Erneutes Begräbnis von Libuda:Heimliche Brüder am zweiten Grab

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Dortmunder Gäste bei der zweiten Beisetzung des Schalker Helden Stan Libuda: BVB-Präsident Reinhard Rauball (Mitte), flankiert von den Ex-Spielern Sigi Held (links) und Wolfgang Paul. (Foto: Tim Rehbein/dpa)

Der vor 25 Jahren verstorbene "Stan" Libuda erhält eine neue Ruhestätte. Beim Friedhofs-Umzug wird klar, dass sich die ewigen Rivalen Schalke und BVB näher sind, als sie wahrhaben wollen. Ein Ortsbesuch.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Begräbnis-Gesellschaft hatte die Kapelle bereits vollzählig Richtung Friedhof verlassen, da spielte der Saxofonist immer noch die Schalker Nationalhymne "Blau und weiß/ wie lieb' ich Dich" - wahrscheinlich eine Frage der Künstler-Ehre. Außer dem einsam, aber engagiert musizierenden Mann verblieben in dem kleinen Gotteshaus lediglich das ständige Mobiliar und eine Konstruktion, die zum Anlass der Feier dort errichtet worden war. Auf einer Staffelei hatte man eine Fotografie von Reinhard "Stan" Libuda platziert, die 1972 nach dem DFB-Pokal-Finale in Hannover entstanden war. Libuda, damals Kapitän des im Endspiel siegreichen FC Schalke 04, hält auf dem Bild den Pokal in die Höhe, dessen Nachbildung nun golden glänzend zu Füßen der Staffelei stand.

Während der Saxofonist nach vollbrachtem Vortrag sein Instrument einpackte, näherte sich ein paar Schritte entfernt auch die Zeremonie ihrer Vollendung. Die Gäste waren zum entfernten Friedhof weitergezogen, um den vor 25 Jahren verstorbenen Fußballer Libuda ein zweites Mal zu beerdigen. Seine erste Ruhestätte auf dem Gelsenkirchener Ostfriedhof wird aufgrund behördlicher Verfügung eingeebnet, weshalb der Vereinsheld nun mit Hilfe der "Stiftung Schalker Markt" ein neues Domizil bezogen hat: Auf dem sogenannten Schalker Fan-Feld im Stadtteil Beckhausen-Sutum - unweit des Stadions gelegen - soll er nun die definitiv letzte Ruhe finden und zugleich für immer zugegen sein, damit ihn auch die nachgeborenen Schalker nicht vergessen.

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Der 1996 gestorbene Stan Libuda wird ein zweites Mal beerdigt: auf dem Schalker Fan-Feld, mit Blick auf das Stadion. Bei der Pflege der Ursprünge ist Schalke im besten Sinne ein selbstbewusster Traditionsverein.

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Zu seiner zweiten Beisetzung versammelte sich eine stattliche Gesellschaft, darunter ehemalige Schalker Mitspieler wie die Kremers-Zwillinge, Klaus Fischer, Klaus Fichtel und Hannes Bongartz - sowie zwei Kameraden aus den drei Jahren, die Libuda von 1965 bis 1968 bei Borussia Dortmund verbracht hatte: Sigi Held und Wolfgang Paul. Schalke 04 wurde durch den komplett angetretenen Vorstand vertreten, der BVB durch Präsident Reinhard Rauball.

Rauball erinnert an Libudas Siegtreffer für Dortmund im Europacup-Finale 1966

Die Zahl der Prominenten, die zwischen den konträren Lagern im Ruhrgebiet einst die Farben wechselten, ist erstaunlich groß. Die Schalker Rolf Rüssmann, Rüdiger Abramczik und Jens Lehmann (mit Umweg über Mailand) gingen nach Dortmund, die Borussen Ingo Anderbrügge, Andreas Möller und Christoph Metzelder (mit Umweg über Madrid) wagten sich nach Gelsenkirchen. Sogar der Oberschalker, der langjährige spätere Manager Rudi Assauer, hatte als Spieler eine sechs Jahre währende schwarz-gelbe Vergangenheit.

Libuda (li.) im Jahr 1970, hier beim Europapokalspiel gegen ManCity. (Foto: Horstmueller/imago)

Libuda war damals gewechselt, weil Schalke 1965 die Saison als Letzter abgeschlossen hatte, er konnte nicht wissen, dass die Liga durch die Aufstockung auf 18 Klubs einen Kniff finden würde, um den Abstieg aufzuheben. Drei Jahre später kehrte er zurück, aus Heimweh. "Libuda war Schalke, Schalke war Libuda", so fasste es der amtierende Sportvorstand Peter Knäbel in der Trauerrede zusammen und drückte Dankbarkeit dafür aus, "dass wir ihn in unserer Nähe wissen - nah bei Königsblau, wo Reinhards Herz meist glücklich schlug". Ein glückliches Ende war ihm dort allerdings nicht beschieden: Nicht in der Karriere nach der Verstrickung in den Bundesliga-Skandal und nicht im Leben nach dem Fußball. Mit 52 Jahren starb er jung.

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Womöglich sind sich Schalker und Dortmunder ja doch näher, als sie wahrhaben wollen, aber wie das so ist unter Brüdern, selbst wenn es nur heimliche Brüder sind: Die Rivalität endet nie, nicht mal am Sarg machte jetzt der Wettstreit Halt. Außer Knäbel hielt auch Rauball eine Trauerrede, in der er dezent, aber unzweideutig sein Missfallen über die Vereinnahmung Libudas durch die Königsblauen anklingen ließ. Er begnügte sich nicht damit, an Libudas Siegtreffer für den BVB zum Europacupsieg 1966 gegen Liverpool zu erinnern, er reklamierte auch die Urheberrechte für den mythischen Slogan, dass niemand an Gott vorbeikomme "außer Stan".

Klaus Fischer trägt die Vereinsfahne auf dem Weg zum Grab von Reinhard Libuda. (Foto: Tim Rehbein/dpa)

Laut Rauball ist die berühmte Formulierung nämlich nicht an einer Litfaßsäule in Gelsenkirchen entstanden, wie die gängige Geschichtsschreibung behauptet, sondern aus Dortmunder Territorium hervorgegangen, und zwar in einer dort verkehrenden Straßenbahn. Bevor es in der Kapelle zum Historikerstreit kommen konnte, bot der BVB-Präsident einen Kompromiss an: "Ein Westfale" sei Libuda gewesen. Der katholische Pfarrer Markus Pottbäcker wiederum mutmaßte in der Andacht, Gott selbst habe den Zusatz "außer Stan" hingepinselt. "Um ihm zu sagen: 'Weil ich Dich liebe, wie Du bist'".

Womöglich hätte dem bescheidenen Libuda die Debatte zu seinen Ehren gefallen. Der jederzeit würdevollen Zeremonie tat sie keinen Abbruch. Zur Beisetzung jedenfalls wehte die Schalke-Fahne auf dem Friedhof, Klaus Fischer hielt sie mit weißen Handschuhen.

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