, das Gleichgewicht verliert oder stürzt durch eine unabsichtliche Aktion, die das Ergebnis beeinflusst. In diesem Fall, erklärte Fis-Renndirektor Klaus Waldner noch im TV, habe Maier durch den Kontakt nach dem großen Schritt von Smith den ganzen Schwung verloren. "Diese Aktion hat das Resultat beeinflusst, weil die Dani da schon aufgeholt hatte und wahrscheinlich vorbeigefahren wäre ohne diesen Kontakt", sagte er. "Das ist eine harte Entscheidung, gerade im Finale. Aber es sollte fair sein, und wir sind einstimmig der Meinung, dass es eine gelbe Karte ist."

Für die deutschen Ski-Freestyler ist es erst das zweite Podium bei Winterspielen, nachdem Tatjana Mittermayer 1998 auf der Buckelpiste Silber gewonnen hatte; im Skicross, seit 2010 olympisch, ist es gar die erste. Entsprechend groß war die Freude im deutschen Team.

Und Maier, bei der vor einem Jahr das Kreuzband gerissen war, die sich im Weltcup zu Konstanz zurückgekämpft und das Peking-Finale im Fotofinish erreicht hatte? Sie tat sich schwer, diesen Erfolg zu genießen. Während Smith fassungslos umherlief, wusste Maier nicht so recht, wohin mit sich. Die beiden diskutierten, aber nicht miteinander, sondern mit Offiziellen, Smith redete sich in Rage.

Am Ende findet sich doch noch ein Podium: Die Kanadierin Marielle Thompson (Silber), die Schwedin Sandra Näslund (Gold) und Daniela Maier (v.l.) feiern ihre Medaillen. (Foto: Jon Olav Nesvold/Bildbyran/Imago)

"Wer ist der verdammte Wertungsrichter? Das ist doch ein Witz, wirklich!", sagte die Weltmeisterin von 2013 und Olympia-Bronzegewinnerin von 2018. Im Fernsehen war zu hören, wie sie erklärt bekam: "Wir haben es uns oft genug angeschaut, der Ski geht zu weit rüber." Smith versuchte aufzulösen, ihr Ski sei auf die Kante gekommen und fragte: "Kann der Judge nicht Skifahren, oder was?" Maier stand dahinter und schüttelte den Kopf. "Ja siehst du", setzte Smith erneut an, "Dani sagt auch, das ist unfair. Wir sind die Fahrer. Das ist ganz falsch."

Erst als Daniela Maier vor dem Podium wartete, wirkte es, als habe sie Frieden mit der Entscheidung geschlossen. "Sie ist der Marielle aufgefahren und musste irgendwo hin, vielleicht hat sie mich nicht gesehen", sagte die Skicrosserin später. "Das passiert alles in Sekundenbruchteilen, vielleicht wollte sie das gar nicht." Sie sei total baff gewesen und habe versucht, mit Platz vier abzuschließen, eigentlich habe sie so schnell wie möglich weggewollt. Aber nun stand sie da, schloss die Augen, atmete nochmals tief durch, stieg aufs Podest - und konnte schließlich mit Freudentränen lächeln.

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