Als Bayer Leverkusen neulich beim VfB Stuttgart durch Robert Andrichs Platzverweis in Not geriet, reagierte der neue Trainer nach Auffassung des erfahrenen Sportdirektors Rudi Völler genau richtig - er wechselte einen weiteren Innenverteidiger ein. Völler gefielen an diesem Kniff mehrere Dinge auf einmal: Dass Gerardo Seoane, wie es sich seit alters her gehört, dem Anlass gemäß die Deckung verstärkte; dass er dazu nicht irgendeine Rochade als Nachweis seiner innovativen Kreativität veranstaltete - und dass er nicht auf die Idee kam, Florian Wirtz auszuwechseln. Leverkusens Spielmacher ist zwar erst 18 Jahre alt, aber er ist eben auch der Spielmacher. Dank Wirtz gewann Bayer die Partie beim VfB 3:1, das entscheidende Tor dazu schoss er selbst.
Zurzeit befindet sich Florian Wirtz in Mazedonien auf seiner dritten Auslandsreise mit der Nationalmannschaft, am Montagabend findet dort das drittletzte Qualifikationsspiel zur WM 2022 statt, das dem DFB-Team im Fall eines Sieges bereits die Zulassung zum nach wie vor ominös anmutenden Turnier in Katar bringen dürfte. Doch bei der Ankunft trafen die Spieler erstmal verkehrte Verhältnisse an. Während beim Abflug in Hamburg das Wetter wie im Süden war, herrschte im Süden Hamburger Wetter. Skopje bot bei der Ankunft des DFB-Charters am späten Nachmittag Regen, Regen und nochmals Regen, und für Montag ist, wie in Taxifahrerkreisen berichtet wird, das gleiche stabile Programm vorgesehen. Bloß für Wirtz bleiben die Aussichten ungewiss.
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Mit 2:1 besiegt das Team von Trainer Roberto Mancini die Belgier, bei denen viele Stars gar nicht erst in der Aufstellung standen.
Wirtz spielt immer bei Bayer, seitdem der strengfrisierte Schweizer Gerardo Seoane da ist
In Leverkusen steht der wirklich noch sehr junge Mann bereits im Rang exponierter Wichtigkeit, der Trainer muss schon gute Gründe haben, ihn nicht aufzustellen, und bisher sind ihm offenbar noch keine eingefallen - Wirtz spielt immer, seitdem der strengfrisierte Schweizer Gerardo Seoane da ist. Weshalb es für den Mittelfeldspieler eine nahezu irritierende Erfahrung gewesen sein muss, dass er beim 2:1-Sieg der Nationalelf am Freitagabend in Hamburg so gar nicht zum Einsatz kam.
Es gibt viele Fragen aus der Schar der Medienleute, die Jogi Löw an seinem Freiburger Ruhesitz garantiert nicht vermissen wird; oft waren die Fragen zwar berechtigt, ihre dauernde Wiederholung aber sehr lästig. So musste Löw eine Weile ständig erklären, warum er dem Super-Talent Kai Havertz immer noch keinen Stammplatz zugeteilt habe. Dabei gab die Besetzungsliste eigentlich Auskunft genug, arrivierte Kollegen hatten einen gewisse Vorrang, und selbst Löw, der weltweit dienstälteste Nationaltrainer, erhielt nicht die Sondererlaubnis, einen zwölften Mann aufzustellen.
Löws Nachfolger gerät allmählich in eine ähnliche Lage. Am Freitagabend saß auf Geheiß von Hansi Flick nicht nur Wirtz auf der Bank, sondern auch Thomas Müller, der bereits seit einem Jahrzehnt einen quasi amtlichen Spielt-immer-Status besitzt. Müller brauchte sich über seinen ungewohnten Sitzplatz aber nicht zu beschweren, weil außer Wirtz auch Kai Havertz neben ihm saß. Marco Reus, der vor dem Trio den Vorzug erhalten hatte, äußerte nach dem Spiel die passenden Worte: "Die Konkurrenzsituation ist auf jeden Fall da - aber so soll es auch sein." Man treibe sich gegenseitig an. Am Freitag endete die brisante Geschichte mit einem glücklichen Ende. Havertz und Müller kamen als Einwechselspieler, der Münchner erzielte dann auf seine ebenso verschrobene wie geschickte Art den Siegtreffer und setzte damit Flicks Eingangsstatement, Marco Reus vorzuziehen, ein eigenes Statement entgegen. Im September hatte er ausnahmsweise verletzungshalber gefehlt, nun sprach er vom "zuckersüßen Kurz-Comeback".
Früher waren die Zehner in ihren Teams Männer von schicksalhafter Bedeutung
Flick habe ein "Zehner-Problem", behauptet jetzt mancher Fachmann unter Verweis auf all die zentralen Offensivspieler, die nicht gleichzeitig ins Schema passen, weil auch die beiden Doppel-Module Joshua Kimmich & Leon Goretzka sowie Serge Gnabry & Leroy Sané unterzubringen sind und vornedrin die Spitze Timo Werner, für den Flick ein ganz spezielles Förderprogramm aufgelegt hat. In dieser Personal-Situation drückt sich ein Luxus aus, den der um einen Neuaufbau bemühte mazedonische Trainer Blagoja Milevski gern hätte, und den Hansi Flick angeblich zu genießen weiß. "Wir sind froh, dass wir auf dieser Position so viel Qualität haben", kommentiert der Bundestrainer auf erwartbare, aber glaubhafte Weise.
Wie es der Beruf des Nationalcoach mit sich bringt, muss Flick bei diesem Thema mehr leisten, als fürs jeweils nächste Spiel den richtigen seiner vielen Kandidaten auszuwählen. Er muss mit den Ansprüchen von Spielern umgehen, die in ihren Klubs zu den privilegierten Größen gehören. Reus und Müller gehören in Dortmund und München der Gattung "besonders wertvoll" an, Wirtz gilt nicht nur in Leverkusen als größtes Versprechen seit Kai Havertz ... Letzterer muss sich beim FC Chelsea zwar ständig aufs Neue bewerben, seine gewinnbringenden Kapazitäten stehen aber außer Frage. Vom zurzeit verletzt fehlenden Ilkay Gündogan war bisher im Übrigen noch gar keine Rede.
Früher waren die Zehner in ihren Teams Männer von schicksalhafter Bedeutung, man nannte sie Dirigenten und Regisseure, gelegentlich aber auch, wenn sie nicht genügend hofiert wurden, Diven. Derlei Theater ist beim DFB vorerst wohl nicht zu erwarten, doch Flick darf sich als Moderator schon herausgefordert fühlen.