Nachruf auf Rudi Gutendorf:Ein Trainer mit filmreifer Karriere

Nachruf auf Rudi Gutendorf: Gefeierter Mann auf den Schultern: Rudi Gutendorf wurde oft gehuldigt, wie 1987 als Nationaltrainer der Fidschi-Inseln im Südpazifik.

Gefeierter Mann auf den Schultern: Rudi Gutendorf wurde oft gehuldigt, wie 1987 als Nationaltrainer der Fidschi-Inseln im Südpazifik.

(Foto: Horstmüller)

"Machen Se et jut, Herr Jutendorf", sagte Adenauer - und Rudi Gutendorf machte es gut. In Duisburg und bei 1860, in Bermuda und Fidschi, in Ruanda und Samoa. Rückblick auf ein langes Leben mit dem Fußball.

Von Peter Burghardt

Einmal trafen wir uns auf Mauritius, Rudi Gutendorf war dort gerade Nationaltrainer. Wir saßen in einer Bar am Strand, der Indische Ozean glitzerte in der Sonne. "Mauritius", sagte er, "ist eigentlich ein Traumjob." Dem war nicht zu widersprechen, auch wenn das Team nicht unmittelbar zur Weltspitze gehörte. Gutendorf kam seinerzeit, 1993, aus China, seiner damals 50. Station, es handelte sich also um seine 51. Station im Dienste des Balles. Er war erst 67, kein Alter, und stand schon im Guiness-Buch der Rekorde, weil keiner mehr Mannschaften in mehr Ländern betreut hatte als er. Begegnete man ihm irgendwo auf der Welt, dann trainierte er im Zweifel die nationale Auswahl.

Ein paar Jahre danach kam eine Ansichtskarte aus Kigali an, darauf ein Hotel und grüne Hügel. Hier sei schwer der Hund begraben, schrieb Rudi Gutendorf, doch er hatte eine wunderbare Aufgabe übernommen: Mit Tränen in den Augen erlebte der Weltenbummler, wie ein Hutu flankte, ein Tutsi ins Tor köpfte und sich alle in den Armen lagen - gut fünf Jahre nach dem Massaker.

2:2 spielte sein vereintes Ruanda im Qualifikationsmatch gegen die Elfenbeinküste und ihre Profis aus Europas Top-Ligen. Gutendorf ließ seinen legendären Abwehrriegel legen, der hatte ihm in Deutschland einst den Künstlernamen Riegel-Rudi beschert. Er spürte "Adrenalinstöße wie damals auf Schalke".

Er leiste "einen wichtigen Beitrag für den Wiederaufbau des Landes nach dem Genozid von 1994", lobte Bernard Makuza, der ihn als Botschafter in Deutschland geholt hatte und dann ruandischer Premierminister wurde. Es war ungefähr Gutendorfs Etappe Nummer 54, man kam bei der Zählung leicht durcheinander, die Zeit auf Schalke lag jedenfalls schon drei Jahrzehnte zurück.

Rudi Gutendorf wurde 1926 in Koblenz geboren, stürmte als Rechtsaußen beim TuS Neuendorf in der Oberliga Südwest und blieb seiner Heimat trotz seiner sagenhaften Odyssee treu. Im Westerwald ließ er für sich und seine Familie eine alte Telegrafenstation umbauen, da hängen unter Dachschrägen Fotos und Plakate, die in dieser Kombination kein anderer sammeln konnte. HSV und Malawi, Fritz Walter und der König von Tonga.

Es gibt ein neueres Video der Barmer Ersatzkasse, Titel "Lebensrezepte". Darin zeigt der 90-jährige Gutendorf in der Trainingsjacke der deutschen Nationalelf (die er leider nie trainiert hat) ein paar Schätze seiner Kollektion, er hatte sie einem als Besucher Jahre zuvor auch gezeigt. Darunter ist natürlich auch ein Foto mit Klaus Kinski ("Sagt das euch was, Kinski?"), zu Kinski kommen wir noch. "Das Leben ist so voll", sagt Rudi Gutendorf in dem rührenden Spot, Koblenzer Dialekt in der Stimme. "Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll."

So richtig beginnt seine filmreife Geschichte, als er 1961 als Entwicklungshelfer vom FC Luzern zu US Monastir gerufen wurde, dem Lieblingsklub des tunesischen Präsidenten. "Machen Se et jut, Herr Jutendorf", gab ihm der rheinische Bundeskanzler Konrad Adenauer mit auf den Weg, "sonst holen die einen aus der Soffjetzone." Adenauer hatte keine Ahnung, welch irre Mission ihren Lauf nehmen würde. Gutendorf ahnte es auch nicht, er besaß in Tunesien aber ein Rennkamel und wohnte zwischendurch in Rommels ehemaliger Residenz. Seine DFB-Lizenz Nr. 330 hatte er bei Sepp Herberger erworben.

Der Gesandte wurde Rudi Rastlos, vor allem in den früheren Jahren immer wieder mit eher kurzen Zwischenstopps in der Bundesliga. In deren erster Saison führte der Jungtrainer Gutendorf den Meidericher SV, nachmals MSV Duisburg, 1964 auf Platz zwei. Mit Helmut Rahn, dem Weltmeister von 1954, dem Boss. Der Lebemann Gutendorf versuchte sich dann weniger glorreich beim VfB Stuttgart, Schalke 04 (mit Stan Libuda und Übungsläufen auf der Trabrennbahn), Kickers Offenbach, 1860 München, Fortuna Köln, Tennis Borussia Berlin, HSV, Hertha BSC.

Zu den Münchner Löwen kam er 1974 mit seinem VW Kombi, den er in Südamerika eingeschifft hatte: Drüben hatte der Ausbilder aus Alemania erst Sporting Cristal aus Lima zum peruanischen Pokalsieger gemacht, das war 1972 der Beginn seiner Freundschaft mit dem Filmemacher Werner Herzog. Er ließ den Regisseur im Training mal spaßeshalber mitmachen, bis Herzog schlecht war.

Herzog nahm Gutendorf dann wochenlang mit in den schwülheißen Urwald am Amazonas, wo er "Aguirre, der Zorn Gottes" drehte. Hauptrolle: Klaus Kinski, der Gutendorf "Ausputzer" nannte. Worauf Gutendorf erleben durfte, wie Herzog dem zum Wahnsinn neigenden Schauspieler im Streit das durchgeladene Gewehr an die Brust setzte. "Der wollte Kinski erschießen", erzählte Gutendorf, "der war verzweifelt", es ging aber gut aus. Werner Herzogs Sohn Rudolph drehte viel später einen Dokumentarfilm über Papas Amigo Gutendorf, Titel: "Der Ball ist ein Sauhund."

In Chile wäre der Nationaltrainer Gutendorf kurz vor Pinochets Militärputsch 1973 neben seiner Geliebten beinahe selbst erschossen worden. Er freundete sich mit Salvador Allende an, dem gewählten sozialistischen Staatschef, der an jenem 9/11 dann im zertrümmerten Präsidentenpalast starb. Eine Pistole aus Chile hatte Gutendorf in der Schublade.

Er war auf den Bermudas - und auch in Bolivien

Er war bei den St. Louis Stars, als noch kaum jemand über Soccer sprach. Er war auf den Bermudas unter Vertrag, in Trinidad & Tobago, in Bolivien und Grenada, als Scout auf Jamaika, auf Fidschi, in Simbabwe. Den Europacupsieger HSV sollte der Globetrotter mit Kevin Keegan zum Meister machen, er flog 1977 nach drei Monaten raus. "Ich war der Toptrainer und bin so auf den Arsch gefallen", berichtete Gutendorf. In der Bundesliga war er dann nicht mehr so gefragt, von Schalke träumte er noch in Kigali, und Sportschau-Videos ließ er sich bis in die Südsee nachschicken.

Dafür haben sie ihn als Langnase in Nepal wie einen Heiligen verehrt, als er dem kleinen Land den ersten Sieg gegen den großen Nachbarn Indien bescherte, es halfen rutschfeste Stollen im strömenden Regen. Zur Belohnung bekam der Coach unter anderem einen geschnitzten Türrahmen aus dem 14. Jahrhundert verliehen.

In Australien war Rudi Gutendorf Trainer des Jahres und lernte seine Frau kennen, sie haben einen Sohn. In Tokio kam er sich vor wie eine Gottheit, aus Iran wurde er verjagt, "weil die Mullahs keinen Ungläubigen mehr auf der Bank haben wollten". Nach Botswanas Länderspieldebüt erhielt er eine Jagdgenehmigung für Elefanten und Leoparden, er lehnte höflich ab. In Peking überreichten ihm KP-Funktionäre die Kündigung.

Auf Tonga ließ ihm der dicke Monarch den königlichen Garten zum Üben mähen. In Ghana entdeckte er ein malariakrankes Talent namens Anthony Yeboah. Lange dauerten seine Gastspiele selten. "Excitement und Leidenschaft kann man nicht konservieren", erläuterte der polyglotte Vielflieger mit Winterquartier in Sydney und Wohnsitz in Rheinland-Pfalz, wo er mit Horst Eckel ja auch noch die Lotto-Elf in Schwung halten musste.

Manche seiner Abenteuer fielen je nach Tag der Erzählung oder je nach Buch ein wenig unterschiedlich aus, aber im Kern stimmt alles, und Gutendorf war ein wunderbarer, mal feuriger und mal nostalgischer Erzähler, stets neugierig. Ganz zum Schluss hat Rudi International noch mitgeholfen, eine Flüchtlingsmannschaft seines Vereins TuS Koblenz aufzubauen, ein schönes Finale. "Ihr müsst brennen für jede Minute, jede Sekunde, jede Balleroberung", sagte Rudi Gutendorf, als er der wohl älteste Trainer der Welt war und Jupp Heynckes ein Jungspund. Am Freitag ist er kurz nach seinem 93. Geburtstag gestorben. Seine Trainingsjacke aus Mauritius, die er uns geschenkt hatte, hängt bei uns im Schrank.

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