Deutsche Nationalmannschaft:Es geht um die Stimmung für die kommenden Monate

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Nachdenkliches Kopfkratzen? Für Bundestrainer Hansi Flick (3. von links) und die DFB-Elf geht es bei der aktuellen Länderspielserie um die Stimmung für die kommenden Monate. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Das 1:1 der DFB-Elf in Bologna hat keine allzu große Bedeutung. Spätestens nach dem Rückspiel gegen Italien in acht Tagen wird sich entscheiden, ob das Team von Hansi Flick eine Titelchance in Katar hat.

Kommentar von Philipp Selldorf

Außer auf Komma, Punkt und Absatz verzichtete Lothar Matthäus auch auf das Atmen, als er während der Begegnung zwischen Italien und Deutschland seine Expertenansichten formulierte. Luftholen? Innehalten? Womöglich ein Moment des Schweigens? Dafür hatte Matthäus keine Zeit, minutenlang stornierte er vorsätzlich die eigene Sauerstoffzufuhr, um seinen - bekanntlich unstillbaren - Mitteilungsdrang zu verwirklichen. Es hörte sich an, als ob er während seiner Erzählungen im Dauerlauf das Spielfeld umrundete und dabei das Tempo stetig steigerte.

Unter anderem erfuhr der Zuschauer, dass es mit der "Bärchenbildung" bei den Deutschen zwischendurch recht gut geklappt hat (gemeint waren die Pärchen Süle/Rüdiger und Kimmich/Goretzka), dass allerdings die "Dore" fehlten, um die Leistung abzurunden. Ferner hörte man, dass Matthäus den Bundestrainer beim Spitznamen rufen darf: Statt ihn, wie amtlich vorgesehen, als Hansi anzusprechen, nannte er ihn freundschaftlich Hans.

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Wer sind die besten Außenverteidiger, wer macht die Tore, was ist mit Leroy Sané? Unter Hansi Flick rücken bei der Nationalmannschaft allmählich ein paar bekannte Sorgen in den Mittelpunkt.

Von Sebastian Fischer

Der TV-Experte Matthäus gab der mäßig temperamentvollen Partie den Anschein einer aufregenden Veranstaltung, aber bevor jetzt jemand zeitkritisch über das Privatfernsehen und seine Gurus und die Inflation von Kirmesspielen schimpft, muss Matthäus für seinen keineswegs deplatzierten Eifer gelobt werden. Als Bestandteil eines außergewöhnlich komplexen Vorprogramms zur nahenden Weltmeisterschaft besaß der Fußballabend von Bologna auch ohne mitreißenden Fußball Bedeutung und Wichtigkeit.

Die Länderspielreihe ist weniger ein Wettkampf als ein Stimmungsmacher

WM-Vorbereitungsspiele im Juni sind normalerweise dazu da, die Mannschaft mit Applaus ins große Turnier zu verabschieden und ein paar Euro für die Sepp-Herberger- oder Mexiko-Stiftung zu verdienen. Das Treffen mit Italien hingegen diente als Einführung in den turnierartigen Zyklus der nächsten Tage: Die weiteren Nations-League-Pflichten gegen England, in Ungarn und - abermals - gegen Italien simulieren den im November bei der WM in Katar anstehenden Ernstfall. Für ein Trainingslager wird dann keine Zeit sein, eine gewisse Standort-Bestimmung muss daher bereits fünf Monate vorher erfolgen, nämlich jetzt.

Das 1:1 von Bologna lässt sich als eine Art Vorwort verstehen, man kann darüber hinwegblättern. Manches fand Lothar Matthäus mit Recht gelungen, manches weniger. Deutschland hat keinen Mittelstürmer wie Erling Haaland, der eine Handvoll zusätzlicher Tore garantiert, und keine tragenden Außenverteidiger wie Joao Cancelo oder Alphonso Davies, das war bereits bekannt. Spätestens nach dem Rückspiel gegen Italien in acht Tagen aber wird das Land sein Urteil fällen, ob die DFB-Elf eine Titelchance in Katar hat, und wenn ja, welche. Hansi Flick weiß jedoch, dass jedes Zeugnis notwendig unverbindlich bleiben muss. Der Faktenstand im November wird naturgemäß ein anderer sein als im Juni.

Diese sommerliche Länderspielreihe täuscht zwar einen WM-artigen Wettbewerb an, ist aber nicht mehr als ein Stimmungsturnier. Sie schafft mit ihren Resultaten ein psychologisches Klima für die kommenden Monate: Im besten Fall ein "Sieger-Selbstbewusstsein", wie Thomas Müller sich wünscht, im schlechteren Fall das Gefühl, allenfalls als Außenseiter nach Arabien zu reisen. Matthäus nimmt die Sache also mit Recht ernst. Der Zuschauer sollte dennoch bedenken, dass sich Flick immer noch im Stadium der Grundlagenforschung befindet.

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