Red Bull Racing nach Mateschitz:Eine Ära endet, eine neue soll beginnen

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Er habe Dietrich Mateschitz sein "Leben" zu verdanken, sagte Max Verstappen (zentral auf der Haube) nach dem Gewinn des Konstrukteurs-Titels. Er meinte sein Dasein als zweimaliger Formel-1-Weltmeister. (Foto: Hoch Zwei/Imago)

Einen Tag nach dem Tod von Firmengründer Mateschitz rast Red Bull erstmals nach acht Jahren zum Gewinn der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft. Weil der Balanceakt zwischen Trauer und Konzentration gelingt.

Von Elmar Brümmer und Philipp Schneider

Eine Schweigeminute, wie sie in solchen Fällen üblich ist, hätte den Moment in Austin mit einer bleiernen Schwere ummantelt. Und so gab es vor dem Start des Großen Preises der USA am Sonntag lieber eine Runde warmen Applaus für Dietrich Mateschitz, den am Vortag verstorbenen Gründer von Red Bull. Später dröhnte der alte Stones-Song Start me up aus den Lautsprechern. Woher denn nur? Viele Zuschauer am Circuit of the Americas wunderten sich, warum aus der Garage des trauernden britischen Teams mit österreichischer Lizenz laute Musik zu hören war. Die Rolling Stones waren die Lieblingsband des 78 Jahre alt gewordenen Selfmade-Milliardärs. Einige im Fahrerlager dachten also, das basslastige Wummern sei pietätslos. Aber sie hörten halt nicht richtig hin.

"Spread out the oil, the gasoline. I walk smooth, ride in a mean, mean machine...", singt Mick Jagger: Verspritze das Öl, das Benzin. Ich gehe geschmeidig, fahre in einer fiesen, fiesen Maschine. Auch wenn sich die Stones-Deuter einig sind, dass Jagger und Keith Richards beim Dichten nicht nur an Autos dachten, sondern an allerlei Anzüglichkeiten: Die Liedzeile beschreibt das Wesen der Formel 1 in 15 Worten.

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In Austin ehrt das Red-Bull-Team den verstorbenen Dietrich Mateschitz bestmöglich, Sebastian Vettel entdeckt seinen Weltmeister-Instinkt wieder und Brad Pitt ist auf Mission im Fahrerlager. Die Höhepunkte des F1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer

Und ist sie nicht zugleich eine Hommage an das Lebenswerk von Mateschitz, das ja in all seinen komplexen Verästelungen einer bemerkenswert geschmierten PR-Maschine gleicht? Eine Hommage wie die blauen Jeans, die in der Werkstatt von Red Bull nun anstelle der üblichen Arbeitshosen übergestreift wurden, weil sie auch Mateschitz in jeder Lebenslage trug. I walk smooth.

Wie das Raumschiff einer unbekannten Spezies schlug das Motorhome im Fahrerlager auf

Eher förmlich blieb die Formel 1, die Mateschitz in einem ellenlangen Nachruf als "Titan des Motorsports" würdigte. Für Mercedes-Teamchef, den gebürtigen Wiener Toto Wolff, war sein Landsmann "überlebensgroß" - vor allem aber diejenige Einzelperson, die Anfang des Jahrtausends mit der Gründung eines Gute-Laune-Rennstalls inmitten all der Traditionsteams und ihrer stocksteifen Außendarstellung "den größten Beitrag für die Formel 1 geleistet hat". Wie das Raumschiff einer unbekannten Spezies schlug das Motorhome von Red Bull damals im Fahrerlager auf. In Wahrheit flog es der "Didi" nur aus Sankt Marein im Mürztal ein.

Max Verstappen, Mateschitz' Chefpilot der vergangenen Jahre, sprach nach der Todesnachricht, mit der schon länger zu rechnen gewesen war, davon, dass er seinem Boss sein "Leben" zu verdanken habe. Er meinte damit nicht das Gegenteil von Tod, sondern sein Rennfahrer-Dasein im mit Abstand besten Auto der Saison. Aus den Worten quer durch alle Reihen war der generelle Respekt vor einem echten Freund des Motorsports herauszuhören, der mit seiner öffentlichen Zurückhaltung nicht so recht in die Adabei-Welt des Grand-Prix-Sports passen wollte. Der aber seinen eigenen Drang zur Unabhängigkeit im risikobehafteten Schaffen der Piloten wiedererkannte.

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Einen Tag nach dem Tod von Red-Bull-Gründer Mateschitz gewinnt der Niederländer Max Verstappen den Großen Preis von Austin und sichert seinem Team erstmals seit 2013 den Konstrukteurs-Titel. Dabei stellt er eine Rekordmarke von Michael Schumacher und Sebastian Vettel ein.

Am ehesten sah er das wohl tatsächlich bei "Mad Max" Verstappen, dem zweiten rennfahrenden Wunderkind aus der Red-Bull-Talentschmiede nach Sebastian Vettel. Der 25-Jährige erinnerte sich in Austin an seine letzte Begegnung mit Mateschitz, der wegen seiner schweren Krankheit schon lange nicht mehr an den Rennstrecken gesehen worden war. Erst vor ein paar Wochen war Verstappen in die Steiermark gereist: "Ich werde ihn als einen Mann in Erinnerung behalten, der sich extrem liebevoll um die Menschen gekümmert hat, einen Mann von sanftmütigem Charakter." Und doch sei er ein "Racer im Herzen" gewesen.

Die Nachricht von Mateschitz' Tod hat dafür gesorgt, dass der inzwischen eher distanzierte, wenn nicht gar kühle Rennstall mal wieder zu einem Ort der offenen Arme wurde. Schon vor dem Start der Sause in Texas waren immer wieder Umarmungen zu sehen. Nicht einfach, bei all der Trauer auch noch die nötige Abgeklärtheit für zwei Stunden Konzentration bei Vollgas aufzubringen. Verstappen aber kann genau das.

Befeuert von einem inneren Mick Jagger raste er gleich nach dem Start hoch auf die kleine Kuppe in Austin und luchste Carlos Sainz die Führung ab. Als seinen Schraubern ein sehr seltener Fehler unterlief, sie für die Montage eines Reifens eine Ewigkeit benötigten und Verstappen deshalb ausgerechnet bei Mateschitz' Gedächtnisrennen die Führung verlor, da grummelte Verstappen zwar kurz ein zynisches "wonderful" - nahm aber sofort wieder die Verfolgung auf. "If you start me up, I'll never stop, never stop, never stop." Und jagte tatsächlich dem alten Rivalen Lewis Hamilton fünf Runden vor Schluss in einem sehenswerten Rad-an-Rad-Duell über mehrere Passagen hinweg den Rennsieg noch ab. "Wie im Kino", schwärmte Teamchef Christian Horner, "Dietrich hätte das sicher gefallen."

Teamchef Horner funkt emotional ins Cockpit: "Du bist Weltmeister, wir sind Weltmeister!"

Vor allem hätte Mateschitz gefallen, dass sein geliebter Rennstall sich nun auch endlich mal wieder die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft geschnappt hatte. Für Verstappen ist es der erste Mannschaftstitel, für Teamchef Horner der erste seit neun Saisons. Damit ist die Vorherrschaft von Mercedes nach acht fetten Jahren erstmals gebrochen. Mateschitz, das ist ein kleiner Trost, war nun zwar nicht dabei, aber er hatte den Triumph noch kommen sehen. Horner funkte emotionale Halbsätze ins Cockpit: "Du bist Weltmeister, wir sind Weltmeister!" Dann schimmerten die Augen von Verstappen und Horner feucht, als bei der Siegerehrung die österreichische Hymne erklang. "Don't make a grown man cry", singt Jagger - tatsächlich, alles schon angelegt in nur einem Song.

Nach dem so hart umkämpften Vorjahresfinal war Horner selbst ein wenig überrascht vom Verlauf dieser Saison, die er angesichts der Dominanz seines Teams als "phänomenal" bezeichnete: "Ich habe noch nie einen Fahrer erlebt, der so hungrig ist wie Max", lobte er - und immerhin war er ja auch schon Chef des hungrigen Vettel, mit dem er zu vier Weltmeisterschaften sauste. Aber es stimmt schon: Red Bull Racing hat noch nie so viele Punkte und so viele Siege und Doppelerfolge feiern können wie in diesem Jahr. Nun steht das Team möglicherweise am Anbeginn einer neuen Ära der Dominanz im Motorsport. Dass sie sich in der Formel 1 weiterhin pudelwohl fühlen, das zeigt auch das enorme Selbstbewusstsein, mit dem sie in den Verhandlungen mit dem möglichen Motorenpartner Porsche einen Deal auf den letzten Metern vor der Unterschrift zu Fall brachten.

Der Grazer Helmut Marko, einer der engsten Freunde von Mateschitz und Mittelsmann zwischen Getränkekonzern und Rennstall, hat noch vor einer Woche mit dem großen Chef gesprochen, berichtete er: "Sein Auftrag war klar: weiterkämpfen!" Never stop, never stop - das ist nun Mateschitz' Vermächtnis.

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Binnen vier Jahrzehnten schuf der Österreicher Dietrich Mateschitz mit Red Bull, zahlreichen Medien und Profisportteams ein beispielloses Imperium - und wurde außerordentlich reich. Jetzt ist er im Alter von 78 Jahren gestorben.

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