Skirennfahrerin Lena Dürr:Auch mal schneller als Shiffrin

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Frech und angriffslustig, selbst nach Fehlern: Lena Dürr, 32, hat sich in der absoluten Weltspitze etabliert. (Foto: Jonas Ericsson/Getty Images)

Skirennfahrerin Lena Dürr will Mikaela Shiffrin und Petra Vlhova, die besten Slalomfahrerinnen der jüngeren Geschichte, so oft wie möglich schlagen. Nur: Wie bezwingt man die, die fast nie verlieren?

Von Johannes Knuth

Es gibt diese Orte, die spenden einem ein Gefühl, als würde man in einen warmen Mantel schlüpfen, und die Skirennfahrerin Lena Dürr hat oft berichtet, dass ihr der Weltcup-Standort Are in Schweden genau diese Wohlfühlatmosphäre verschafft. Der Hang, der Schnee, das lag ihr schon immer; selbst in Wintern, in denen nicht viel zusammenlief, trug Dürr dort achtbare Ergebnisse zusammen. Die Stimmung in Are sei überhaupt sehr "speziell", was jeder weiß, der schon einmal dort war. Die Sonne kriecht oft nur kurz hinter dem gefrorenen See am Fuße des Hangs hervor, die dunkelroten Holzhäuser erinnern an ein Bullerbübuch, alles fühlt sich etwas entrückt an.

Es war also eher kein Zufall, dass man Dürr nach dem jüngsten Weltcup-Slalom in Are wieder strahlen sah, nach Zwischenbestzeit in Lauf zwei, auch wenn sie am Ende eine läppische Hundertstelsekunde von Rang drei trennte. Mikaela Shiffrin, die Siegerin, war ihr sogar um 1,35 Sekunden entrückt. Mal wieder.

Vergangenen Winter stand Dürr schon viermal auf einem Slalom-Podest, einmal ganz oben

Die Erzählungen der Weltcup-Slaloms verliefen bis zuletzt nahezu baugleich: Seit 2018, in 54 Anläufen, hieß die Siegerin nur neunmal nicht Shiffrin oder Vlhova. Kaum eine andere Athletin lässt die Skier so unerbittlich und schnell Richtung Tal laufen, egal bei welchem Wetter. Überhaupt, Shiffrin und der Slalom: 59 ihrer 96 Siege im Weltcup errang die Amerikanerin in dieser Disziplin, 24 weitere Male stand sie auf dem Podest - bei 111 Starts. Selbst wenn sie sich wie zuletzt am Knie verletzt und sieben Wochen pausiert, gewinnt sie bei ihrer Rückkehr in Are prompt - und zurrt nebenbei ihren achten Gesamtsieg in der Slalomwertung fest.

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Diese Erzählungen will Dürr allmählich durchbrechen, und spätestens seit der vergangenen Saison kann sie dieses Vorhaben auch vorbringen, ohne sich der Majestätsbeleidigung verdächtig zu machen. Im vergangenen Winter stand sie viermal auf einem Slalom-Podest, darunter erstmals ganz oben (in Spindlermühle); sie gewann WM-Bronze, ihre erste Einzelmedaille. In dieser Saison beendete sie von zehn Slaloms vier unter den besten Drei (der letzte steht beim Saisonfinale ab kommendem Wochenende in Saalbach-Hinterglemm an). Letzteres ist Bestwert hinter den Branchenführerinnen. Aber knapp dahinter, das reicht nicht mehr.

Die Frage ist nur: Wie schlägt man die, die sonst fast nie verlieren?

Andreas Puelacher ist kraft seines Amtes ein kompetenter Ansprechpartner, weil der Tiroler seit zwei Wintern die Alpin-Frauen im Deutschen Skiverband (DSV) betreut - und weil er in vielen Jahren zuvor vor allem in Österreich viele Wege an die Weltspitze studiert hat. Dass Dürr, mittlerweile 32 Jahre alt, sich "so etabliert zum letzten Drittel ihrer Karriere", sei schon "großer Sport", findet Puelacher. Da spielten naheliegende Dinge zusammen - dass Dürr über die Jahre Skier, Bindungen und Platten immer besser abgestimmt hat, mit besseren Ergebnissen langsam wieder das Selbstvertrauen wuchs -, und dann sei da das einschneidendere Erlebnis vor rund fünf Wintern. Damals musste Dürr, nach Jahren der Stagnation, ihre Vorbereitung größtenteils selbst gestalten, mit eigener Trainingsgruppe und eigener Ski-Präparation. Danach habe sie viel besser einschätzen können, "in welchen Situationen was gebraucht wird", hat Dürr einmal erzählt. Mindestens genauso wichtig, sagt Puelacher heute, sei nur die Erkenntnis, dass Dürr solche Einzelwege nicht ständig braucht. "Die Lena will die Gesellschaft", sagt er; sie vergesse nie, die Kolleginnen mitzuziehen - schon allein, weil sie sich nur so im Training adäquat messen kann.

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Das ist der erste Spagat - denn wenn die Teamkolleginnen etwa wie zu Saisonbeginn schwächeln, muss die Beste auch mal raus aus der Gemeinschaft. Vor Kranjska Gora Anfang Januar trainierte Dürr allein mit Markus Lenz, dem Technik-Chef der DSV-Frauen, "damit der letzte Schritt nach ganz oben gelingt", wie Puelacher sagt. Sie sahen damals noch Potenzial bei den ersten Toren, die Dürr nicht immer mit vollem Schub attackierte, wobei sie im Einzeltraining ihre Bestzeit von Lauf zu Lauf drücken sollte, um zu erleben, wie schnell sich so ein Sektor fahren lässt. Im folgenden Rennen gelang das auch prompt, Dürr wurde Zweite hinter Vlhova, fuhr angriffslustig, selbst nach Schnitzern. "Feinste Sahne", sagt Puelacher. Das noch häufiger aufzutischen, auch jenseits der Lieblingsorte, ist die nächste große Herausforderung.

Grundsätzlich, sagt Puelacher, arbeite Dürr enorm präzise, "der Fokus liegt so sehr auf dem ganzen Skisport, das sieht man selten". Diese Stärke könne sich bisweilen aber in eine Schwäche verkehren: "Man muss auch mal Fehler zulassen können", sagt Puelacher, "und nicht über den Fehler beim siebten Tor nachdenken." Sonst verliere man irgendwann die Lockerheit, die Dürr vor allem zu Beginn der aktuellen Saison ausgezeichnet hatte. In Flachau, Mitte Januar etwa, da war Dürr so überrascht davon, wie der Hang präpariert war, dass sie nur 15. wurde. Und als Shiffrin und Vlhova in Soldeu ausfielen und alle auf Dürr schauten, wurde sie nur Sechste ("Bin am Puzzeln"), da stießen andere in die Lücke, mit größerer Lockerheit: die Schwedin Anna-Swenn Larsson etwa, die gewann, und die Kroatin Zrinka Ljutic, 20, die in Are nun Zweite wurde.

Das ist der letzte, große Spagat, findet ihr Cheftrainer: Man müsse den Weg, den Dürr für sich gefunden hatte, auch mal verlassen, etwas Neues probieren - auch wenn dies das Risiko birgt, "ein bisschen vom Weg abzukommen". Wenn Dürr das meistere, traut ihr Cheftrainer ihr noch einiges zu, die WM 2025 und Olympia 2026 auf jeden Fall - es wären Dürrs achte Weltmeisterschaften respektive dritten Winterspiele. Gerade die Spiele in Cortina dürfte sie fest im Blick haben, nachdem sie 2022 in Peking auf den letzten Metern vom Goldrang auf Platz vier zurückgefallen war. Andreas Puelacher sieht es, andererseits, so: "Ob ich mit 34 oder 38 Olympiasiegerin werde oder mit 19", sei letztlich egal.

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