DFB-Elf:Alte Probleme für den neuen Trainer

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Bundestrainer Flick steht kurz vor seiner ersten WM-Nominierung als Chef. (Foto: Christof Stache/AFP)

Wer sind die besten Außenverteidiger, wer macht die Tore, was ist mit Leroy Sané? Unter Hansi Flick rücken bei der Nationalmannschaft allmählich ein paar bekannte Sorgen in den Mittelpunkt.

Von Sebastian Fischer, München

Die Momente sind rar, in denen Hansi Flick über den eigenen Werdegang referiert. Mit gewisser, dem Anschein nach genüsslich vorgetragener Sturheit spricht der Bundestrainer meistens auch dann lieber über seine Mannschaft, wenn er um biografische Einschätzungen gebeten wird. Was es ihm bedeute, für das Spiel gegen England nach München zurückzukehren? Dorthin also, wo er bis 2021 mit dem FC Bayern Pokale gewann? Er hoffe, "wie wir alle, dass die Mannschaft unterstützt wird", sagte er.

Es brauchte schon einen Umweg, um Flick am Montag in der Pressekonferenz zu einer Aussage über sich selbst zu bewegen: Ein Reporter vom britischen Sender Channel 4 fragte nach der Bedeutung der berühmten 1:5-Niederlage der Nationalmannschaft gegen England in der WM-Qualifikation vor 21 Jahren, der bisher letzten Ausgabe des Duells in München. Michael Owen traf damals im Olympiastadion dreimal, für Deutschland verteidigten Linke, Nowotny und Wörns. Flick verwies darauf, dass er zu jener Zeit als Oberligatrainer der TSG Hoffenheim arbeitete.

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Das 1:1 der DFB-Elf in Bologna hat keine allzu große Bedeutung. Spätestens nach dem Rückspiel gegen Italien in acht Tagen wird sich entscheiden, ob das Team von Hansi Flick eine Titelchance in Katar hat.

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Nun wäre es eine gewagte These, dass man in zwanzig Jahren noch über das sommerpausenfüllende Nations-League-Spiel an diesem Dienstag sprechen wird, und auch in der Laufbahn von Flick dürfte die Partie voraussichtlich keine hervorgehobene Rolle einnehmen. Trotzdem stellt das Spiel eine Wegmarke dar: Zum ersten Mal als Bundestrainer hat der 57-Jährige sich selbst ein bisschen unter Druck gesetzt. "Wir müssen die Dinge besser machen, keine Frage", sagte er. Besser als gegen Italien.

Vieles ausbaufähig, alles nicht so dramatisch - wäre da nicht die Zeitnot in dieser Saison

Seit Flick den Job als Bundestrainer antrat, durfte er meist Kantersiege gegen Armenien oder Liechtenstein erklären. Nun, beim 1:1 am Samstag in Bologna, hatte er unter anderem Tempo, Intensität und Ideenreichtum vermisst und aus seiner mäßigen Laune kein Geheimnis gemacht. Es sei "wichtig, dass die Bereitschaft da ist, aktiv zu sein", sagte er am Montag, als er von seiner Analyse berichtete. Beispielhaft gut funktioniert hatte das immerhin auch mindestens einmal: Nach dem 0:1-Rückstand, dem Flicks Zählung zufolge 28 deutsche Ballkontakte in Serie und der Ausgleich in der 73. Minute folgten.

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Vieles ausbaufähig, manches gut, alles nicht so dramatisch in Deutschlands erster Fußballmannschaft, das wäre also eine mögliche Schlussfolgerung nach nun zehn Länderspielen unter Flick, bislang ohne Sieg gegen einen vermeintlich großen Gegner - wäre da nicht die Zeitnot dieser Saison. Die aktuelle Serie aus vier Nations-League-Spielen, eines gegen Ungarn am 11. Juni und ein weiteres gegen Italien am 14. Juni, sind schließlich so etwas wie der Ersatz eines ausführlichen Trainingslagers vor der WM in Katar im November. Und womöglich könnte sich nun erstmals zeigen, ob Flick für einige der Probleme, mit denen sein Vorgänger Joachim Löw jahrelang konfrontiert war, wirklich passende Lösungen findet.

Worüber Flick vor dem England-Spiel sprach, klang jedenfalls wie ein Best-of fußballerischer Debatten über die Nationalmannschaft in der jüngeren Vergangenheit. Es ging um Leroy Sané, der nach einem starken Herbst beim FC Bayern und in der Nationalelf in der zweiten Saisonhälfte schwächer wurde und in Italien erneut nicht überzeugte. Es ging um die Form des wichtigen Bayern-Blocks, der gegen Italien sieben Spieler umfasst hatte. Und es ging um die Positionen, die seit Jahren oft als Schwachstellen gelten: Außenverteidigung und Mittelsturm.

Mittelstürmer Timo Werner wird von Flick ungefragt verteidigt

Was Sané angeht, schien Flick ja zunächst mitverantwortlich zu sein für einen Umschwung: Er setzte den Flügelstürmer, wie Bayern-Trainer Julian Nagelsmann, im Vorjahr auf der linken statt der rechten Seite ein, wo Sanés unbestritten herausragende Fähigkeiten zur Geltung kamen und ausnahmsweise auch beim DFB nicht mehr über sein bisweilen phlegmatisch wirkendes Spiel gesprochen wurde - bis jetzt. Die Bedeutung der "Bereitschaft", auf dem Platz aktiv zu sein, erwähnte Flick auch in Bezug auf Sané. Er vertraue zwar auf dessen "enorme Qualität", sagte Flick. Was allerdings nicht bedeute, dass der 26-Jährige, in Bologna nach einer Stunde ausgewechselt, zwangsläufig spielen werde.

Konnte gegen Italien nicht wirklich für sich werben: Außenstürmer Leroy Sané. (Foto: Christof Stache/AFP)

Es soll also einiges anders aussehen gegen England, "es wird der eine oder andere Wechsel stattfinden", sagte Flick. Das könnte die Außenverteidiger David Raum und Jonas Hofmann betreffen, die in Bologna eingewechselt wurden. Ilkay Gündogan könnte auf der Sechserposition in die Startelf rücken, gegen Italien war er für Leon Goretzka ins Spiel gekommen. Schließlich wäre Kai Havertz ein Kandidat, um England im Angriff mehr Physis entgegenzusetzen. Wobei Flick Mittelstürmer Timo Werner ungefragt verteidigte: Was der für die Mannschaft leiste, werde oft unterschätzt, "er schafft Räume vor der Abwehr".

In diesen Räumen muss nun gegen England bloß noch mehr von Flicks Spielidee zu sehen sein. In dem Fall würde der Bundestrainer vielleicht am Dienstag ausnahmsweise auch darüber sprechen, wie sehr ihm selbst die Rückkehr nach München gefallen hat.

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