Football-Trainer Bill Belichick:Der Besessene zieht weiter

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"Ich wäre ohne Trainer Belichick niemals der Spieler, der ich gewesen bin", schreibt Tom Brady (links), als der Abschied von Bill Belichick bekannt wird. Zusammen bildeten sie die erfolgreichste Symbiose der Football-Geschichte. (Foto: Charles Krupa/AP)

Nach 24 Spielzeiten und sechs Super-Bowl-Triumphen verlässt Bill Belichick die New England Patriots. Er hat dort eine Ära mit Tom Brady geprägt - und will nun zeigen, dass er auch ohne den Quarterback Meister werden kann.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Was die Fans der New England Patriots am meisten vermissen dürften: dieses Grinsen. Von Bill Belichick, der nach 24 Jahren als Cheftrainer der Football-Franchise aufgehört hat, behaupten manche, dass er nicht mal einen Keller habe, in den er zum Lachen gehen könnte. Was er jedoch genüsslich tut: Mundwinkel nach oben bewegen. Die ganz treuen Patriots-Fans waren in der Lage, anhand der Millimeterunterschiede bei Höhe und Richtung zu erkennen, welche Freude ihnen Belichick mal wieder bereitet hatte: einen Sieg, von denen es 302 gab; Platz drei der ewigen Bestenliste. Einen von insgesamt 31 Erfolgen in den Play-offs, oder gar einen von sechs Super-Bowl-Triumphen - beides ist Rekord in der US-Footballliga NFL.

Belichick grinste aber auch, wenn er einen Reporter für eine seiner Meinung nach dumme oder unerhörte Frage mit einer sarkastischen Bemerkung bestrafte - was zur Freude der Patriots-Fans quasi wöchentlich passierte. Und er grinste, wenn er mit etwas durchgekommen war, was so ziemlich jeder außer Patriots-Fans für eine Fehlentscheidung, Schummelei oder Betrug hielt. Ohne die Aufreger und Skandale detailliert aufzudröseln: Wer in einer US-Bar die Begriffe "Tuck Rule" (Fehlentscheidung), " Spygate" (Ausspionieren der Gegner) oder " Deflategate" (Manipulation der Spielbälle) erwähnt, dürfte eine Debatte auslösen wie beim deutsch-englischen Fußballtreffen mit dem Erwähnen des Wembley-Tors.

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Das liegt daran, dass Belichick ein akribischer, geradezu besessener Trainer ist, der seine Mannschaften mit militärischer Disziplin führt und Spielzüge nicht nur so lange üben lässt, bis seine Spieler es richtig machen - sondern so lange, bis sie es nicht mehr falsch machen können. Er studiert vor jeder Saison das NFL-Regelwerk, als wäre es die Bibel, und wenn Konkurrenten behaupten, dass die Patriots von den Schiedsrichtern stets bevorzugt würden, könnte man als neutraler Beobachter respektvoll entgegnen: Belichick weiß genau, wie schnell man auf einer Landstraße fahren darf; er weiß auch, wie hoch die Wahrscheinlichkeit des Erwischtwerdens ist und wie hoch die mögliche Strafe. Und dann fährt er genau so viel zu schnell, dass er häufiger früher ankommt als alle anderen und dennoch kaum bestraft wird. Man kann das kritisieren - oder respektieren.

Am Ende der Zusammenarbeit mit Brady hatte es ein wenig geknirscht

Was Belichick freilich half: die 20 Jahre dauernde Zusammenarbeit mit Quarterback Tom Brady, der mindestens ebenso besessen ist wie sein Trainer. Es ist die erfolgreichste Symbiose der Football-Geschichte, vielleicht sogar über alle Sportarten hinweg, und sie steht symbolisch dafür, wer ein typischer Belichick-Spieler ist: unverstanden, ungewollt, unerfüllt - und deshalb unterbezahlt, was bei strenger Gehaltsobergrenze nicht unwichtig ist. Brady etwa war nie in seiner Karriere der bestbezahlte NFL-Profi, er war nicht mal der bestbezahlte Quarterback einer Saison.

"Was Bill erreicht hat, dürfte niemals wiederholt werden": Robert Kraft, Besitzer der New England Patriots, mit Trainer Belichick (links). (Foto: Lauren Owens Lambert/Reuters)

Es sind Leute, die aus Trotz oder aus Gier nach Respekt bereit sind, dem Erfolg alles, wirklich alles unterzuordnen. Das nennen sie in Boston "The Patriot Way", auf gut Deutsch: Nur was rauskommt, zählt - und wenn das ein Triumph beim Super Bowl ist, haben sie bei den Patriots alles richtig gemacht. Der Erfolg des Teams ist Belohnung für jeden Einzelnen. Ende der Debatte, Beginn des Grinsens; und es ist wichtig, dass Belichick das selbst vorlebt. "Ich betonte eine Sache immer: Spieler gewinnen Football-Spiele, und ich hatte das Glück, großartige Spieler trainieren zu dürfen", sagte er am Donnerstag.

Am Ende der Zusammenarbeit mit Brady hatte es ein wenig geknirscht, weil der Patriot-Way für den Trainer beinhaltete, den Spielmacher trotz aller Erfolge durch einen Jüngeren zu ersetzen. Bei allem Respekt für den Mentor hat es Brady viel bedeutet, mit den Tampa Bay Buccaneers 2021 einen Titel ohne Belichick gewonnen zu haben. "Ich wäre ohne Trainer Belichick niemals der Spieler, der ich gewesen bin", schrieb Brady am Donnerstag auf Instagram: "Auch wenn wir erfolgreich waren, kamen einige der wichtigsten Lektionen in Momenten der Herausforderung und der Bitterkeit. Er hat den Ton gesetzt: Tue, was du tun kannst, kontrolliere das Kontrollierbare - und geh da raus und erledige deinen Job."

Vor Beginn der Play-offs gibt es bereits acht vakante Trainerposten in der NFL

Belichick ist trotz der schlechten Bilanz der vergangenen Saison (4:13) nicht entlassen worden, und es war Patriots-Besitzer Robert Kraft wichtig, das zu betonen: "Wir haben gemeinsam beschlossen, dass dieser Schritt jetzt nötig ist. Was Bill erreicht hat, dürfte niemals wiederholt werden." Innerhalb von zwei Tagen hatten zwei andere legendäre Football-Trainer (Pete Carroll/Seattle Seahawks und Nick Saban/University of Alabama) das Ende ihrer Laufbahnen erklärt; ein Rauswurf für Belichick wäre stillos gewesen. Kraft lässt Belichick, dessen Vertrag mit den Patriots noch eine weitere Saison gegolten hätte, ohne Ablöse oder Tauschgeschäft ziehen, als Nachfolger ist der ehemalige Patriots-Spieler und heutige Assistenztrainer Jerod Mayo im Gespräch.

Diese Zusage von Kraft ist relevant für Belichick; der 71-Jährige hat nämlich keineswegs vor, seine Karriere zu beenden. Es gibt vor Beginn der Play-offs an diesem Wochenende bereits acht vakante Trainerposten in der NFL, und es gilt als gesichert, dass Belichick einen davon besetzen wird; die Los Angeles Chargers und Washington Commanders sind interessiert. Favorisiert sind aber die Atlanta Falcons. Deren Anhänger dürften sich nicht nur auf einen besessenen Trainer freuen - es ist bekannt, dass es auch Belichick wichtig ist, einen Titel ohne Brady zu holen. Sie dürften sich ebenso freuen auf: dieses Grinsen.

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