Niklas Süle beim FC Bayern:Brecher unterm Brennglas

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Der Verteidiger und sein Fürsprecher: Niklas Süle (2. von rechts) umarmt nach dem 3:2 gegen RB Leipzig Torhüter Manuel Neuer (2. v. links). (Foto: Mladen Lackovic /imago)

Torwart Manuel Neuer ist rund um das 3:2 im Topspiel gegen Leipzig die Hauptfigur des FC Bayern: Erst stellt er zwei Rekorde auf, dann muss er sich einer Knie-OP unterziehen, wegen der er nun einige Wochen ausfällt. Und in einem ungewöhnlichen Vortrag ergreift er Partei für Verteidiger Niklas Süle.

Von Philipp Schneider

Es lässt sich nicht behaupten, die Reporter des Senders Sky hätten Manuel Neuer unmittelbar nach Spielschluss aus seinem Tor vor die Fernsehkameras gezerrt. Wo er dann, möglicherweise noch mit erhöhtem Herzschlag und schwer atmend nach diesem knappen Sieg gegen die aufopferungsvoll kämpfenden Leipziger, ein Interview unter erschwerten Bedingungen hätte geben müssen. Immerhin hatte Neuer, wie man es von ihm nicht anders kennt, bei diesem 3:2 gegen RB mal wieder hart geschuftet und beeindruckend pariert - und nebenbei noch einen Rekord ein- sowie einen weiteren aufgestellt.

Seit Samstagabend teilt sich Neuer mit Oliver Kahn, seinem Vor-Vor-Vorgänger im Tor des FC Bayern (ja, in der Saison 2008/09 war mal ein gewisser Michael Rensing etatmäßiger Haupthüter an der Säbener Straße, ehe er Platz machte für Hans Jörg Butt), die Zahl "310". So oft haben Neuer und Kahn in ihren Karrieren Bundesligaspiele gewonnen. Womit sie übrigens, führte man dort außer Vereinen auch Menschen und Titanen, auf Platz 17 der ewigen Bundesligatabelle rangieren würden - noch vor dem MSV Duisburg (296 Siege), Fortuna Düsseldorf (264) und Karlsruher SC (241).

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Den zweiten Rekord hat Neuer jetzt schon ganz alleine. Und dieser war seinem Verein sogar eine Lobeshymne wert: "Mit fünf abgewehrten Schüssen stellte der Keeper eine persönliche Bestleistung in der laufenden Saison auf", frohlockte der FC Bayern nach Spielschluss auf seiner Homepage. Man konnte diese Zahl mit gutem Gewissen auch anders deuten: Mit der Tatsache, dass fünf abgewehrte Schüsse seiner persönlichen Bestleistung entsprechen, stellte Manuel Neuer irgendwie auch der gesamten Bundesliga ein Armutszeugnis aus.

Süles neuer Klub stehe bereits fest, sagt der Berater Volker Struth

Als sich Neuer am Samstag mit Ruhepuls und in Badelatschen vor die Kamera begab, da hätte er das ganze Interview garantiert mit dem austarierten Matchplan abwickeln können, ausschließlich über diese zwei schönen Zahlen zu sprechen: die 310 und die 5. Nur blieb es nicht dabei. Denn der traditionell unpolitische Kapitän der zwei führenden Fußballmannschaften Deutschlands, er wurde nun politisch. Weil es ihn dorthin zog - oder weil er nicht anders konnte?

Natürlich, sagte Neuer zunächst, "hätte ich viel lieber zu null gespielt. Es war aber trotzdem ein Spiel nach meinem Geschmack: Wir haben defensiv bei so vielen Offensivspielern eine gute Leistung gezeigt. Ich bin zufrieden." Und was den geteilten Rekord mit Kahn angeht, da weiß Neuer ja selbst, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird. "Solange ich gesund und fit bleibe, Spaß habe und gebraucht werde, werde ich weiterspielen. Das ist doch ein guter Plan, oder?", fragte der 35-Jährige, der bei den Bayern noch einen Vertrag bis 2023 besitzt. Und dann lachte er.

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Manuel Neuer (am Boden) musste am Samstag gegen Leipzig fünf Paraden zeigen - so viele wie noch nie in dieser Saison. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Da wusste noch niemand, was sich anderntags herausstellen würde: dass es mit dem alleinigen Rekordhaltersein noch ein bisschen länger dauern wird als gedacht. Am Sonntagabend teilte der Klub mit, dass Neuer erfolgreich am rechten Kniegelenk operiert worden sei und "in den kommenden Wochen" ausfällt. Unter anderem im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales bei RB Salzburg (16. Februar) muss er damit sicher passen. Es sei eine "kleine OP" gewesen und alles "super gelaufen", schrieb Neuer nach dem überraschend erfolgten Eingriff bei Instagram: "Bis ganz bald auf dem Platz."

Am Samstagabend aber hatte Neuer mit seinem launig vorgetragenen Satz das heikle Thema vorgegeben, das er nun streifen würde. Denn bekanntlich spielt in der vulnerablen Zone vor Neuers Tor ein optisch recht auffälliger Fußballer, der zwar gesund und fit ist und offenbar Spaß hat - und dennoch nicht beim FC Bayern bleiben wird. Sein neuer Verein stehe sogar bereits fest, verriet der zuständige Spielerberater Volker Struth am Sonntag im "Doppelpass" bei Sport 1 und meinte seinen Klienten Niklas Süle.

"Uns alle nervt, dass der Niklas geht, er wird uns fehlen", sagte also Neuer in Badelatschen. Denn es sei auch so: "Es war ein Weg, bis er sich zu seinem Leistungshöhepunkt entwickelt hat." Rumms!

Neuers Aussage wendet sich zunächst mal gegen den Ex-Chef Karl-Heinz Rummenigge

Wobei, es war kein Rumms. Eher ein Rümmschen. Schließlich kritisierte Neuer damit zunächst einmal eine Aussage von Karl-Heinz Rummenigge; der ehemalige Vorstandsvorsitzende hatte kürzlich den argumentativen Unterbau dafür geliefert, weswegen der FC Bayern dem Verteidiger Süle kein verbessertes Angebot zur Vertragsverlängerung vorlegen wollte. Das Problem sei, sagte Kahns Amtsvorgänger, dass sich Süle "nie richtig durchgesetzt hat auf seiner Position. Er war für den FC Bayern ein brauchbarer Spieler, der Verein ist auch ohne ihn auf der Position gut besetzt. Wenn man die besten Spieler der Mannschaft aufstellen würde, ist Niklas Süle im Moment nicht dabei."

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Das sieht Neuer, wie man nun weiß, anders. Um die politische Sprengkraft dieser Haltung einzuschätzen, müsste man wissen, wer es außer ihm noch alles so sieht. Nervt Süles anstehender Abschied wirklich "uns alle", wie Neuer sagt? Also auch die Mannschaftskollegen? Und Julian Nagelsmann?

Als der Trainer nach dem Sieg gegen Leipzig auf den Fall Süle angesprochen wurde, ließ sich seine Antwort durchaus im Sinne Neuers interpretieren. Rummenigge, sagte Nagelsmann, sei "so erfahren, dass er auch Sachen loswerden darf, die er so meint". Am Ende sei es jedoch "wichtig, was ich Niklas für Botschaften mit aufs Feld gebe". Das konnte logisch betrachtet nur bedeuten, dass er Süle als wichtig erachtet. Was sollte er ihm denn sonst sagen? Hör zu, Niklas, ich stell dich heute mal wieder in die Dreierkette, häng dich bloß rein, du bist auf der Position ohnehin der schlechteste Spieler?

Nun hat diese Partie gegen RB wie unter dem Brennglas gezeigt, dass ein Brecher wie Süle in einem auf drei Mann minimierten Abwehrverbund hilfreich sein kann. Wenn Nagelsmann auch gegen eine sowohl pressende als auch ballverliebte Truppe wie jene von Domenico Tedesco so offensiv aufstellt wie möglich, dann könnte ohne die "Säule" Süle, wie ihn Neuer nannte, schon bald der Spieltag gekommen sein, an dem der Münchner Torwart sogar sechsmal eingreifen muss, um den Sieg festzuhalten. Sechs Paraden, der nächste Saison-Rekord für Neuer!

Droht nun ein Szenario wie einst unter dem Vorgänger-Trainer Hansi Flick?

Wie schon zuvor beim 4:1 gegen Hertha BSC hatte Nagelsmann auf den Flügeln in Serge Gnabry und Kingsley Coman zwei Spieler nominiert, deren Laufwege fast nur eine Richtung kennen: nach vorne. Und als es für Nagelsmann nach 71 Minuten darum ging, die knappe Führung über die Zeit zu retten, da wechselte er zwar Dayot Upamecano ein. Allerdings nicht für Süle - sondern für dessen Nebenmann Lucas Hernández. Das Vertrauen des Trainers in einen Spieler, der im Sommer weiterzieht, ist zunächst einmal bemerkenswert. Die Frage, wie sehr ihn dessen Verlust verärgert, kann nur Nagelsmann beantworten.

Diejenigen Beobachter, die bereits ein bedrohliches Flick-Szenario am Horizont aufziehen sehen, überinterpretieren die Lage womöglich - zumindest noch. Nagelsmanns Vorgänger verließ die Bayern bekanntlich auch deshalb, weil er die Spieler, die er haben wollte, nicht erhielt - und stattdessen welche von Sportvorstand Hasan Salihamidzic auf die Bank gesetzt bekam, mit denen er nichts anfangen konnte. In der gegenwärtigen Verhandlungs-Situation kommt nun aber erschwerend hinzu, dass nicht nur Nagelsmann und Süle von Volker Struth beraten werden. Sondern pikanterweise auch Upamecano, der ja schon im vergangenen Sommer als möglicher Ersatz für Süle aus Leipzig geholt wurde. Mit einem Berater über Gehälter diskutieren zu müssen, der die Verträge von zwei positionsgleichen Spielern kennt, ist aus Vereinssicht die Höchststrafe.

"Wir haben ihm ein gutes Angebot gemacht, er hat sich anders entschieden", sagte Vereinspräsident Herbert Hainer am Sonntag bei Bild-TV. Stattdessen würden die Kräfte nun darauf ausgerichtet, mit Neuer, Robert Lewandowski und Thomas Müller zu verlängern. "Die drei wissen, was sie am FC Bayern haben", sagte Hainer, was sich ohne viel Fantasie als weitere Spitze gegen Süle deuten ließ. Insbesondere Müller gehöre "zum FC Bayern wie die Frauenkirche nach München".

Süle wäre dann eher so etwas wie die Münchner Paketposthalle. Geräumig und optisch beeindruckend hat sie ihren Zweck erfüllt und muss wohl bald weichen. Geplant sind zwei schlanke Zwillingstürme.

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