Nach Angriffen aus München:Schiedsrichter widersprechen dem FC Bayern

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Bundesliga-Schiedsrichter wehren sich gegen die These der Bayern-Verantwortlichen, sie würden aus Angst vor Fan-Ärger gegen den Branchenführer pfeifen. Entscheidungen, die große Klubs betreffen, erzielten allenfalls eine größere Wirkung in der Öffentlichkeit - die kleine Kampagne des FCB scheint ohnehin andere Hintergründe zu haben.

Philipp Selldorf

Jupp Heynckes hat am Freitag gesagt, er habe sich im Laufe seiner Karriere im Fußball - und die umfasst bald ein halbes Jahrhundert - "ganz wenige Male über den Schiedsrichter echauffiert". Der Trainer des FC Bayern vertritt dazu eine weise Ansicht: "Das bringt nichts. Das lenkt ab. Ich bin zufrieden, wenn ein Schiedsrichter objektiv pfeift. Mehr erwarte ich nicht."

Die Bayern und die Referees: Benachteiligung oder Bevorteilung? Am Ende stimmt wohl keins von beiden. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Im Laufe dieser Woche kam allerdings die Frage auf: Wie objektiv entscheiden Schiedsrichter, wenn Bayern München spielt? Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß haben zum Thema überraschende Neuigkeiten beigesteuert. All die Jahre hatte das Publikum ja an die Existenz des sogenannten "Bayern-Bonus" geglaubt, der den Münchnern ein paar Annehmlichkeiten im Umgang mit Referees garantiere. Der "Bayern-Bonus", Synonym einer Vorzugsbehandlung für Prominente, war für das Gros der deutschen Fans ebenso eine Tatsache wie der sogenannte "Bayern-Dusel" - faktisch zwar unbeweisbar, aber durch allgemeine Empfindungswerte belegt.

Nun haben jedoch die Münchner Klubchefs mitgeteilt, dass das Gegenteil richtig sei: dass nämlich die Schiedsrichter dazu tendieren, in strittigen Momenten zielsicher gegen den FC Bayern zu entscheiden, weil ihnen dadurch öffentlicher Ärger erspart bleibe. "Man hat manchmal den Eindruck, dass es heißt: Im Zweifelsfall kontra Bayern!", so Rummenigge in Bezug auf eine fragliche Entscheidung des Schiedsrichters Knut Kircher beim Spiel in Hamburg (1:1).

Diese bisher unentdeckte Dimension unterstrich vor allem Hoeneß mit autoritärer Geste: "Unsere Fans nehmen Fehlentscheidungen sehr gut hin, die Fans anderer Vereine machen Telefonterror bei den Schiedsrichtern. Deshalb pfeifen sie im Zweifelsfall immer gegen Bayern", erklärte er dem TV-Sender Sky.

Die Deutung des Münchner Präsidenten sollte man sicher nicht so verstehen, dass Hoeneß die bisher so friedfertigen Bayern-Fans dazu aufrufen möchte, ein Telefonbuch mit den Nummern der Referees anzulegen, um im Bedarfsfall für Wettbewerbsgleichheit zu sorgen. Es besteht aber die Gefahr, dass einige Anhänger eben diesem Missverständnis aufsitzen könnten.

Die Schiedsrichter und deren Funktionäre zeigten sich daher nicht angetan von der Initiative der Bayern-Chefs. "Die Vorwürfe sind haltlos und absurd", erklärte einer der Verantwortlichen der SZ. Er glaubt: "Die Debatte wird schneller vergehen, als sie gekommen ist." Damit das Thema tatsächlich schnell wieder verschwindet, möchte er nicht namentlich Stellung nehmen, "das würde die Diskussion nur beleben, und das braucht man nicht".

Im Übrigen kann er sich gut erinnern, warum er seinerzeit nach einigen Bayern-Einsätzen den Anrufbeantworter abschaffte: "Das Band war voll - nicht mit Liebesschwüren."

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Der frühere Bundesligareferee Lutz Wagner, der in der DFB-Schiedsrichterkommission den stolzen Titel "Koordinator für Regelauslegung und Basisarbeit" trägt, hat weniger Bedenken, die Sache zu kommentieren. "Es ist es ja eine Frage des Umgangs: Entscheidend ist doch, dass wir den Austausch nicht über die Medien suchen", sagt der 48-Jährige und tadelt damit das Vorgehen der Münchner ebenso sacht, wie es vor ihm schon der zuständige DFB-Abteilungsleiter Lutz-Michael Fröhlich getan hatte.

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Grundsätzlich, da stimmt Wagner den Wahrnehmungen aus der Säbener Straße zu, erzeugten umstrittene Entscheidungen, die den FC Bayern betreffen, größere öffentliche Wirkung als solche, die etwa Freiburg angingen: "Je größer der Verein, desto höher die Beachtung."

Andererseits versichert er, dass Hoeneß & Co. sich irrten, wenn sie meinten, die Aufseher träfen deswegen bewusst besondere Wertungen: "Das Spiel ist so schnell. Im Moment des Geschehens wird blitzartig entschieden. Der Schieds- und die Linienrichter müssen sich auf den Spielverlauf konzentrieren, sie können gar nicht daran denken, wen es wie betrifft."

Wagner macht sich deshalb auch keine Sorgen, dass Peter Gagelmann, der am Samstag das Bayern-Spiel in Freiburg leitet, von der aktuellen Debatte beeinflusst werden könnte: "Im Spiel sind solche Themen außen vor, da hat keiner im Sinn, was gerade in den Zeitungen steht."

Wagner, nach 197 Erstligaeinsätzen ausreichend vertraut mit dem Fußball-Theater, sieht den Fall recht entspannt. Er sagt es zwar aus guten Gründen mit keiner Silbe, aber er hält die konzertierte Aufregung aus München offenbar für einen Fehlschlag. Nicht wenige Leute glauben ja, dass die kleine Kampagne in Wahrheit auf dem Ärgernis der Bayern beruht, dass jemand anders auf dem Thron sitzt, den sie rechtmäßig für ihren halten.

Dortmunds Trainer Jürgen Klopp hat diesen Verdacht eleganterweise nicht erwähnt, als er sich über die Benachteiligungsthese aus München amüsierte: "Von dem Gerücht habe ich, ehrlich gesagt, noch nie gehört. In all den Jahren, in denen ich Fußball beobachte, ist mir dies noch nicht aufgefallen."

© SZ vom 18.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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