Wahrscheinlich hatte José Mourinho schon im März 2018 recht. In einem unvergessenen Monolog wehrte sich der wortgewaltige Portugiese als damaliger Trainer von Manchester United gegen die Kritik am Aus seiner Mannschaft im Achtelfinale der Champions League. Im Duell mit dem FC Sevilla verlor United nach einem Remis im Hinspiel das zweite Aufeinandertreffen zu Hause in Old Trafford. Verärgert über die Unterstellung, dass er als Trainer zu schlecht abgeschnitten hätte, verteidigte sich Mourinho, indem er das Scheitern als "nichts Neues" für den Verein kategorisierte.
Saison für Saison ging Mourinho in seiner Analyse die Ergebnisse des Klubs durch. Er referierte zum Beispiel, dass United in der Saison 2014/15 gar nicht am Europapokal teilnahm und in der darauffolgenden Spielzeit schon in der Gruppenphase scheiterte. Ohnehin habe United "nicht allzu oft" das Champions-League-Finale erreicht, stichelte Mourinho, nur vier Mal. Die Europapokal-Gesamtresultate des Klubs nach dem Rücktritt der Trainerlegende Alex Ferguson 2013 goss Mourinho anschließend in das geflügelte Wort "Fußball-Vermächtnis", das seitdem ebenso prominent zum Inventar des Vereins gehört wie die Abrechnung selbst. Und zu diesem Erbe kommt nun auch noch die mieseste eigene Europapokalbilanz überhaupt.
Nach vier Niederlagen in sechs Königsklassenspielen, besiegelt durch das 0:1 gegen den FC Bayern am Dienstagabend in Manchester, beendet United die Gruppenphase auf dem letzten Tabellenplatz. Mit so wenigen Punkten wie nie zuvor. Kein anderes englisches Team hat zu diesem Zeitpunkt im Wettbewerb jemals 15 Gegentore hinnehmen müssen.
Statt United zieht der FC Kopenhagen als Gruppenzweiter ins Achtelfinale ein und Galatasaray Istanbul bleibt als Dritter die Europa League. Nur ein Mal schoss United aufs Tor der Bayern, obwohl ein eigener Sieg die Grundvoraussetzung gewesen wäre, um eventuell doch weiterzukommen. Der Klub machte einen so bemitleidenswerten Eindruck, dass Bayern-Coach Thomas Tuchel den Rivalen aufzumuntern versuchte. Die englischen Reporter fragten mehrfach zu United, weil sich der vorherige Kurzauftritt des United-Kollegen Erik ten Hag als wenig aufschlussreich erwies. Dieser sah eine "gute Leistung" seiner Elf und eine "unverdiente Niederlage". Die Aussagen hörten sich stark nach Selbstschutz an.
Immerhin kann United sich nun auf die Liga konzentrieren
Seit seinem Arbeitsbeginn in Manchester im Sommer 2022 hat ten Hag 375 Millionen Euro für Spielerablösen ausgeben dürfen. Nach einer ordentlichen Debütsaison schien er in dieser Spielzeit um wichtige Titel mitspielen zu wollen - und überforderte wohl sich und die Mannschaft. Die Folge: Das Team hat sich eher zurück- als weiterentwickelt. Weitgehend konsterniert verfolgten die United-Fans das Spiel, darunter etliche Klublegenden. Die Atmosphäre wirkte fast gespenstisch, verglichen mit der sonstigen Lautstärke. Der Verein befindet sich offensichtlich in einer Situation, in der er sich nicht mehr wirklich selbst helfen kann. Die Hoffnungen ruhen jetzt auf Jim Ratcliffe, dem Gründer des Ineos-Konzerns, der in Kürze als Investor einsteigen soll.
Immerhin, fand der Alt-Internationale Rio Ferdinand, sei das Europapokal-Aus auf ganzer Linie das Best-Case- im Worst-Case-Szenario. Denn so könne sich das Team fortan vollends auf die Premier League fokussieren. Zumal in der Europa League für Manchester United auch ein Wiedersehen mit José Mourinho gedroht hätte, dem derzeitigen Trainer der AS Roma.