Manuel Neuer bei der Fußball-EM:Mit der Grandezza des Terminators

Lesezeit: 4 min

Manuel Neuer rettete die deutsche Nationalmannschaft gegen die Ukraine mehrfach spektakulär. (Foto: dpa)

Gegen die Ukraine bewahrt Manuel Neuer die DFB-Elf vor einer Peinlichkeit: Er hechtet, wehrt ab und rammt. Die Angreifer dieser EM sind gewarnt.

Von Thomas Hummel, Lille

Die letzte Konfrontation, die Manuel Neuer zu meistern hatte, hätte ihn fast aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Gegner pirschte sich heran, kam aus einem unmöglichen Winkel und legte überraschend los. "Ich komme aus den Niederlanden und wenn ich das so sagen darf: Das war doch eigentlich ein Superspiel von Ihrer Mannschaft gewesen." Neuer blickte den Herrn leicht irritiert an, der versuchte es mit einem Nachsatz: "Okay, ein paar Fehler, aber eigentlich: ein Superspiel!"

Auch in diesem letzten Zweikampf des Abends kurz vor der Rückfahrt ins Hotel bewies der 30-Jährige, dass ihn so gut wie nichts mehr dauerhaft aus der Ruhe bringen kann. Er lächelte milde, nach dem Motto: Okay, Sie kommen aus den Niederlanden. Freundlich aber bestimmt klärte er den Mann auf. "Das war jetzt kein Superspiel, wir können uns schon noch steigern."

Manuel Neuer bietet famose Leistung im Tor

Was der Niederländer vermutlich überhörte: In dieser Aussage verbarg sich auch eine kleine Lüge. Statt dem Wörtchen "wir" hätte Manuel Neuer eher "sie" oder "meine Mitspieler" sagen müssen. Wie er sich selbst noch steigern will, das blieb in dieser Nacht sein Geheimnis. Manuel Neuer bot wieder einmal eine derart famose Leistung im Tor, dass schon jetzt allen Angreifern bei dieser EM die Knie schlottern dürften. Wie damals in Brasilien, als die Argentinier am Ende fast freiwillig zu genau zielten und damit den Titel vergaben.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Schweinsteiger macht alles richtig

Zwei Zuspiele, ein Tor - Bastian Schweinsteiger erlebt in wenigen Sekunden ein großes Comeback. Toni Kroos hat gefühlte 2000 Ballkontakte, auch Max Kruse gewinnt. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.

Von Philipp Selldorf, Lille

Neuer hechtete nach vier Minuten einen Schuss von Ewgen Konopljanka aus dem Torwinkel. Sein Arm schoss blitzartig in die Höhe nach dem Kopfball von Ewgen Chatscheridi (26.). Den gefährlichen Freistoß von Andrej Jarmolenko nach der Pause lenkte er geschäftsmäßig zur Ecke, da hatten die Mitspieler schon kaum mehr eine Mauer gebildet. Und als ihn sein Verteidiger Shkodran Mustafi per Kopf überlupfte, rammte er im Laufduell Jaroslaw Rakizky aus dem Weg, in dem Bewusstsein, dass sich ein Welttorhüter offenbar so was erlauben darf. Es erinnerte an den Zusammenprall im WM-Finale mit Gonzalo Higuaín, auch damals glaubten viele, ein elfmeterwürdiges Foul von Neuer gesehen zu haben. Doch wie damals ließ auch in Lille der Schiedsrichter weiterspielen.

"Wir sind nun ein Stückweit schlauer", erklärte Toni Kroos nach dem 2:0 zum Auftakt der Gruppe C bei dieser Europameisterschaft gegen eine sich unerwartet hartnäckig wehrende Ukraine. Für ihn und für die deutsche Fußball-Seele ist es dabei eine beruhigende Erkenntnis, dass auf den Torwart wieder einmal Verlass ist. Mit der Grandezza eines unüberwindbaren Terminators wehrte Manuel Neuer all die ukrainischen Versuche auf sein Tor ab. Und als er einmal nicht eingreifen konnte, sah er wie so häufig in wichtigen Spielen, wie Terminator-Kollege Jérôme Boateng mit einer Akrobatennummer den Ball im letzten Moment von der Linie schlug.

Dass die beiden da hinten allerdings so häufig ihr außergewöhnliches Talent zeigen mussten, sagte viel über die Schwierigkeiten, mit denen die Deutschen zu kämpfen hatten. Die 20 Minuten vor der Halbzeit dürften als größter Tumult in der Geschichte einer DFB-Elf in die Annalen eingehen seit dem Rumpel-Zeitalter. Ein Angriff nach dem anderen rollte Richtung deutsches Tor, die Defensive geriet dermaßen durcheinander, dass überall Männer in gelben Trikots ungestört ihrer Freiheiten frönten.

Dazu sauste eine Ecke nach dem anderen in den deutschen Strafraum. Nur Boateng, Neuer und eine Terminator-große Portion Glück verhinderten hier den Ausgleich für die Ukraine. "Da hatten wir einige Probleme im Spiel nach vorne, haben einige Bälle verloren und sind in den ein oder anderen Konter gelaufen", analysierte Joachim Löw. Außer diesen paar dürren Wörtern der Selbstkritik wirkte der Bundestrainer nach dem Spiel fast tiefenentspannt.

Internationale Pressestimmen
:"About time, Schwein"

Die englischen Zeitungen feiern Schweinsteiger und die deutsche Zuverlässigkeit. Die Spanier bewundern Manuel Neuers "goldene Handschuhe". Die Pressestimmen.

Eine Generalkritik an seiner Mannschaft verweigerte er sich. Sein Respekt vor den Stärken der Ukraine war durchaus groß gewesen, weshalb er am Ende froh zu sein schien, dass dieses Auftaktspiel gut ausgegangen war. Dass er wie in Brasilien auf die eigenen Standardsituationen bauen kann. Flanke Kroos, Kopfball, Tor - das gab es ja vor zwei Jahren auch einige Male. Dieses Mal flog Mustafi energisch durch die Luft und wuchtete den Ball zum 1:0 ins Netz. Es war letztlich die entscheidende Aktion des Spiels.

Von Müller, Özil und Götze wird mehr erwartet

Dass sich Löw auf Neuer und Boateng ("Es ist gut, einen Boateng als Nachbarn in der Abwehr zu haben") verlassen kann, davon geht er aus. Er ging allerdings bestimmt auch davon aus, dass etwa Mesut Özil so ein Spiel dominanter gestalten kann. Oder dass Thomas Müller ein bisschen mehr Torgefahr entfachen würde. Oder Mario Götze wenigstens hier oder da mal an einem Gegenspieler vorbeikäme. Dieses Spiel rief zudem in Erinnerung, dass seine Mannschaft keinen Weltklasse-Außenverteidiger mehr im Repertoire hat. Die starken Konopljanka und Jarmolenko hielten Benedikt Höwedes und Jonas Hector ordentlich in Bewegung.

Und vielleicht hat dem Bundestrainer dieses Spiel auch in Erinnerung gerufen, dass ihm bei einem (Ball-)Kontrollverlust ein echter Zweikämpfer und defensiver Ordner im Mittelfeld fehlt. Weder Toni Kroos noch Sami Khedira konnten sich der Wucht und dem Elan der Ukrainer wirkungsvoll entgegenstemmen. Und Bastian Schweinsteiger kam ja erst in der letzten Minute aufs Feld.

Der tiefenentspannte Löw war eher das Ergebnis der zweiten Halbzeit, als seine Mannschaft wieder ihre Stärken betonte, den Ball von Mann zu Mann passte, bis die Ukrainer fast den Mut verloren. Wäre einer der vielen Weitschüsse oder Mesut Özils Durchbruch in ein frühes 2:0 gemündet, die Entspannung hätte viel früher einsetzen können. "Wir haben es im Laufe des Spiels immer besser gelöst", erklärte Löw. Oder wie es Thomas Müller zuspitzte: "Die Phase in der ersten Halbzeit mussten wir überstehen. Das haben wir gemacht. Dann ging's besser." Mit einem Terminator im Tor ist es eben leicht, mit den eigenen Schwächen umzugehen.

© SZ.de/hum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

DFB-Sieg gegen Ukraine
:Schweinsteigers Lauf in die Glückseligkeit

Immer, wenn man ihn abschreibt, kommt er umso stärker zurück. Bastian Schweinsteiger hebt in nur vier Minuten Einsatzzeit für die DFB-Elf erheblich die Stimmung.

Von Thomas Hummel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: