Tennis:Zverev als Zuschauer seines eigenen Spiels

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Wenn's mal wieder länger dauert: Alexander Zverev mühte sich fünf Sätze lang gegen den Qualifikanten Lukas Klein. (Foto: David Gray/AFP)

Während Jan-Lennard Struff ein Fünfsatzmatch unglücklich verliert, rettet sich der Olympiasieger aus Hamburg bei den Australian Open im Tiebreak in die dritte Runde. Er ist nun der einzig verbliebene Deutsche im Turnier.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Die Dunkelheit legte sich in Melbourne schon wie eine Decke auf die Stadt, als Jan-Lennard Struff sich gedanklich von den zurückliegenden Anstrengungen löste und an die Zukunft dachte. Das Flugzeug zurück nach Deutschland, sagte er, gehe am nächsten Tag. Es war fast 21 Uhr, er hatte dreieinhalb Stunden auf dem Platz gestanden, um jeden Ball gekämpft und trotzdem knapp verloren. 4:6, 6:1, 6:7, 6:1 und 6:7. Der letzte Satz wurde mit 9:11 Punkten im Tiebreak entschieden. Manchmal hängt es im Tennis von ein paar Millimetern ab, wann einer die Koffer packt.

Jan-Lennard Struff, 33, hat es wieder nicht in die dritte Runde der Australian Open geschafft, trotz der Mehr- und Schwerarbeit. Sein erster Arbeitstag am vergangenen Montag war, ebenfalls nach einem Fünfsatzmatch, erst um zwei Uhr morgens beendet. Und dennoch zog er am Donnerstag nach dem Turnier-Aus gegen den Serben Miomir Kecmanovic eine versöhnliche Bilanz seiner Wettkampfreise zum Jahresbeginn um die halbe Welt, erst nach Hongkong, dann nach Melbourne. Denn nach den Qualen einer monatelangen Hüftverletzung hat er sich erst kürzlich wieder unter den besten 25 Profis der Welt etabliert. "Ich bin happy, dass ich das alles körperlich so gut weggesteckt habe", sagte Struff nach dem unglücklichen Tiebreak. Generell konnte er feststellen: "Mit der Leistung bin ich zufrieden - mit dem Ergebnis eher nicht."

"Ich kannte ihn überhaupt nicht", sagt Zverev über seinen Gegner Lukas Klein

Für seinen Kollegen Alexander Zverev galt das gegenteilige Fazit: Ein versöhnliches Resultat kaschierte die dürftige Vorstellung. Zverev musste sich ebenfalls durch ein Fünfsatzduell kämpfen. Und er gab zu, dass er sich angesichts seiner eigenen Leistung bereits mitten im Match mit dem Flugplan beschäftigt hatte, mit einer Airline-Verbindung am selben Tag um 23 Uhr: "Über Dubai nach Hause" - es drohte der vorzeitige Abflug vom Turnier. Zverev hat die Buchung dann gedanklich wieder stornieren dürfen, weil er sich mit Glück im Tiebreak doch noch in die dritte Runde rettete - 7:5, 3:6, 4:6, 7:6 (5) und 7:6 (7) gegen den angriffslustigen slowakischen Qualifikanten Lukas Klein.

Es war ein zähes Duell, und anfangs deutete wenig auf die spätere Dramatik hin. Zverev, 26, ist Olympiasieger, zweimaliger Gewinner der ATP-Finals, ehemaliger Melbourne-Halbfinalist und Nummer sechs der Welt. Sein Kontrahent Lukas Klein dagegen verdient sein Geld normalerweise bei den zweitklassigen ITF-Turnieren und rangiert weit hinten an Position 163 der Welt.

Und doch brachte Klein seinen berühmten Kontrahenten ins Laufen, scheuchte ihn kreuz und quer über den Platz, von links nach rechts an der Grundlinie entlang. Wer in dieser Rollenverteilung eine Diskrepanz erkannte, lag richtig: Alexander Zverev hat in seiner Karriere 577 Matches auf der Profitour gespielt - Lukas Klein gerade einmal dreizehn, von denen er neun verlor.

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"Ich kannte ihn überhaupt nicht. Wenn ich in einem Raum mit ihm gewesen wäre, hätte ich nicht gewusst, wer er ist", sagte Zverev. Diese Lücke in der Datensammlung über die Profikonkurrenz wurde im Laufe von viereinhalb Stunden dann hinreichend geschlossen: "Er hat extrem gut gespielt", stellte Zverev fest: "Und ich war die meiste Zeit nur Zuschauer auf dem Platz."

Den ersten Satz sicherte sich Zverev nach 50 Minuten 7:5, ohne erkennbar die Beobachterposition aufgegeben und die Initiative ergriffen zu haben. Diese eher lethargische Einstellung lud den hochgewachsenen Slowaken ein, mutiger zu spielen: Lukas Klein gewann den zweiten Satz und verlegte sich fortan aufs Tennis-Roulette: Er suchte den Weg ans Netz, verteilte Stoppbälle, drosch die Bälle links und rechts an die Linien. Am Ende hatte er 80 Winner, also unerreichbare Bälle, geschlagen, aber auch 83 unerzwungene Fehler begangen.

"Er hätte es heute mehr verdient gehabt zu gewinnen"

Zverev ließ sich von seinem Gegner meterweit hinter die Grundlinie treiben - und gab diese unkluge Verteidigungsposition bis zum letzten Punkt nie auf. So ging auch der dritte Satz an Klein. Im vierten Durchgang rettete sich Zverev in den Tiebreak: Dort war es dann sein brillanter, nahezu fehlerloser Aufschlag, der ihm den Satzausgleich schenkte.

Auch im fünften Durchgang blieb der Weltklassespieler gegen den Qualifikanten stur in der Defensive. Wieder ging es in den Tiebreak - und dann, in letzter Minute, leistete sich der mutige, aber abgekämpfte Lukas Klein einen Fehler am Netz zu viel. "Ich wusste lange nicht, was ich machen sollte", sagte Zverev, einigermaßen erleichtert, nach dem Marathonmatch. "Er hätte es heute mehr verdient gehabt zu gewinnen. Aber so ist es manchmal im Tennis."

Weil am Nachmittag auch Tatjana Maria als letzte deutsche Profispielerin ihr Zweitrundenmatch gegen die Italienerin Jasmine Paolini klar 2:6, 3:6 verlor, ist Zverev nun der einzige verbliebene DTB-Vertreter im Turnier. Er trifft am Samstag auf Alex Michelsen aus den USA.

Für Lukas Klein und Jan-Lennard Struff dagegen ist die Reise beendet. Und sie werden sich damit abfinden müssen, dass in diesem Sport manchmal tatsächlich nur das Glück über die Millimeterentscheidungen auf den weißen Linien bestimmt.

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